Essen in 10 Minuten: Debatte um Express-Lieferdienste in NRW

02.12.2021 - Themenbereiche: Digitalisierung/Digitale Gesellschaft, Gesellschaft, Nordrhein-Westfalen, Wirtschaft
Ein einsamer Lieferkurier fährt über eine mit Schnee bedeckte Schnellstraße mit dem Fahrrad

Kurzfassung

Per Mausklick ans Kühlregal – spätestens seit der COVID-19-Pandemie haben virtuelle Supermärkte Hochkonjunktur. Während neue Anbieter auf dem boomenden E-Food-Markt nur so aus dem Boden sprießen, werben Start-ups wie Flink oder Gorillas jetzt mit einer minutenschnellen Lieferung – und hoffen so auf einen Vorsprung vor dem Wettbewerb wie dem in NRW expandierenden Dienstleister Picnic. Wem in Großstädten wie Köln, Bonn oder Essen also ein Ei für den Kuchen fehlt, bei dem könnte der Fahrradkurier klingeln, noch bevor der Ofen vorgeheizt ist.

Darauf setzt auch das türkische Start-up Getir: Nach seinem deutschen Debüt in Berlin drängt der Player bald auch auf den Kölner E-Food-Markt. Vor allem Jüngere dürfte das freuen: Laut einer im November veröffentlichten BITKOM-Studie haben 17 Prozent der 16- bis 29-Jährigen schon einmal bei einem Express-Lieferdienst bestellt. BITKOM-Hauptgeschäftsführer Bernhard Rohleder glaubt an einen nachhaltigen Trend: „Neue Geschäftsmodelle wie Express-Lebensmittellieferungen werden dafür sorgen, dass auch unabhängig von Corona immer mehr Lebensmittel online gekauft werden.“

Kritik von Beschäftigten und Anwohner:innen nimmt zu

Doch während einige die Blitz-Lieferdienste feiern, wittern andere dahinter ein faules Geschäftsmodell: So stehen etwa die Arbeitsbedingungen der sogenannten „Rider“ immer wieder am Pranger. Berliner Gorilla-Angestellte erkämpften sich kürzlich nur durch monatelange Streiks einen Betriebsrat – der massiven juristischen Gegenwehr des Konzerns zum Trotz. Dazu legen soziale Spannungen den Express-Lieferdiensten Steine in den Weg: Anbieter Flink etwa, der auf seinem NRW-Expansionskurs ein neues Depot in Mönchengladbach eröffnete, löste mit einem Dutzend Fahrrädern – vor dem Laden auf dem Gehweg geparkt – massive Proteste der Anwohner:innen aus.

Ist der Preis, den andere für die bequemen Express-Lieferungen aus virtuellen Supermärkten zu zahlen haben, zu groß? Oder brauchen wir unser Essen in 10 Minuten?

Acht Perspektiven

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„Liefer-Startup Gorillas: Auf dem Weg zu 100 Millionen Umsatz und der Milliarden-Bewertung?“

OMR, 25.01.2021 - Kağan Sümer, Christian Cohrs, Philipp Westermeyer

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Die Perspektive in 30 Sekunden

Der Lieferdienst Gorillas bringt Supermarkt-Artikel innerhalb von zehn Minuten bis zur Haustür. Gründer Kağan Sümer ist überzeugt, dass sein Start-up damit ein Grundbedürfnis der Menschen stillt. Im OMR Podcast mit Philipp Westermeyer – zusammengefasst von Content Strategist Christian Cohrs – macht Sümer deutlich, warum er glaubt, dass die Idee auf dem deutschen Markt bestehen wird: „Das Modell ist einfach wunderschön. Nicht, wegen der zehn Minuten. Sondern weil es so primitiv ist.“

Aus seiner Sicht befriedigen die schnellen „Emergency-Einkäufe“ ein urmenschliches Bedürfnis: „Ich glaube nicht, dass es jemals einen Höhlenmenschen gegeben hat, der gesagt hat: Wir gehen jetzt nicht jagen, wir warten bis Samstag und dann gehen wir alle zusammen auf die Jagd“, argumentiert Sümer. Bedürfnisse aufzuschieben liege nicht in unseren Genen: Daher biete Gorillas seinen Kund:innen eine gänzlich neue Service-Dimension.

Das Geschäftsmodell habe auch mit seinen eigenen Kindheitserinnerungen aus der Türkei zu tun. „Wir haben unsere Einkäufe damals so erledigt“, erzählt Sümer. „Meine Mutter hat das Fenster aufgemacht und gerufen. Zwei Brote, Eier und so weiter. Und der Kiosk gegenüber hat die Waren dann gebracht und meine Mutter hat einen Korb heruntergelassen. Das Ganze hat zehn Minuten gedauert.“

Anmerkungen der Redaktion

Kağan Sümer ist der Gründer des Start-up-Lieferdienstes Gorillas. Den Lieferdienst hat Sümer 2020 gegründet, nachdem er unter anderem für die Unternehmensberatung Bain & Company tätig gewesen ist, zudem noch das Start-up-Beteiligungsunternehmen Rocket Internet SE gegründet hat und für das Möbel-Mietunternehmen Lyght Living gearbeitet hat. Gorillas funktioniert nach dem Vorbild des US-Start-ups goPuff: Lebensmittel können online bestellt werden und werden dann per Fahrradkurier nach Hause geliefert. Das Unternehmen ist mehrere Male in Kritik geraten, seine Angestellten nicht richtig zu bezahlen, eine zu lange Probezeit zu fordern und die Bildung von Betriebsräten zu verhindern. Sümer ist vor dem Arbeitsgericht Berlin mehrmals bei dem Versuch gescheitert, eine Betriebsratswahl zu verhindern.

Christian Cohrs ist Redakteur und Content-Manager bei der Ramp 106 GmbH aus Hamburg. Er hat Theaterwissenschaft und Germanistik in Bochum studiert und später als freier Mitarbeiter für verschiedene Medien der Verlagsgruppe Gruner + Jahr gearbeitet. Danach ist er sechs Jahre lang für das Wirtschaftsmagazin BUSINESS PUNK tätig gewesen: zunächst als Redakteur, später als Redaktionsleiter. Seit 2020 arbeitet Cohrs für Ramp 106.

Philipp Westermeyer ist einer der Gründer der „Online Marketing Rockstars“ (OMR). Er hat zunächst Business Administration in Dortmund und später Media Science & Management in Hamburg studiert. Daraufhin hat er zwei Jahre lang als geschäftsführender Assistent des geschäftsführenden Vorstands beim Verlag Gruner + Jahr gearbeitet. Nach zwei weiteren Jahren als Investment Manager bei Gruner + Jahr hat er die Start-ups adyard und Metrigo gegründet, welche anschließend an Zalando und Outbrain verkauft worden sind. 2009 hat Westermeyer zusammen mit Tobias Schlottke, Christian Müller und Christian Byza OMR gegründet. Bei OMR betreibt Westermeyer seit 2015 einen eigenen Podcast, hauptsächlich über das Thema digitales Marketing.

OMR steht kurz für „Online Marketing Rockstars“ und ist eine Online-Informationsplattform für digitales Marketing und Technologien. Auf der Online-Plattform werden täglich Artikel zum Thema digitales Marketing veröffentlicht, die von einer eigenen Redaktion geschrieben werden. Die Plattform wird von der Ramp 106 GmbH betrieben, ein relativ junges Medienunternehmen mit Sitz in Hamburg. Gegründet worden ist Ramp 106 im Jahr 2010. Die Ramp 106 GmbH betreibt die Online-Plattform OMR sowie das jährliche OMR-Festival, bei dem Marketing-Expert:innen aus ganz Europa zusammenkommen. Laut der HORIZONT-Zeitschrift, einer Fachzeitschrift für Medien, ist das OMR-Festival ein „must visit für alle, die sich über Digitalmarketing schlaumachen wollen“. Neben der Online-Plattform und dem OMR-Festival veröffentlicht Ramp 106 auch einen Podcast zum Thema digitales Marketing. Laut Similarweb hatte der Online-Auftritt von OMR im Oktober 2018 rund 388.000 Besuche zu verzeichnen.

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„Warum ich mir von Gorillas gerne einen Schokoriegel bringen lasse“

Business Insider, 13.09.2021 - Georg Räth

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Die Perspektive in 30 Sekunden

Der Redakteur Georg Räth lässt sich von Express-Lieferdiensten gerne einen Schokoriegel bringen. Er plädiert dafür, die ambitionierten Ideen junger Startups zu unterstützen. „Die Unternehmen treiben Innovationen voran“, lobt er im Onlinemagazin GRÜNDERSZENE, einer Medienmarke von BUSINESS INSIDER DEUTSCHLAND.

Kreative Geschäftsmodelle mit einseitigen Argumenten zu blockieren, hält Räth für falsch – denn unsere Zukunft hänge maßgeblich von Innovationen ab. „Sonst hätten wir während der Pandemie nicht auf Bargeld verzichtet und kontaktlos bezahlen können, dürften von Künstlicher Intelligenz keine medizinischen Durchbrüche erwarten oder müssten bis zum letzten Tropfen Erdöl in Verbrennern herumfahren.“ Umso wichtiger sei es, Innovationen nicht zu scheuen: „Auch nicht diese.“ 

Über Kritik an der minutenschnellen Lieferung kann Räth nur lachen: „Warum ist eine Lieferzeit von zehn Minuten inakzeptabel, aber wenn Amazon in 24 oder 48 Stunden liefert, ist es gesellschaftlich akzeptiert?“. Er hält es für wichtig, Innovationen nicht auszubremsen – und den Markt entscheiden zu lassen. Seine Prognose: „Schnelle Lieferservices wie Gorillas oder Flink werden Alltag – und das ist gut so.“

Anmerkungen der Redaktion

Georg Räth ist ein deutscher Journalist und seit 2010 Teil der Redaktion des Onlinemagazins GRÜNDERSZENE. Hier berichtet der studierte Medieninformatiker vor allem über Themen rund um Gaming und Tech. Das GRÜNDERSZENE-Magazin ist eine Medienmarke von BUSINESS INSIDER DEUTSCHLAND und bietet Nachrichten, Hintergründe, Analysen und Reportagen über die Branche. Laut eigener Aussage verzeichnet das Magazin online monatlich rund 1,7 Millionen Besuche.

BUSINESS INSIDER ist ein US-amerikanisches Unternehmen, das seit 2009 mehrere Nachrichtenseiten betreibt. Neben einer Website für globale Themen aus Politik und Wirtschaft gibt es auch den „Tech Insider“ oder „Markets Insider“. Zudem betreibt BUSINESS INSIDER Onlineausgaben für Australien, Indien, Malaysia, Indonesien, Singapur, China, Großbritannien, Südafrika und Dienste in den Landessprachen für Deutschland und Polen. Seit 2015 hält die Axel Springer SE 97 Prozent der Unternehmensanteile, den Rest besitzt Unternehmer Jeff Bezos, Gründer von Amazon und Investor der WASHINGTON POST. Die Website wurde mehrfach öffentlich für ihre polarisierenden Schlagzeilen, das sogenannte Clickbaiting, kritisiert. BUSINESS INSIDER betreibt ferner eigenständige Redaktionen wie die Redaktion des Online-Magazins GRÜNDERSZENE, die in einem blogartigen Format Artikel für Gründer, Startups und Investoren aus der Digitalwirtschaft veröffentlichen.

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„Brauchen wir Zehn-Minuten-Lieferdienste?“

Die Welt, 13.10.2021 - Rainer Marx

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Die Perspektive in 30 Sekunden

Lieferdienste können den Tag retten, macht der Autor Rainer Marx deutlich. Egal, ob eine fehlende Zutat das Gericht zu ruinieren drohe oder der Sekt für den plötzlichen Anlass fehle: „Es gibt immer nur ein Jetzt, und genau darin liegt die Stärke eines Zehn-Minuten-Lieferdienstes“, schwärmt er in seinem Kommentar für die Tageszeitung DIE WELT.

Geschwindigkeit ist immer auch Freiheit“, findet Marx. Denn sich spontan entscheiden zu können, bedeute auch, weniger planen zu müssen – „einfach mal unorganisiert zu sein“. Das könne den Alltag vieler Menschen deutlich erleichtern: „Vergessen, einzukaufen fürs Abendessen, die Kinder quengeln, der Hund will raus? Hier kann abgeholfen werden“, freut sich Marx. Auch der spontane Kuchen – für den es an allem fehle – sei Dank der Express-Lieferungen kein Hindernis mehr. 

Dazu setze das Konzept eine Entwicklung fort, die sich schon über Jahrhunderte beobachten lasse: „Vor 500 Jahren wurde die Post mit der Kutsche ausgeliefert. Dann kamen die Eisenbahn, das Auto, Flugzeuge, und es war nur noch eine Frage von Wochen, Tagen“, beschreibt Marx. In dieser „Beschleunigungsgesellschaft“ müsse auch Zehn-Minuten-Lieferdiensten ein Platz eingeräumt werden, findet er.

Anmerkungen der Redaktion

Rainer Marx ist Autor bei der Tageszeitung DIE WELT. Dort ist er unter anderem Textchef gewesen.

DIE WELT ist eine überregionale Tageszeitung mit Sitz in Berlin, die zum Axel Springer Konzern gehört. Sie wurde 1946 gegründet und erschien zuletzt in einer verkauften Auflage von knapp 72.000 Exemplaren (3/2021). Anfang 2010 lag diese noch bei über 250.000. Chef-Redakteurin der WELT ist seit 2019 Dagmar Rosenfeld. EUROTOPICS bezeichnet die WELT als konservativ. In ökonomischen Fragen positioniert sich die Zeitung meist wirtschaftsliberal. Das Goethe-Institut urteilt, die WELT ziele in ihrer Printausgabe auf „mittelständische Unternehmer und Selbstständige, die konservative Werte schätzen“. Auch WELT-Autor:innen bekennen sich zu den Leitlinien des Axel-Springer-Verlages, die unter anderem ein Eintreten für „die freie und soziale Marktwirtschaft“ sowie Solidarität mit den USA und Israel fordern.
 

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„Der Dienstbote bringt Popcorn“

Deutschlandfunk Kultur, 17.11.2021 - Ulrike Guérot, Korbinian Frenzel

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Die Perspektive in 30 Sekunden

Der Politikwissenschaftlerin Ulrike Guérot sind Lieferdienste „zutiefst zuwider“. Dass jemand das Essen wie ein Dienstbote vor die Tür bringt, erinnere an „Refeudalisierungsstrukturen“, kritisiert sie im Gespräch mit dem Journalisten Korbinian Frenzel für den Hörfunksender DEUTSCHLANDFUNK KULTUR.

Die gesamte Bestellkultur, die nach ihrer Analyse häufig schlechteste Arbeitsbedingungen für Beschäftigte bietet, hält Guérot für fragwürdig. In ihren Augen sind Lieferdienste vor allem Ausdruck einer in Klassen unterteilten Gesellschaft. Dazu seien die „völlig gestressten Lieferanten“ meistens migrantischer Herkunft: „Das ist wahrscheinlich kurz vor Sklaverei, wenn wir (…) unsere Wahrnehmung mal ändern würden“, wettert Guérot. Dass dieses System auf gesellschaftliche Akzeptanz stoße, erschließt sich der Politikwissenschaftlerin nicht. Vielmehr müsse es sozial geschmäht werden, nach dem Motto: „Wie? Dulässt dir liefern?“

Dass der Anbieter Flink damit werbe, auch nur für ein bisschen Popcorn vorbeizukommen, gleicht aus ihrer Sicht einem Armutszeugnis. Den Menschen sei jegliche „Bedürfnisunterdrückung“ abhandengekommen: „Mehr an Bequemlichkeitsgesellschaft kann ja über diesen Werbespruch gar nicht zum Ausdruck gebracht werden“, moniert Guérot.

Anmerkungen der Redaktion

Ulrike Beate Guérot ist eine deutsche Politikwissenschaftlerin, Professorin für Europapolitik und Publizistin. Sie hat Politikwissenschaften in Bonn und Paris studiert. Später hat sie in Münster zum Thema „europapolitische Programmatik der französischen Sozialisten“ promoviert und daraufhin für mehrere EU-Organe gearbeitet, darunter auch den ehemaligen Kommissionspräsidenten Jaques Délors. Nach mehreren Stationen als Gastprofessorin und Wissenschaftlerin in diversen Forschungseinrichtungen – darunter beispielsweise auch die renommierte John-Hopkins-University oder die New York University – ist sie 2016 zur Professorin an der Donau-Universität Krems ernannt worden. 2021 hat sie diesen Posten aufgegeben, um Professorin für Europapolitik an der Universität Bonn zu werden.

Korbinian Frenzel ist ein deutscher Journalist und Redaktionsleiter der „Primetime“ bei DEUTSCHLANDFUNK KULTUR. Hier moderiert er die Mittagssendung „Studio 9 – Der Tag mit ...“. Der studierte Politikwissenschaftler ist außerdem Vorsitzender des Fachbereichs Rundfunk beim Journalistenverband Berlin-Brandenburg e.V. und hat unter anderem auch für die WOLFSBURGER NACHRICHTEN gearbeitet.

DEUTSCHLANDFUNK KULTUR ist neben dem DEUTSCHLANDFUNK und DEUTSCHLANDFUNK NOVA eines der drei Programme des öffentlich-rechtlichen DEUTSCHLANDRADIOS. Im Gegensatz zu den beiden anderen Programmen liegt der Redaktionssitz von DEUTSCHLANDFUNK KULTUR in Berlin. Der Sender beschreibt sich selbst als „das Feuilleton im Radio“. Er hat es sich selbst zur Aufgabe gemacht, „die Kulturalisierung der Politik und die Politisierung der Kultur“ voranzutreiben. Laut der Mediaanalyse „ma Audio 2021“ schalten täglich rund 600.000 Menschen den Kultursender des DEUTSCHLANDRADIOS ein.

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„Lieferdienste wie „Gorillas“ gefährden das gesellschaftliche Miteinander“

Jetzt.de, 26.08.2021 - Sonali Beher

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Die Perspektive in 30 Sekunden

Dem gesellschaftlichen Miteinander leisten Gorilla, Flink & Co keine guten Dienste, macht Sonali Beher deutlich. „Eine Gesellschaft, die sich nicht einmal mehr vor dem Tiefkühlregal begegnet, wird zerbrechlicher“, warnt die Politikwissenschaftlerin in ihrem Kommentar für das Onlinemagazin JETZT.

So bequem sie auch seien: Beher befürchtet, dass Lieferdienste die Menschen zunehmend voneinander entfremden. Denn es gebe „immer mehr Möglichkeiten, wie wir anderen Menschen und Sichtweisen aus dem Weg gehen können“. Für umso wichtiger findet die Politikwissenschaftlerin es, die eigene Komfortzone auch mal zu verlassen. In einer Schlange anstehen nerve zwar – aber es erde auch. „Es zeigt mir: Ich bin nicht die einzige Person auf der Welt, mein Bedürfnis nach einer Weißweinflasche kurz vor Ladenschluss ist nur eines von vielen Bedürfnissen im Raum.“ Für das gegenseitige Mitgefühl seien diese Begegnungen entscheidend: Etwa indem sie die Aufmerksamkeit auf die alleinerziehende Mutter lenken, „die einen vollen Einkaufswagen und zwei Kleinkinder bewältigt“, oder auf den Kassierer, „der seine Zehn-Stunden-Schicht beenden will“.

Gesellschaftliches Zusammenleben braucht Orte, an denen man zusammen lebt“, appelliert die Autorin. Durch immer bequemere Serviceleistungen laufe die Menschheit aber Gefahr, diese Orte mehr und mehr zu verlieren. „Wie in jeder Beziehung müssen wir uns fragen: Wenn wir nichts mehr miteinander machen, sind wir dann überhaupt noch zusammen?“

Anmerkungen der Redaktion

Sonali Beher schreibt Artikel für mehrere Online-Magazine. Darunter befinden sich das JETZT-Magazin der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG, das linke SUPERNOVA-Magazin oder das satirische englische FISHWRAPPER-Magazin. Beher verbindet in ihren Texten häufig Sozialkritik mit einer Prise Humor. Sie studiert Politikwissenschaft und Anglistik und ist Stipendiatin des Programms „Medienvielfalt, anders“ der Heinrich-Böll-Stiftung, die der Partei Bündnis 90/Die Grünen nahesteht. Das Programm „Medienvielfalt, anders“ unterstützt hauptsächlich in den Medien unterrepräsentierte Minderheiten auf dem Weg in den Journalismus.

JETZT ist ein Online-Magazin, das 1993 ursprünglich als Beilage der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG startete. Nachdem die gedruckte Ausgabe des Magazins in der SZ eingestellt wurde, entstand eine Online-Community, die sich 2015 zum jetzigen Magazin umformte. Die Zielgruppe sind „Millennials“ und Menschen zwischen 18 und 30 Jahren. JETZT schreibt laut Eigenangaben besonders über feministische, queere und Antidiskriminierungsthemen. Oft bekommen Aktivist:innen eine Stimme, die sich für andere Menschen einsetzen. JETZT kooperiert außerdem mit anderen Blogs, z.B. DAS BIBER oder KLEINERDREI. Laut Similarweb hatte JETZT.DE im Oktober 2021 rund 2,79 Millionen Besuche zu verzeichnen.
 

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„Gorillas, Flaschenpost, Flink und Co.: Vor unserer Haustür tobt die Schlacht der Lieferdienste“

The European, 27.10.2021 - Oliver Stock

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Die Perspektive in 30 Sekunden

Die „perverse Schlacht der Lieferanten“ ringt dem Journalisten Oliver Stock nur ein Kopfschütteln ab. Zwar vergehe fast kein Monat, in dem nicht ein neuer Lieferdienst ankündige, „erst den deutschen Markt und dann die Welt zu erobern“. Bisher jedoch seien die „Eroberer“ vor allem Verlierer: „Sie verbrennen das Geld der Investoren wie in einem Hochofen“, spottet er im Debatten-Magazin THE EUROPEAN.

Wachstum ohne Ende, Verluste ohne Ende, Arbeitszeiten ohne Ende“: So sehe es derzeit auf dem „Boom-Markt“ der neuen Essens-Lieferdienste aus. Bis sich daraus ein rentables Geschäftsmodell entwickeln könne, sei es noch ein langer Weg: Denn trotz Mindestlohn und befristeten Kettenverträgen komme die Branche auf keinen grünen Zweig. „Der auf Plakaten allgegenwärtige 10-Minuten-Lieferdienst Gorillas verbrennt – pro Tag – geschätzte eine Millionen Euro“, so Stock. Laut des Autors seien auch Expert:innen der Meinung, dass Liefergebühren von nur 1,80€ die hohen Personal- und Werbekosten nicht kompensieren können. Dass immer neue Anbieter den Marktplatz „überschwemmen“, mache es nicht leichter.

Dennoch seien laut dem US-Datenanbieter Pitchbook im ersten Halbjahr 2021 1,3 Milliarden Dollar allein an Gorillas, Flink und Getir geflossen. „Ob sich diese Investitionen für die Geldgeber rechnen werden, ist jedoch pure Spekulation“, so Stock. Seiner Analyse nach gleicht die Geldanlage einem Glücksspiel: „Wie immer, wenn sich ein Markt neu bildet, trennt sich nach etwa drei Jahren die Spreu vom Weizen.“ Wer am Ende überlebt, bleibe abzuwarten.
 

Anmerkungen der Redaktion

Oliver Stock ist Journalist. Er hat zunächst als Redakteur für die HANNOVERSCHE ALLGEMEINE ZEITUNG gearbeitet und war Sprecher des Niedersächsischen Ministeriums für Wirtschaft, Technologie und Verkehr. 2000 hat er begonnen, für das HANDELSBLATT zu arbeiten, u.a. als Korrespondent in der Schweiz und in Österreich. 2011 wurde er Chefredakteur der Website des HANDELSBLATTS und ist von 2016 bis 2017 stellvertretender Chefredakteur der WIRTSCHAFTSWOCHE gewesen. Nach zwei Jahren bei der Ergo-Versicherungsgruppe sowie einem Jahr bei einer Unternehmensberatung ist Stock wieder zum Journalismus zurückgekehrt: Seit 2020 ist Stock Chefredakteur des österreichischen WIRTSCHAFTSKURIERS und ebenfalls seit 2020 Herausgeber des Magazins MARKT & MITTELSTAND, das sich hauptsächlich an mittelständische Unternehmer:innen richtet. Stock schreibt außerdem regelmäßig für THE EUROPEAN. Er hat Geschichte und Volkswirtschaftslehre studiert.

THE EUROPEAN ist ein Online-Magazin, das vierteljährlich auch in gedruckter Form erscheint. Selbst bezeichnet sich THE EUROPEAN als Debatten-Magazin, das verschiedene Stimmen zu gesellschaftlich wichtigen Fragen vorstellen will. Das Magazin ist in die Kritik geraten, da es Artikel des Europäischen Instituts für Klima & Energie veröffentlicht, das Zweifel am menschengemachten Klimawandel streut. Der Verleger von THE EUROPEAN, Wolfram Weimer, und der Gründer Alexander Görlach stammen beide aus dem Umfeld des eher konservativen Magazins CICERO. Weimer hat CICERO gegründet, Görlach war Autor für das Magazin.

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„Lieferdienste - Kosten, Qualität und Corona“

WDR, 12.05.2021 - Redaktion

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Die Perspektive in 30 Sekunden

Die COVID-19-Pandemie hat Lebensmittellieferungen einen Schub verpasst. Was man über die große Bandbreite an Lieferdiensten wissen muss, hat die Autorin Anke Fricke für den WESTDEUTSCHEN RUNDFUNK (WDR) zusammengefasst.

Grundsätzlich lasse sich ein seriöser Lieferdienst durch Siegel wie „Trusted Shops“ erkennen. Während einige Anbieter das klassische Supermarkt-Angebot abbilden, seien andere auf einzelne Lebensmittel oder Produktgruppen spezialisiert – etwa auf Getränke, Fleisch oder Bio-Lebensmittel. Auch die Liefergebühr werde unterschiedlich berechnet. Häufig verlange ein Anbieter bis zu einer bestimmten Einkaufssumme einen Betrag von mehreren Euros, teils gelte auch ein Mindestbestellwert oder es werde ein Zuschlag für Gekühltes berechnet.

Laut Verbraucherzentrale seien Lieferdienste in der Pflicht, Kunden online ebenso umfangreich zu informieren wie im Supermarkt – etwa durch Angaben zu Zutaten, Nettofüllmengen oder Herkunftsort. Anders als im Geschäft vor Ort könne die Online-Kundschaft im Internet aber nicht auf das Mindesthaltbarkeitsdatum schauen oder die Frische von Produkten überprüfen. Reklamationen seien aber auch noch möglich, wenn der Bote bereits weg ist: „Am besten den schlappen Salat oder das verschimmelte Toast mit einem Foto dokumentieren und sofort beim Händler per Telefon oder per E-Mail reklamieren“, rät Fricke.

Anmerkungen der Redaktion

Anke Fricke ist eine freie Journalistin aus Köln. An der Heinrich-Heine-Universität in Düsseldorf hat sie Wirtschaftswissenschaften studiert. Seitdem ist sie als freie Journalistin tätig. Sie ist des Öfteren in verschiedenen Radioangeboten des WDR zu hören: so beispielsweise im Programm „Stichtag“, in dem bis zum März 2021 jeden Tag über wichtige Tage in der Weltgeschichte berichtet wurde.

Der WDR ist die größte der neun Landesrundfunkanstalten der ARD. Er entstand 1956, als sich der NWDR in den NDR und den WDR aufteilte. Die Sendeanstalt hat sechs Radioprogramme und einen Fernsehsender, zu dessen bekanntesten Programmen unter anderem das Politmagazin „Monitor“, die „Sportschau“ oder das Kinderangebot „Die Sendung mit der Maus“ gehören. Laut eigenen Angaben ist der Sender nach Anzahl der Beschäftigten das zweitgrößte Medienunternehmen Europas hinter der BBC. Laut der "Media-Analyse 2021" erreicht der Fernsehsender des WDR in Deutschland täglich rund 8 Millionen Zuschauer:innen, der Radiosender erreicht rund 11 Millionen Zuhörer:innen. Der Webauftritt des WDR hatte im Oktober 2021 laut Similarweb rund 15 Millionen Besuche zu verzeichnen.
 

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„Gorillas im Nebel“

IPG-Journal, 09.11.2021 - Daniel Nikolovic

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Die Perspektive in 30 Sekunden

Der sogenannten Plattformökonomie, der die Lieferdienste angehören, werden mitunter prekäre Beschäftigungsbedingungen nachgesagt. Viele Angestellte setzen sich dagegen zur Wehr, doch nicht immer ist das von Erfolg gekrönt: Der Lieferdienst Gorillas hat etwa kürzlich 350 Beschäftigte entlassen, weil ihr Streik nicht vom deutschen Arbeitsrecht gedeckt war. Anhand dieses Fallbeispiels erklärt der VER.DI-Gewerkschaftssekretär Daniel Nikolovic im IPG-Interview mit Thomas Greven, warum die Gewerkschaftsarbeit in der Plattformökonomie so schwierig ist.

Zwar habe es im Vorfeld der wilden Gorillas-Streiks Kontakte zwischen VER.DI und den Beschäftigten gegeben. Doch unter den Angestellten sei Misstrauen gegenüber der Gewerkschaftsarbeit sehr verbreitet. Laut Nikolovic glauben viele, VER.DI gehe es nur darum, die Mitgliederzahlen zu erhöhen. „Die große Medienaufmerksamkeit für die Anliegen der Gorillas-Beschäftigten hat dann sicher auch noch dazu beigetragen, dass manche gedacht haben, man brauche weder die Unterstützung der großen Gewerkschaft noch das komplizierte deutsche Streikrecht und könne mit direkten und spontanen Formen die Auseinandersetzung gewinnen“, so Nikolovic. Für die 350 Beschäftigten habe sich diese Hoffnung leider nicht bewahrheitet.

Um gemeinsam Erfolge erzielen zu können, sei es wichtig, dass Beschäftigte und Gewerkschaften sich besser kennenlernen. Denn Auseinandersetzungen mit der Unternehmensleitung seien nur zu gewinnen, wenn die Gewerkschaften genügend Mitglieder zum Streik aufrufen können, um die Ziele der Beschäftigten durchzusetzen. Dass viele Arbeitnehmer:innen in der Plattformökonomie einen Migrationshintergrund haben und häufig nur wenig Deutsch sprechen, mache die Sache nicht leichter. „Die Kommunikation muss zu 95 Prozent auf Englisch stattfinden“, beschreibt Nikolovic. Da Gesetzestexte und andere Materialien erst übersetzt werden müssen, gehe auch dadurch viel Zeit verloren.

Anmerkungen der Redaktion

Daniel Nikolovic ist politischer Gewerkschaftssekretär im Bundesfachbereich Handel der Gewerkschaft VER.DI. VER.DI ist die zweitgrößte deutsche Gewerkschaft und hat ihren Sitz in Berlin. Nikolovic ist bei VER.DI zuständig für erfolgreiche Gewerkschafts(zusammen)arbeit und hat über dieses Thema bereits Beiträge für die FRIEDRICH-EBERT-STIFTUNG und das IPG-Journal verfasst.

Thomas Greven ist ein deutscher Politikwissenschaftler, selbstständiger Autor und Politikberater. Er unterrichtet unter anderem am John F. Kennedy-Institut für Nordamerikastudien als Privatdozent für Politikwissenschaft an der FU Berlin. Grevens Forschungsinteressen sind unter anderem US-Politik und Außenpolitik, Gewerkschaften und industrielle Beziehungen, Globalisierung und Entwicklungspolitik, Rechtspopulismus und -extremismus, grafische Literatur und afrikanische Politik.

INTERNATIONALE POLITIK UND GESELLSCHAFT (IPG) ist ein Fachmagazin zu internationaler und europäischer Politik, das von der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung herausgegeben wird. Die IPG wurde bis 2011 als vierteljährliches Magazin herausgegeben, derzeit wird sie als reine Online-Zeitschrift weitergeführt. Die IPG schreibt über außen-, sicherheits- und entwicklungspolitische Fragen sowie Herausforderungen der europäischen Integration und die Herausforderungen des Klimawandels. Neben wissenschaftlichen Analysen finden sich auch Expert:inneninterviews und Kommentare in der IPG.