Wüst will Kohleausstieg bis 2030: Debatte um Kernenergie als Klimaretter

11.11.2021 - Themenbereiche: Nordrhein-Westfalen, Politik, Umwelt und Nachhaltigkeit, Wirtschaft
Ein Atomkraftwerk an einem Fluss bei Sonnenuntergang

Kurzfassung

Nur wenige Tage nach seinem Amtsantritt hat NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) sich zu einem früheren Kohleausstieg bekannt: „Für mich ist klar: Wir sind in Nordrhein-Westfalen zu einem Ausstieg aus der Kohle auch schon 2030 bereit“, betonte der Laschet-Nachfolger in seiner ersten Regierungserklärung. Dazu sei es wichtig, „Alternativen für eine sichere Stromversorgung“ zu schaffen. Welche Alternativen der neue Ministerpräsident genau im Sinn hat, lässt er bisweilen offen. Doch ein alter Bekannter kehrt auf die Bildfläche zurück: der nahezu totgesagte – aber vermeintlich CO2-arme – Atomstrom.

In Europa erlebt die Kernkraft eine Renaissance: Neben Frankreich will auch Großbritannien verstärkt auf Nuklearenergie als Brückentechnologie setzen, weil der Ausbau erneuerbarer Energien bekanntermaßen nicht schnell genug geht. Deutschland bleibt vorerst auf Anti-Atom-Kurs. Aber auch national plädieren einige prominente Vertreter:innen in der Politik für ein Umsteuern: Nach einem Bericht des WESTFALEN-BLATTES forderte etwa der CDU-Bundestagsabgeordnete Carsten Linnemann bei einer Versammlung der Jungen Union (JU) Anfang Oktober, Deutschland müsse eine neue Debatte über längere Laufzeiten für Kernkraftwerke führen.

In NRW reißt die Debatte alte Wunden auf

Zwar wurden die nordrhein-westfälischen Atomkraftwerke Würgassen und Hamm-Uentrop schon in den Jahren 1989 und 1994 abgeschaltet. Aber mit dem Zwischenlager in Ahaus oder der Urananreicherungsanlage in Gronau sind wichtige Betriebe der deutschen Nuklearwirtschaft noch immer hier beheimatet – sehr zum Unmut einer aktiven Anti-Atom-Bewegung, die sich seit Jahren mit allen Mitteln gegen die vermeintlichen Risiken wehrt. Auch drei Reaktorblöcke im grenznahen belgischen Tihange lösten in den vergangenen Jahren immer wieder Proteste aus.

Doch mit dem steigenden Energiebedarf steigt auch der Druck: Sollte man den deutschen Anti-Atom-Kurs überdenken? Kann Kernenergie im Kampf gegen den Klimawandel ein effizienter Energielieferant sein?

Acht Perspektiven

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„Klimaschutz klappt nur mit Kernkraft“

Cicero, 01.10.2021 - Alfred Voss

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Die Perspektive in 30 Sekunden

„Wie kann man als Bewegung, die das 1,5-Grad-Ziel einfordert und generationenübergreifende Klimagerechtigkeit anmahnt, den Atomausstieg und seine gravierenden Folgen für den Klimaschutz ignorieren?“, fragt sich der Energiewissenschaftler Alfred Voss. Um der Fridays-for-Future-Bewegung vor Augen zu führen, dass die notwendige Senkung der Treibhausgase nur mithilfe von Kernkraft möglich sei, hat er im politischen Magazin CICERO einen offenen Brief verfasst.

Nach Voss’ Dafürhalten sprechen die Fakten eine eindeutige Sprache. Hierzu führt er drei Argumente an:

  • Erstens habe der Atomausstieg schon in den vergangenen Jahren verhindert, die Treibhausgasemissionen drastischer zu reduzieren: „Ein Weiterbetrieb der 2011 vorhandenen Kernkraftwerke hätte die CO2-Emissionen im Jahr 2020 um rund 72 Millionen Tonnen senken können“, bilanziert Voss.
  • Zweitens verhindere das Ende der Kernenergie auch eine schnelle Minderung der Treibhausgasemissionen in dieser Dekade – denn ein Reduktionspfad, der kompatibel mit dem 1,5-Grad-Ziel ist, lasse sich mit dem Atomausstieg „praktisch nicht erreichen“.
  • In der Konsequenz führe das – drittens – dazu, dass das CO2-Budget schneller ausgeschöpft werde. „So würde eine Laufzeitverlängerung um zwölf Jahre zur Vermeidung von rund 540 Millionen Tonnen CO2 im Zeitraum bis 2035 führen“, kalkuliert Voss.

Dass ausgerechnet eine Klimaschutz-Bewegung wie Fridays for Future (FFF) bisher zum Atomausstieg schweige, führe in Deutschland zu „gravierenden kontraproduktiven Konsequenzen“. Aus Sicht des Energiewissenschaftlers werden die Aktivist:innen damit den eigenen Maßstäben nicht gerecht: „Der Slogan ‚Science not Silence‘, der bei Demonstrationen von FFF-Aktivisten zu sehen war, müsste doch auch für das Thema Kernenergieausstieg gelten“, gibt er zu bedenken.

Anmerkungen der Redaktion

Alfred Voss ist ein deutscher Energiewissenschaftler und ehemaliger Professor sowie Leiter des Instituts für Energiewirtschaft und Rationelle Energieanwendung an der Universität Stuttgart. Er hat Maschinenbau in Aachen studiert und drei Jahre später auch in Aachen promoviert. Anschließend arbeitete er als wissenschaftlicher Mitarbeiter bei einer Kernkraftforschungsanlage der Helmholtz-Gemeinschaft: Die Helmholtz-Gemeinschaft ist die größte Deutsche Gemeinschaft zur (finanziellen) Unterstützung von Forschung. 1983 ist Voss als Professor für Kernenergetik und Energiesysteme an die Universität Stuttgart berufen worden. Voss ist starker Befürworter der Kernenergie. In einem Artikel für die ZEIT schrieb er beispielsweise: „Ohne Nutzung der Atomkraft kann der Hunger nach Energie nicht gestillt werden.“

Der CICERO ist ein monatlich erscheinendes politisches Magazin, das im zweiten Quartal 2021 in einer verkauften Auflage von rund 43.800 Exemplaren erschienen ist (die verbreitete Auflage lag bei rund 46.000). Der CICERO ist 2004 von Wolfram Weimer gegründet worden, der bis 2010 Herausgeber war. Das Magazin gilt als traditionell konservatives Medium. Schwerpunkte der Berichterstattung liegen in den Bereichen Politik, Wirtschaft und Kultur. Das GOETHE-INSTITUT befindet, die Redakteur:innen zielten vor allem auf eine akademische Leser:innenschaft. Seit der Chefredaktion von Christoph Schwennicke und Alexander Marguier mehren sich auch Stimmen, die dem Magazin vorwerfen, inhaltlich nach rechts gerückt zu sein. Schwennicke ist im Januar 2021 aus der Redaktion ausgestiegen. Die TAZ und das Medienmagazin MEEDIA sehen den ehemaligen Kultur-Ressortleiter Alexander Kissler (seit August 2020 bei der NZZ) als treibende Kraft hinter diesem Rechtsruck. MEEDIA befindet, Kissler schreibe Texte, „für die das Label konservativ schon fast euphemistisch ist“; die TAZ sieht ihn an der Grenze zum Rechtspopulismus. ÜBERMEDIEN kennzeichnete den CICERO 2019 als „für ganz links zu rechts, für ganz rechts zu mittig“.

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„Die Atomkraft braucht eine neue Chance“

Handelsblatt, 15.02.2021 - Thomas Jahn

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Die Perspektive in 30 Sekunden

Die Atomkraft hat eine neue Chance verdient, findet der Journalist Thomas Jahn. Für einen erfolgreichen Kampf gegen den Klimawandel seien bahnbrechende Neuerungen erforderlich. „Einen wichtigen Beitrag könnten Innovationen im Bereich der Kernenergie leisten“, kommentiert er in der Wirtschafts- und Finanzzeitung HANDELSBLATT.

„Wer noch Zweifel hat, wie bedrohlich der Klimawandel ist und dass alles in unserer Macht Stehende unternommen werden muss, ihn zu bremsen, der sollte das neue Buch von Bill Gates lesen“, gibt Jahn zu bedenken. Denn der Microsoft-Gründer führe „glasklar und emotionslos“ vor Augen: Solaranlagen, Windräder und Elektroautos reichen bei Weitem nicht aus. „Was wir brauchen, ist viel, viel mehr Innovation – und zwar ohne Denkverbote“, appelliert Jahn. Auf Durchbrüche in Technologien wie Wasserstoff oder Kernfusion zu hoffen, greife „angesichts der ungeheuren wirtschaftlichen, menschlichen und ökologischen Schäden“ zu kurz. „Deshalb sollten auch andere völlig emissionsfreie Stromquellen wie die Atomkraft kein Tabu mehr sein“, fordert Jahn.

Weil die Entwicklung viele Jahre brauche, sei es wichtig, jetzt zu handeln. Gates gehe mit gutem Beispiel voran: „Der 65-Jährige fördert seit 2006 ein Start-up, das eine völlig neue Kernkraft verspricht: Terra Power arbeitet mit abgereichertem Uran, also Atommüll“, so Jahn. Auch werde Hoffnung auf kleinere Reaktoren gesetzt, die deutlich sicherer und effizienter sein sollen. „Wenn die Krise in einigen Jahrzehnten unsere Welt durchrüttelt, werden wir vielleicht eine andere Meinung über Kernkraft haben“, mahnt der Autor.

Anmerkungen der Redaktion

Thomas Jahn ist Journalist und Leiter des Technologie-Ressorts beim HANDELSBLATT. Der studierte Volkswirt und Politikwissenschaftler hat die Deutsche Journalistenschule in München absolviert und unter anderem für das Wirtschaftsmagazin CAPITAL gearbeitet. Für das HANDELSBLATT war er außerdem Korrespondent in New York. Jahns Artikel erscheinen auch des Öfteren in der WIRTSCHAFTSWOCHE.

Das HANDELSBLATT ist die auflagenstärkste deutschsprachige Wirtschafts- und Finanzzeitung. Sie wird zu den Leitmedien gezählt, also zu denen, die einen besonderen Einfluss auf die öffentliche Meinung und auf andere Massenmedien ausüben. 1946 erschien das Handelsblatt erstmals mit der Auflage der britischen Militärbehörden, das „friedliche Zusammenspiel von Arbeit und Kapital“ journalistisch im Einklang zu halten. Die Blattlinie des HANDELSBLATTS wird üblicherweise als wirtschaftsliberal angesehen. Das HANDELSBLATT finanziert sich durch Abonnements, Printverkäufe und Werbung. Es hat zwei Online-Bezahl-Modelle: „Premium“ und „Premium Plus“ und hostet außerdem Live-Events in Form von Tagungen, Trainings und Konferenzen.

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„Physikerin: Globale Erderwärmung wiegt schwerer als ein Restrisiko durch Kern-energie“

MDR, 19.10.2021 - Rafaela Hillerbrand

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Die Perspektive in 30 Sekunden

Die Physikerin Rafaela Hillerbrand hat einen Brief mitunterzeichnet, in dem Wissenschaftler:innen appellieren, nicht auf Kernenergie zu verzichten. Hillerbrand glaubt, dass die globale Erderwärmung deutlich schwerer wiegt als ein Restrisiko durch Nukleartechnik: „Risiko ist ja immer Schaden mal Eintrittswahrscheinlichkeit“, gibt sie im Interview mit dem MITTELDEUTSCHEN RUNDFUNK (MDR) zu bedenken. Und die Wahrscheinlichkeit eines nuklearen Unfalls sei in Deutschland äußerst gering.

Die Angst vor Unglücken wie in Tschernobyl oder Fukushima hält Hillerbrand für unbegründet: So sei Tschernobyl durch einen anderen Reaktortyp ausgelöst worden und auch die Rahmenbedingungen in Japan können aus Sicht der Wissenschaftlerin nicht auf Deutschland übertragen werden. „Die sechs noch laufenden [deutschen] Kernkraftwerke sind sicherlich weltweit gemessen sehr, sehr sichere Kernkraftwerke“, stellt Hillerbrand klar. Außerdem habe es in Fukushima nur einen Toten aufgrund von radioaktiver Belastung gegeben – nach einem Unglück in einem für „diesen Standort nicht ordentlich gesicherten Kernkraftwerk“, ausgelöst durch einen Tsunami, der bei uns nicht einmal auftreten könne.

Aus Sicht der Wissenschaftlerin wird zu selten betrachtet, dass auch die Schäden einer Klimaerwärmung zulasten von Menschenleben gehen – und diese Schäden seien „kaum bezifferbar“. So werde etwa die zunehmende Ressourcenknappheit soziale Ungleichheiten verstärken und in der Folge zu Kriegen führen, die uns „in eine andere Welt bringen werden“. Hillerbrand resümiert: „Ich glaube tatsächlich, dass die Klimaerwärmung momentan eines der größten Probleme ist, die wir haben.“

Anmerkungen der Redaktion

Rafaela Hillerbrand ist eine deutsche Physikerin und Philosophin sowie Professorin am Karlsruher Institut für Technologie (KIT). Sie studierte im Doppelstudium Physik mit den Nebenfächern Chemie und Strömungsmechanik sowie Philosophie mit dem Nebenfach Politikwissenschaft an der Universität Erlangen-Nürnberg. Nachdem sie zunächst an einem Physik-Institut als wissenschaftliche Mitarbeiterin angestellt war, promovierte sie 2005 im Fach Philosophie. Während ihrer Promotion ist sie wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für theoretische Physik in Münster gewesen. Nach ihrer Promotion in der Philosophie ist sie für zwei Jahre als Research Fellow an die renommierte University of Oxford in Großbritannien gewechselt. Währenddessen promovierte sie in der Physik. Seit 2015 ist sie Professorin für Technikethik und Wissenschaftsphilosophie am KIT. 

Der MITTELDEUTSCHE RUNDFUNK (MDR) ist die Landesrundfunkanstalt für das Land Sachsen-Anhalt sowie für die Freistaaten Sachsen und Thüringen. 1991 wurde der MDR gegründet und startete 1993 auch im Fernsehen. Der MDR ist Teil der öffentlich-rechtlichen Sender und Mitglied der ARD. Er wird hauptsächlich über die Rundfunkgebühren finanziert. Durch den Rundfunkstaatsvertrag ist die Unabhängigkeit und Überparteilichkeit festgeschrieben. Zu den Radiosendern gehören MDR Sachsen, MDR Sachsen-Anhalt, MDR Thüringen, MDR Jump, Sputnik, MDR Tweens, MDR Kultur, MDR Aktuell und MDR Klassik. Seine Auslandskorrespondent:innen hat der MDR in Brüssel, Washington, Paris, Zürich, Prag, Neu-Delhi und Shanghai. Intendantin ist seit 2011 die Juristin Karola Wille. Der MDR betreibt außerdem das Portal MDR360G, das einen umfassenden Blick über die Medienwelt ermöglichen soll: indem Analysen, Texte und Videos zum Thema Medien und Funktionsweise der Medien auf MDR360G veröffentlicht werden.

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„Eine vergiftete Alternative“

Deutschlandfunk Kultur, 28.10.2021 - Christian von Hirschhausen, Ute Welty

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Die Perspektive in 30 Sekunden

Wenn die Europäische Union zugunsten des Klimas auf Kernenergie setzt, wäre das ein fataler Schritt, meint der Wirtschaftsforscher Christian von Hirschhausen. „Die Kernkraft ist seit ihrer Entstehung in den 1940er-Jahren eine extrem gefährliche Technologie“, mahnt der Wissenschaftler im Gespräch mit Moderatorin Ute Welty für den Hörfunksender DEUTSCHLANDFUNK KULTUR.

Einerseits komme es – auch abseits der bekannten Katastrophen wie Tschernobyl oder Fukushima – weltweit immer wieder zu Unfällen, und zwar „in jeder Dekade“ und „in jedem Land, in dem Kernkraft betrieben wird“. Andererseits gebe es nach wie vor niemanden, der sich ernsthaft mit der Frage der Endlagerung der radioaktiven Abfallstoffe beschäftige. „Damit lassen wir ein historisches Erbe zurück, was uns über eine Million Jahre beschäftigen wird“, warnt von Hirschhausen. Auch neue Technologien wie die „Small Modular Reactors“ (SMR) – also kleine und vermeintlich sichere Reaktoren – seien längst nicht weit genug entwickelt, um in den nächsten zwanzig oder dreißig Jahren einsatzfähig zu sein.

Mit einer deutlichen Absage an die Kernenergie sei Deutschland eigentlich auf dem richtigen Kurs. Für umso wichtiger hält von Hirschhausen es jetzt, sich gegen die Versuche Frankreichs und anderer Länder zu wehren, wenn es darum gehe, die „Kernkraft grün anzustreichen“. Wenn die EU der Atomkraft ein Nachhaltigkeitssiegel verleihe, sei das nichts als ein „schmutziger Deal“, mahnt von Hirschhausen.

Anmerkungen der Redaktion

Ute Welty ist Journalistin. Sie ist ehrenamtliches Mitglied des Vorstands der Bundespressekonferenz. Sie arbeitete für den SWR, den WDR und die WESTDEUTSCHE ALLGEMEINE ZEITUNG. Beim SWR war sie Redaktionsleiterin des Formats „Das Ding“, sowie Chefin vom Dienst bei SWR 3. 2007 wurde sie mit dem Grimme Online Award für den TAGESSCHAU-Blog der ARD ausgezeichnet. Seit 2010 arbeitet Welty als freie Autorin und Moderatorin. Welty hat Publizistik in Bochum studiert.

Christian von Hirschhausen ist ein deutscher Wirtschaftswissenschaftler und Professor für Wirtschafts- und Infrastrukturpolitik an der TU Berlin. Er hat Volkswirtschaftslehre in den USA und Wirtschaftsingenieurwesen in Berlin studiert. Danach promovierte er an der renommierten École nationale supérieure des mines in Paris und habilitierte sich 2002 an der TU Berlin. Nachdem er fünf Jahre als Professor an der TU Dresden gearbeitet hatte, folgte er 2009 einem Ruf an die TU Berlin. Er ist außerdem Forschungsdirektor am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin. Das DIW ist das größte deutsche Wirtschaftsforschungsinstitut und gibt beispielsweise das DIW-Konjunkturbarometer heraus: eine Schätzung der Lage der deutschen Konjunktur.

DEUTSCHLANDFUNK KULTUR ist neben dem DEUTSCHLANDFUNK und DEUTSCHLANDFUNK NOVA eines der drei Programme des öffentlich-rechtlichen DEUTSCHLANDRADIOS. Im Gegensatz zu den beiden anderen Programmen liegt der Redaktionssitz von DEUTSCHLANDFUNK KULTUR in Berlin. Der Sender beschreibt sich selbst als „das Feuilleton im Radio“. Er hat es sich selbst zur Aufgabe gemacht, „die Kulturalisierung der Politik und die Politisierung der Kultur“ voranzutreiben. Laut der Mediaanalyse "ma Audio 2021" schalten täglich rund 600.000 Menschen den Kultursender des DEUTSCHLANDRADIOS ein.
 

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„Atomstrom als Klimaretter?“

Der Standard, 03.11.2021 - Peter Weish

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Die Perspektive in 30 Sekunden

Der Naturwissenschaftler Peter Weish glaubt nicht, dass Atomstrom den Klimawandel eindämmen kann.Vielmehr sei das Gegenteil der Fall:Das Atomenergiesystem ist jahrzehntelang ein Energieverbraucher, kein Energielieferant – und auch keine sinnvolle Übergangslösung“, argumentiert er in seinem Kommentar für die österreichische Tageszeitung DER STANDARD.

Das „zuletzt immer wieder propagierte“ Versprechen, die Kernenergie könne „mit beinahe Nullemissionen an Treibhausgasen“ das Klima retten, hält Weish für eine Mär. Zu häufig werde die Leistungsfähigkeit von Atomkraftwerken nur anhand ihres reinen Betriebs beurteilt. Dabei schwäche die lange Errichtungszeit der Meiler, aber auch der Abbau des notwendigen Brennstoffs Urans und dessen Anreicherung die Energiebilanz deutlich. Auch die langfristige Entsorgung des radioaktiven Atommülls fließe nicht in Kalkulationen mit ein, sodass die Technologie deutlich mehr CO2 ausstoße, als häufig angenommen. Daneben erfordere es deutlich mehr Kraftwerke, um fossile Brennstoffe zu ersetzen. Diese Kapazität müsste laut Weish erst jahrzehntelang aufgebaut werden: „Selbst unter optimistischen Annahmen ist ein solches expandierendes Atomenergiesystem jahrzehntelang kein Energielieferant, sondern ein Energieverbraucher.“

Außerdem seien die Rohstoffe, die die Kraftwerke befeuern, begrenzt. Laut Weish wären Uranerze mit hohem Urangehalt bei einer derart großen Atomkraftkapazität in wenigen Jahren verbraucht. Es müsse dann auf ärmere Erze zurückgegriffen werden, „was den Energieaufwand zur Erzeugung des Kernbrennstoffs so stark erhöhen würde, dass eine direkte Verbrennung der fossilen Energieträger weniger CO2-Emissionen ergeben würde als über den Umweg Atomkraft“, so der Autor.

Anmerkungen der Redaktion

Peter Weish ist ein österreichischer Biologe und Umweltaktivist. Er hat Biologie, Chemie und Physik an der Universität Wien studiert. Nach seiner Promotion hat er als Mitarbeiter am Institut für Strahlenschutz in einem Reaktorzentrum gearbeitet. Nach mehreren Stellen als wissenschaftlicher Mitarbeiter im Bereich der Ökologie hat sich Weish 1992 zum Thema „Beitrag der Humanökologie zur Technikbewertung am Beispiel der Kernenergie“ habilitiert. Seitdem arbeitet Weish als Dozent für Humanökologie an der Universität Wien. 2018 gewann er für seinen Einsatz gegen die Atomenergie den „Nuclear-Free Future Award“ der Nuclear-Free Future Award Foundation: Die Nuclear-Free Future Award Foundation finanziert sich über Spenden und Benefizveranstaltungen und wurde vom Atomwaffen-Gegner und Unternehmer Franz Moll ins Leben gerufen.

DER STANDARD ist eine österreichische Tageszeitung mit Sitz in Wien. Die Zeitung wurde 1988 nach dem Vorbild der New York Times gegründet und erhielt 1994 den ersten Onlineauftritt aller deutschsprachigen Zeitungen. DER STANDARD gilt im Vergleich zu anderen österreichischen Blättern als linksliberale Zeitung. Gründer Oscar Bronner sagte der TAZ: „Ich war politisch immer ein Liberaler, aber eher links der Mitte sozialisiert.“ EUROTOPICS beschreibt die Zeitung als linksliberales Qualitätsmedium, das insbesondere in der Einbindung seiner Nutzer:innen eine Vorreiterrolle einnehme. Der STANDARD hatte im Jahr 2020 eine verkaufte Auflage von knapp 55.000.

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„Zu teuer, zu unflexibel“

Die Tageszeitung (taz), 21.10.2021 - Bernward Janzing

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Die Perspektive in 30 Sekunden

Bernward Janzing hält eine mögliche Laufzeitverlängerung für die sechs deutschen Atomkraftwerke für ein Hirngespinst. Denn die Rechnung werde ohne die Betreiber gemacht: „Schwer vorstellbar, dass sich auch nur einer der ehemals vier Atomkonzerne nochmals auf dieses wirtschaftliche Abenteuer einlassen mag“, kommentiert der Journalist in der TAGESZEITUNG (TAZ).

Zu groß sei das Risiko der bislang ungeklärten Frage nach einem geeigneten Endlager für radioaktive Abfälle. In dem Deal, den der Staat zuletzt mit den Atomkonzernen schloss, um das Müllproblem für diese zu lösen, sieht Janzing für die Industrie eine einmalige Gelegenheit: „Wie groß war doch deren Erleichterung, als sie im Juli 2017 mit Milliardenzahlungen das Kostenrisiko des Atommülls an einen staatlichen Fonds übertragen und so das Entsorgungsrisiko elegant aus ihren Büchern verbannen konnten“, überspitzt Janzing. Für die Betreiber mache das eine Fortführung der Kernenergie äußerst unattraktiv: „Jede Verlängerung von Laufzeiten würde das Entsorgungsthema erneut aufwerfen, die Firmenbilanzen aufs Neue belasten und damit womöglich auch Aktienkurse und Rating.“

Auch den Neubau von Kraftwerken hält Janzing aus wirtschaftlicher Sicht für unwahrscheinlich: Diese seien „spätestens dann tot, wenn man einfordert, dass die Investition dann bitte auf eigenes Kostenrisiko und nur mit ausreichender Haftpflichtversicherung erfolgen möge“. Im Gegensatz zu den erneuerbaren Energien sei es bei der Atomkraft schwer vorstellbar, dass sie eines Tages – Entsorgung eingerechnet – auf eigenen Beinen stehen wird. „Wer betriebswirtschaftlich denkt, lässt daher die Finger von neuen Atomkraftwerken“, resümiert Janzing.

Anmerkungen der Redaktion

Bernward Janzing ist ein deutscher freiberuflicher Journalist. An der Universität Freiburg hat er Geografie, Geologie und Biologie studiert und hat bereits während seines Studiums als freier Autor gearbeitet. 1993 bis 1995 absolvierte er ein Volontariat bei der BADISCHEN ZEITUNG. Danach hat Janzing unter anderem für die TAZ, den STERN und die FINANCIAL TIMES DEUTSCHLAND gearbeitet. Für diverse Medien schreibt Janzing heute über Energie, Rohstoffe, Geldanlagen, Klimaschutz, Mobilität und Technik.

Die TAGESZEITUNG (TAZ) ist eine überregionale deutsche Tageszeitung. Sie wurde 1978 als alternative, selbstverwaltete Zeitung – unter anderem vom Grünen-Politiker Hans-Christian Ströbele – gegründet. Die Zeitung hat sich besonders in ihrer Anfangszeit an Linke, Studierende, Grüne und die Hausbesetzer-Bewegung gerichtet. Erklärtes Ziel der TAZ ist es seither, eine Gegenöffentlichkeit zu schaffen. Sie gehört heute zu den zehn größten überregionalen Tageszeitungen in Deutschland, mit einer verkauften Auflage von rund 48.900 Exemplaren (3/2021). Das Goethe-Institut verortet die TAZ als „grün-linkes“ Blatt und betont besonders die oft sehr kritische Berichterstattung der Zeitung. Eurotopics sieht die TAZ als linkes Medium und stellt die gestaffelte Preisgestaltung und die Entscheidung gegen Online-Bezahlschranken als Besonderheiten der Zeitung heraus. Die TAZ wird genossenschaftlich herausgegeben, jährlich findet eine Generalversammlung statt, an der jedes der zuletzt (2021) rund 20.000 Mitglieder teilnehmen kann.

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„Zehn Jahre nach Fukushima: Auf Spurensuche in NRW“

WDR, 11.03.2021 - Thomas Wenkert, Till Hafermann

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Die Perspektive in 30 Sekunden

Zehn Jahre nach der Nuklearkatastrophe von Fukushima haben sich die Journalisten Thomas Wenkert und Till Hafermann im Westen auf Spurensuche begeben: Wie sieht es nach dem Beschluss der Bundesregierung, aus der Kernkraft auszusteigen, heute in NRW aus? Ihre Ergebnisse haben sie in einem Beitrag für den WESTDEUTSCHEN RUNDFUNK (WDR) zusammengefasst.

Zwar werde in Nordrhein-Westfalen seit vielen Jahrzehnten kein Kernkraftwerk mehr betrieben. Dennoch stelle das Land eine wichtige Drehscheibe für die Atomindustrie dar – etwa wegen des Brennelemente-Zwischenlagers in Ahaus oder Deutschlands einziger Urananreicherungsanlage in Gronau.

Auch in Jülich habe die Atomindustrie ihre Spuren hinterlassen: Nach den Recherchen von Wenkert und Hafermann lagern dort 300.000 Brennelemente-Kugeln aus dem ehemaligen Forschungsreaktor. „Doch nicht nur die Standorte im Land machen der Anti-Atom-Bewegung Sorgen“, stellen die Autoren fest. Auch die belgischen Kraftwerke in Tihange und Doel seien ihr ein Dorn im Auge – denn diese gerieten in den letzten Jahren immer wieder durch Pannen in die Schlagzeilen.

Zehn Jahre nach dem Unglück von Fukushima sei die Bilanz in NRW aus Sicht von Aktivist:innen eher enttäuschend: Denn ihre Forderung, die Urananreicherung in Gronau zu beenden, lehne die Landesregierung ab. Auch am Brennelemente-Export ins Ausland wolle sie festhalten, weil Deutschland bei einem kompletten Atomausstieg die Mitgliedschaft in der Internationalen Atomenergie-Organisation verliere.
 

Anmerkungen der Redaktion

Thomas Wenkert ist Journalist beim WDR. Er berichtet schwerpunktmäßig über Themen aus Nordrhein-Westfalen: beispielsweise über die Räumung des Dorfes Lützerath zur Förderung von Kohlekraft oder über die Flutkatastrophe in Nordrhein-Westfalen. Er produziert für den Hörfunk und schreibt für den Online-Auftritt des WDR.

Till Hafermann ist Redakteur beim WDR. Er hat an der Universität Hohenheim Kommunikationswissenschaft im Bachelor studiert und seinen Master in Kommunikationswissenschaft an der Universität Mainz absolviert. Während seines Bachelor-Studiums hat er bei einem Campusradio gearbeitet. Zu Beginn seines Master-Studiums hat er angefangen, beim HESSISCHEN RUNDFUNK zu arbeiten; zunächst als Online-Redakteur, später als Radioreporter und dann als Datenjournalist. 2019 hat er beim WDR angefangen: zunächst als frei angestellter Social-Media-Redakteur, seit 2021 als fest angestellter Redakteur.

Der WDR ist die größte der neun Landesrundfunkanstalten der ARD. Er entstand 1956, als sich der NWDR in den NDR und den WDR aufteilte. Die Sendeanstalt hat sechs Radioprogramme und einen Fernsehsender, zu dessen bekanntesten Programmen unter anderem das Politmagazin „Monitor“, die „Sportschau“ oder das Kinderangebot „Die Sendung mit der Maus“ gehören. Laut eigenen Angaben ist der Sender nach Anzahl der Beschäftigten das zweitgrößte Medienunternehmen Europas hinter der BBC. Laut der „Media-Analyse 2021“ erreicht der Fernsehsender des WDR in Deutschland täglich rund 8 Millionen Zuschauer:innen, der Radiosender erreicht rund 11 Millionen Zuhörer:innen. Der Webauftritt des WDR hatte im Oktober 2021 laut Similarweb rund 15 Millionen Besuche zu verzeichnen.
 

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„Was die Ampel-Verhandler aus Belgiens Atomstreit lernen können“

Die Welt, 09.11.2021 - Barbara Moens, Camille Gijs, Jessica Wagener

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Die Perspektive in 30 Sekunden

Im November entscheidet die belgische Regierung, ob sie an dem Beschluss festhält, ihre sieben Atomreaktoren bis 2025 abzuschalten. In NRW hoffen viele auf das Aus der drei grenznahen Atommeiler in Tihange. Warum es dazu vielleicht doch nicht kommt, beschreibt die POLITICO-Reporterin Barbara Moens gemeinsam mit Redaktionsassistentin Camille Gijs. Für die Tageszeitung Die WELT wurde der Beitrag von der Journalistin Jessica Wagener aus dem Englischen übersetzt.

Die Autor:innen beschreiben die belgische Sieben-Parteien-Koalition in der Kernkraft-Debatte als „tief gespalten“: Die grüne Energieministerin Tinne Van der Straeten plädiere dafür, die Atomreaktoren vom Netz zu nehmen – und stattdessen neue Gaskraftwerke zu bauen. Doch bei den Koalitionspartner:innen, wie der liberalen MR-Partei, stoße das auf heftigen Widerstand. „Einige warnen davor, dass bei einer Eskalation des Streits sogar die Regierung zerbrechen könnte“, so Moens und Gijs.

Darin erkennen die Autor:innen ein Dilemma, mit dem auch andere europäische Länder konfrontiert seien: „Einige sind zunehmend unsicher, ob sie den geplanten Kernenergieausstieg fortsetzen sollen – und fragen sich, ob die Vorteile der kohlenstoffarmen Kernenergie die Risiken nicht doch überwiegen“, analysieren sie. Denn einerseits sei – auch in Belgien – alles für den Atomausstieg vorbereitet. Andererseits: Der Klimawandel habe die Stimmung vielerorts verändert.

Zwar bestehe die belgische Energieministerin darauf, dass der Zeitpunkt des Atomausstiegs „keine ideologische Entscheidung“ sei, sondern „eine technische“. Und doch stecke die grüne Partei damit in einer Zwickmühle: „Wenn sie dieses symbolträchtige Thema nicht für sich entscheiden, werden die Leute sich fragen, welche Rolle sie in der Koalition spielen. Aber wenn sie es tun, werden sie mit Kritik für steigende Emissionen und Energiepreise konfrontiert, ob die nun gerechtfertigt ist oder nicht“, zitieren Moens und Gijs den Politikwissenschaftler Carl Devos.

Anmerkungen der Redaktion

Der Originalartikel wurde in der englischsprachigen Wochenzeitung POLITICO veröffentlicht.

Barbara Moens ist Handelsreporterin beim EU-Ableger des US-Magazins POLITICO. Vor ihrer Zeit bei POLITICO hat Moens für die belgische Tageszeitung DE TIJD gearbeitet. Moens hat Geschichte und internationale Beziehungen im belgischen Leuven, in Strasbourg und in Brüssel studiert. Außerdem ist sie mit dem renommierten Fulbright-Stipendium als Journalistin an der amerikanischen Missouri School of Journalism gewesen. Mittlerweile lehrt sie Journalismus an der Universität Brüssel.

Camille Gijs ist Assistentin in der Nachrichtenredaktion des EU-Ablegers des US-Magazins POLITICO. Vorher schrieb Gijs für das Parlaments-Magazin des EU-Parlaments und arbeitete als Fundraiserin für die International Crisis Group: eine Nichtregierungsorganisation, die sich der Lösung internationaler Konflikte verschrieben hat. Die International Crisis Group wird hauptsächlich von westlichen Regierungen sowie Stiftungen und Konzernen wie der McKinsey Group oder der Open Society Foundation von George Soros finanziert und steht als Politikberatung den Regierungen zur Seite. Gijs hat Internationale öffentliche Verwaltung und Politik an der Erasmus-Universität in Rotterdam studiert.

Jessica Wagener ist freie Journalistin, Bloggerin und Autorin. 2014 erschien ihr Buch „Narbenherz: Wie ich auszog, die Welt zu sehen und den Krebs zu vergessen“, das die Verarbeitung ihrer Gebärmutterhalskrebs-Erkrankung durch eine Weltreise schildert. Wagener hat in ihrer Karriere für mehrere Redaktionen gearbeitet: darunter die BILD, die Frauenzeitschrift INTOUCH, die WELT und ZE.TT, das Online-Magazin der ZEIT für junge Erwachsene. Momentan lebt und Wagener in Schottland: um als freie Journalistin aus dem Vereinigten Königreich zu berichten und in Glasgow Literatur zu studieren.

DIE WELT ist eine überregionale Tageszeitung mit Sitz in Berlin, die zum Axel Springer Konzern gehört. Sie wurde 1946 gegründet und erschien zuletzt in einer verkauften Auflage von knapp 72.000 Exemplaren (3/2021). Anfang 2010 lag diese noch bei über 250.000. Chef-Redakteurin der WELT ist seit 2019 Dagmar Rosenfeld. EUROTOPICS bezeichnet die WELT als konservativ. In ökonomischen Fragen positioniert sich die Zeitung meist wirtschaftsliberal. Das Goethe-Institut urteilt, die WELT ziele in ihrer Printausgabe auf „mittelständische Unternehmer und Selbstständige, die konservative Werte schätzen“. Auch WELT-Autor:innen bekennen sich zu den Leitlinien des Axel-Springer-Verlages, die unter anderem ein Eintreten für „die freie und soziale Marktwirtschaft“ sowie Solidarität mit den USA und Israel fordern.