Kohleausstieg bis 2030 beschlossen: Ist der NRW-Kohlekompromiss gelungen?

13.10.2022 - Themenbereiche: Nordrhein-Westfalen, Politik, Umwelt und Nachhaltigkeit, Wirtschaft
Windräder vor Kohlekraftwerk, Rauchwolken aus Kaminen bei Kohlekraftwerk zu sehen

Kurzfassung

Der Energiekonzern RWE will den Kohleausstieg um acht Jahre auf das Jahr 2030 vorziehen. Dadurch könnten auf lange Sicht rund 280 Millionen Tonnen Kohle in der Erde bleiben. Doch kommt der vorgezogene Kohleausstieg nicht ohne Gegenleistung: In einer Vereinbarung zwischen RWE, dem Bundeswirtschaftsministerium von Robert Habeck (Grüne) und dem NRW-Wirtschaftsministerium von Mona Neubaur (ebenfalls Grüne) werden dem Energiekonzern Zugeständnisse gemacht: So sollen drei bereits abgeschaltete Kohlekraftwerke reaktiviert und zwei weitere Kohlekraftwerke bis 2024 betrieben werden, anstatt sie Ende dieses Jahres abzuschalten. Zugleich hält die Regierung in Nordrhein-Westfalen auch am umstrittenen Aus für das Dorf Lützerath fest, das seit vielen Jahren als wichtiges Symbol der Klimaschutz-Bewegung in NRW gilt.

„Die Klimagerechtigkeitsbewegung wird die Räumung zum Desaster machen“

Neubaur und Habeck zeigen sich zufrieden mit dem Kompromiss. Habeck jubelte: „Das ist ein guter Tag für den Klimaschutz“. Auch Neubaur verteidigte den Deal und argumentierte im Interview mit der RHEINISCHEN POST (RP): Man sei als Grüne in dieser akuten Krise bereit, „pragmatisch die notwendigen Schritte zur Versorgungssicherheit zu tun, verliere dabei aber gleichzeitig die Verantwortung, für kommende Generationen das Klima zu schützen, nicht aus den Augen“.

Das sehen aber längst nicht alle so. Unter Klimaschützer:innen hat der Kohlekompromiss für einen Aufschrei gesorgt. Sie beklagen, dass mit dem Abriss von Lützerath der Weg frei gemacht werde für das Ausbaggern und anschließende Verbrennen Millionen weiterer Tonnen an Kohle. Der Kompromiss sei nur scheinbar gut für das Klima. So twitterte die Protestbewegung Fridays for Future: „Der Abriss von Lützerath ist unnötig und wird das globale Leid der Klimakrise weiter verschärfen. Wir werden dabei nicht zugucken! Die Klimagerechtigkeitsbewegung wird die Räumung zum Desaster machen.“

Haben die Klimaschützer:innen recht mit ihrer Kritik? Oder ist der Kohle-Deal ein gelungener Kompromiss?

Acht Perspektiven

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„Habecks Deal zum früheren Kohleausstieg in NRW: Bitte kein zweiter Hambacher Forst in Lützerath!“

Tagesspiegel, 05.10.2022 - Nora Zaremba

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Die Perspektive in 30 Sekunden

Die Klimabewegung habe in NRW viel erreicht, findet TAGESSPIEGEL-Hauptstadtredakteurin Nora Zaremba: „Zusammen mit der grünen NRW-Energieministerin Mona Neubaur ist Habeck ein guter Deal gelungen.“ Und dieser gelungene Deal sei auf die Bemühungen der Klimabewegung zurückzuführen.

Durch den Deal werden Zaremba zufolge rund 280 Millionen Tonnen CO2 eingespart – und RWE schalte seine Kraftwerke acht Jahre früher ab als ursprünglich geplant. Das sieht sie als großen Erfolg fürs Klima und meint: Ohne die unermüdlichen Bemühungen der Klimabewegung wäre das aller Voraussicht nach nicht passiert. Denn von sich aus hätte RWE sicher nicht auf das Geschäft mit der Kohle verzichtet. Sie findet: „Dass zwei Braunkohleblöcke nun ein Jahr länger laufen, ist aus Klimaschutzsicht zu verschmerzen.“

Daher solle die Klimabewegung nicht ihren eigenen Triumph zunichtemachen, indem sie sich in Lützerath „verkämpfe“. Es gebe keine Möglichkeit mehr, das Dorf zu retten. Zudem stellt Zaremba klar: „Lützerath ist eben schon lange kein echtes Dorf mehr. Der letzte Anwohner hat den Hof verlassen, er wurde dafür von RWE entschädigt.“

Anmerkungen der Redaktion

Nora Zaremba ist Redakteurin in der Hauptstadtredaktion des Berliner TAGESSPIEGELs. Sie hat im Bachelor Politikwissenschaft und Volkswirtschaftslehre in Bonn sowie Umweltwirtschaft und Klimapolitik im Master an der Universität Bayreuth studiert. Nachdem sie nach ihrem Studium zunächst für die Öffentlichkeitsarbeit der European Climate Foundation tätig gewesen ist, hat sie mehrere Jahre als freie Journalistin für die WIRTSCHAFTSWOCHE und den FREITAG geschrieben. Seit 2017 arbeitet sie fest für den TAGESSPIEGEL in Berlin. Dort beschäftigt sie sich schwerpunktmäßig mit Energie- und Klimapolitik.

DER TAGESSPIEGEL ist eine 1945 gegründete Tageszeitung aus Berlin. Er hat mit knapp 103.000 Exemplaren (2/2022) die höchste Auflage unter den Berliner Abonnementzeitungen und wird im Unterschied zur BERLINER ZEITUNG traditionell vor allem in den westlichen Bezirken der Stadt gelesen, da die Mauer die Verbreitung der Zeitung auf Westberlin beschränkte. Seit 2014 erhält der TAGESSPIEGEL besondere Aufmerksamkeit durch den Checkpoint Newsletter, der täglich aus Berlins Politik, Wirtschaft und Gesellschaft berichtet. Das Debattenportal EUROTOPICS beschreibt die Blattlinie der Zeitung als liberal. Der TAGESSPIEGEL wurde lange Zeit den regionalen Zeitungen zugerechnet, verfolgt seit einigen Jahren jedoch verstärkt eine überregionale Ausrichtung. Die Printauflage bleibt jedoch stark regional dominiert.

„Energieexperte nennt vorzeitigen RWE-Kohleausstieg ‚klug'“

Inforadio, 04.10.2022 - Manuel Frondel

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Die Perspektive in 30 Sekunden

Angesichts weiter steigender CO2-Zertifikatspreiseund ambitionierter Klimaschutzziele sei der frühzeitige Kohleausstieg von RWE in Nordrhein-Westfalen auch für die Wirtschaft eine gute Idee, erklärt der Energieökonom Manuel Frondel. Im Interview mit dem RBB-INFORADIO argumentiert der Bereichsleiter ‚Umwelt und Ressourcen‘ beim Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung (RWI): „Die Braunkohleverstromung lohnt sich derzeit nur bei den sehr hohen Strompreisen.“ Da man davon ausgehen könne, dass die Preise für die CO2-Zertifikate der EU immer weiter steigen werden, sei Kohlestrom auf lange Sicht wirtschaftlich nicht sinnvoll.

Denn mittelfristig erwarte man eine „Normalisierung“ der Energiepreise. Braunkohle werde dann im Vergleich zu anderen Energieformen wirtschaftlich nicht mehr rentabel sein. Denn die EU verlange mit ihren CO2-Zertifikaten Geld für jedes Kilogramm an ausgestoßenem CO2. Und da Braunkohle sehr CO2-intensiv ist, würden die CO2-Zertifikate auf lange Sicht schlichtweg zu teuer.

Damit verteidigt Frondel den Kohlekompromiss gegen die Kritik von einigen Wirtschaftsvertreter:innen, es gehe zu schnell mit dem Kohleausstieg. Aber auch gegenüber Klimaschutzaktivist:innen verteidigt Frondel den Deal: Denn auch das Abbaggern des Dorfes Lützerath hält der Energie-Ökonom für sinnvoll. „Aktuell haben wir immer noch große Probleme, überhaupt genügend Strom zu produzieren und aktuell sind die Braunkohlekraftwerke von RWE sehr wichtig“, stellt Frondel klar. Und irgendwo müsse die Kohle nun einmal herkommen, die für den Kohlestrom benötigt werde.

 

Anmerkungen der Redaktion

Manuel Frondel ist außerplanmäßiger Professor für Energieökonomik und angewandte Ökonometrie an der Ruhr-Universität Bochum sowie Leiter des Kompetenzbereiches ‚Umwelt und Ressourcen‘ am Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung (RWI). Sein Forschungsinteresse liegt in der Wirtschaftsforschung, hauptsächlich in Bezug auf umwelt-, ressourcen- und energieökonomische Fragestellungen. Im FAZ-Ökonom:innen-Ranking der einflussreichsten Ökonom:innen Deutschlands lag Frondel im Jahr 2021 auf Platz 99; 2013 war er noch auf Platz 19 gelegen. Von Klimaschützer:innen ist Frondel damals vorgeworfen worden, als Atomkraftlobbyist zu agieren. Frondel hat in Karlsruhe Physik, Mathematik und Economic Engineering studiert. Nach mehreren Stationen als wissenschaftlicher Mitarbeiter in Heidelberg und Mannheim ist er 2003 zum Leiter des Kompetenzbereichs ‚Umwelt und Ressourcen‘ am RWI ernannt worden. 2009 wurde er als außerplanmäßiger Professor an die Universität Bochum berufen.

Das INFORADIO ist Teil der öffentlich-rechtlichen Sendeanstalt RUNDFUNK BERLIN-BRANDENBURG (RBB). Es ist 1995 als Kooperationsmodell des ORB und der SFB nach dem Vorbild des BAYERISCHEN RUNDFUNKs gegründet worden. Das INFORADIO ist das Nachrichtenprogramm des RBB und sendet neben Nachrichten, Wetter- und Verkehrsservice auch Interviews, Hintergrundberichte und Kommentare. Programmchefin des INFORADIOs ist seit 2021 die Journalistin Stephanie Pieper, die zuvor unter anderem als ARD-Korrespondentin in London und stellvertretende Programmchefin von NDR Kultur tätig gewesen ist.

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„Habecks Entscheidung zur Braunkohle ist bitter – aber richtig“

Redaktionsnetzwerk Deutschland, 04.10.2022 - Andreas Niesmann

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Die Perspektive in 30 Sekunden

Andreas Niesmann kann den Unmut über das Ende des Dörfchens Lützerath zwar nachvollziehen. Dennoch sei der NRW-Kohlekompromiss eine kluge politische Entscheidung gewesen, legt der Wirtschaftsressortleiter beim REDAKTIONNETZWERK DEUTSCHLAND dar: Schließlich soll in den nächsten Jahren weniger Gas verstromt werden. Es sei daher politisch klug, diesen Mehrbedarf kurzfristig mit Kohle zu decken und gleichzeitig dafür zu sorgen, dass Deutschland mittelfristig früher aus der Kohle aussteigt. Denn so würden Interessen von Klimaschützer:innen vereinbart mit Wirtschaftsinteressen.

Zudem habe Braunkohle in der Energiekrise den unschätzbaren Vorteil, in Deutschland verfügbar zu sein. Die Entscheidung, angesichts drohender Energieengpässe bestehende Kraftwerke aus der Reserve zu holen oder weiterlaufen zu lassen, hält der RND-Redakteur daher für richtig.

Lützerath selbst sei sowieso nicht zu retten gewesen, gibt Niesmann zu bedenken, der letzte Bewohner habe den Ort unlängst verlassen. „Die Zukunft Lützeraths wurde vor langer Zeit verspielt“, hält der RND-Redakteur fest. „Das ist tragisch, aber es ist nicht mehr zu ändern.“ Daher empfiehlt er der Klimaschutzbewegung auch, mit ihrem Protest nicht übers Ziel hinauszuschießen.

Anmerkungen der Redaktion

Andreas Niesmann ist Journalist und leitet das Wirtschaftsressort des REDAKTIONSNETZWERKs DEUTSCHLAND (RND). Gemeinsam mit Steven Geyer produziert er seit Februar 2021 den Podcast „Geyer Niesmann“, der wöchentlich über innenpolitische Themen berichtet. Vor seiner Zeit beim RND hat Niesmann für die Parlamentsredaktion des FOCUS und für das HANDELSBLATT gearbeitet. Er hat sein Volontariat an der Georg von Holtzbrinck-Schule für Wirtschaftsjournalisten absolviert.

Das REDAKTIONSNETZWERK DEUTSCHLAND (RND) ist eine 2013 gegründete überregionale Nachrichtenplattform der Madsack Mediengruppe. Der RND ist das Ergebnis von Umstrukturierungen und Sparmaßnahmen bei Lokalzeitungen: Die Nachrichtenplattform verkauft ihr Angebot von überregionalen Nachrichten unter anderem an lokale Tageszeitungen wie die LEIPZIGER VOLKSZEITUNG, die MÄRKISCHE ALLGEMEINE oder die OSTSEE-ZEITUNG. Die Madsack Mediengruppe gehört zu 23 Prozent der Deutschen Druck- und Verlagsgesellschaft (DDVG), die die Medienbeteiligungen der SPD verwaltet. Laut Similarweb hatte der Webauftritt des RND im Juli 2022 rund 11,6 Millionen Besuche zu verzeichnen.

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„Es eilt“

Süddeutsche Zeitung, 06.10.2022 - Michael Bauchmüller

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„[D]ie Beschlüsse zum Ausstieg waren die leichtere Übung. Sie bleiben pure Symbolik, wenn der Einstieg in eine saubere Energiewelt misslingt“, warnt Michael Bauchmüller in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG. Der Parlamentskorrespondent fordert: Es brauche dringend weitere Initiativen in Sachen Klimaschutz. Denn: „Öko-Energien werden die Lücke nur auf dem Papier füllen können“, argumentiert der Parlamentskorrespondent aus Berlin. Ohne eine Speichertechnologie für Energie bringe auch der vorgezogene Kohleausstieg wie im Kohlekompromiss festgelegt nichts.

„Es wird viele Stunden geben, in denen es mehr als genug Elektrizität gibt – und andere, in denen sie fehlt. Wind und Sonne werden darüber entscheiden, ob gerade 200 Prozent Ökostrom verfügbar wären oder nur 20“, führt Bauchmüller aus. Für Stunden, in denen wenig Wind- und Solarenergie produziert werden könne, brauche man grüne Energiespeicher, die man dann anzapfen könne.

Hier sieht Bauchmüller Wasserstoff als einzige Technologie, die im Stande sei, als ein solcher Energiespeicher zu fungieren. „Er lässt sich aus Strom gewinnen, vorzugsweise aus grünem. Er kann Koks in Stahlwerken ersetzen oder als Basis für Flugzeug-Kraftstoffe dienen. Er lässt sich in Brennstoffzellen wieder in Strom wandeln – und er kann in Gaskraftwerken das Gas ersetzen“, zählt Bauchmüller die Vorteile der neuen Technologie auf. Derzeit gebe es allerdings wenig Infrastruktur für Wasserstoff – und Klimabemühungen wie ein vorgezogener Kohleausstieg blieben ohne eine solche Infrastruktur erfolglos, gibt Bauchmüller zu bedenken.

Anmerkungen der Redaktion

Michael Bauchmüller ist Journalist und Korrespondent in der Berliner Parlamentsredaktion der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG. Der studierte Volkswirt hat die Kölner Journalistenschule absolviert, deren Vorstand er heute angehört. Er beschäftigt sich hauptsächlich mit Energie-, Umwelt und Entwicklungspolitik und hat für seine journalistische Arbeit den Ludwig-Erhard-Förderpreis für Wirtschaftspublizistik, den Umweltmedienpreis der Deutschen Umwelthilfe und den BAUM-Umweltpreis erhalten. In der Begründung des BAUM-Umweltpreises heißt es: Seine „sachkundigen und detailreichen Artikel informieren die Leser nicht nur, sondern regen sie auch dazu an, sich kritisch und reflektiert mit den jeweiligen Themen auseinander zu setzen. Michael Bauchmüller bezieht engagiert Stellung für eine Abkehr von fossilen Energien und eine Energiewende, die den Namen verdient.“

Die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG (SZ) ist eine deutsche überregionale Tageszeitung aus München. Sie erscheint seit 1945 als Nachfolger der MÜNCHNER NEUSTE NACHRICHTEN. Seit 1947 wird sie von der „Süddeutschen Verlags GmbH“ produziert und ist besonders durch ihre „Seite Drei-Reportagen“ und die kritische Glosse „Streiflicht“ bekannt. Mit einer Auflage von zuletzt 305.479 (2/2022) ist sie in Deutschland nach der BILD die am zweitmeisten verkaufte deutsche Tageszeitung, auch wenn ihre Auflage insgesamt abnimmt. Dagegen nimmt die digitale Auflage in Form von E-Papern zu und liegt bei nun 99.700 Exemplaren. Die Blattlinie der Zeitung gilt als linksliberal. Zusammen mit dem WDR und dem NDR hat die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG einen investigativen Rechercheverband gegründet, der zahlreiche investigative Recherchen veröffentlicht hat, u.a. zu Steuerschlupflöchern und über die Ibiza-Affäre um den damaligen FPÖ-Vorsitzenden Strache. Für die Aufklärung über die Panama Papers erhielten SZ-Journalist:innen 2017 einen Pulitzer-Preis für investigative Recherche.

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„Verfrühter Verzicht“

FAZ, 04.10.2022 - Christian Geinitz

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Dem Kohlekompromiss kann der Wirtschaftskorrespondent Christian Geinitz nicht viel abgewinnen. In der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG (FAZ) stellt Geinitz klar: Derzeit sollte man für alle Energiekapazitäten dankbar sein. Deshalb gibt es seiner Meinung nach überhaupt keine Not, sich nun vom mühsam zustande gebrachten Kohleausstieg 2038 zu verabschieden.

Geinitz fragt sich stattdessen, wie sinnvoll es sei, ausgerechnet auf den einzigen ausreichend vorhandenen fossilen Brennstoff in der Heimat zu verzichten und stattdessen neue Gaskraftwerke zu bauen? Gerade in einer Zeit, in der von allen Seiten das Gassparen gefordert werde – und Haushalte dennoch mehr Gas verbrauchen als früher. Und auch die als Heilsbringer gefeierte Wasserstoffwirtschaft steht laut Geinitz erst in den Kinderschuhen.

Statt einem verfrühten Ausstieg aus der Kohlekraft brauche es vielmehr einen Wiedereinstieg in die Kernkraft, fordert Geinitz weiter: „Das würde nicht nur die Versorgungssicherheit erhöhen, den Strompreis senken und Gas für sinnvollere Dinge als die Elektrizitätserzeugung frei machen, es täte auch der CO2-Bilanz gut.“ Sein Fazit: Der verfrühte Kohleausstieg sei unsinnig. Er diene nur dazu, „die grüne Seele zu streicheln“.

Anmerkungen der Redaktion

Christian Geinitz ist Journalist und Wirtschaftskorrespondent in der Berliner Parlamentsredaktion der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG (FAZ). Dort absolvierte er bereits sein Volontariat, nachdem er während seines Studiums als Hörfunkreporter für den SÜDWESTFUNK tätig gewesen war. Der studierte und promovierte Politik- und Geschichtswissenschaftler schreibt hauptsächlich über die Themen Klima, Energie und Gesundheit. 2013 ist sein Buch „Chinas verborgene Schätze. Wie wir am nächsten Aufschwung mitverdienen“ erschienen. 2022 beschäftigte er sich wieder mit der chinesischen Wirtschaft. Diesmal unter dem Titel: „Chinas Griff nach dem Westen. Wie sich Peking in unsere Wirtschaft einkauft.“

Die FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG (FAZ) ist eine deutsche überregionale Tageszeitung. Sie ist 1949 gegründet worden und wird zu den deutschen Leitmedien gezählt. Dies sind Medien, die einen besonderen Einfluss auf die öffentliche Meinung und auf andere Massenmedien ausüben. Laut Eigenangabe steht die FAZ „für den Erhalt und die Stärkung der demokratischen Ordnung und der Sozialen Marktwirtschaft in Deutschland“. Die Zeitung gilt als liberal-konservatives Blatt. Das Debattenportal THE EUROPEAN schreibt über die „drei Gesichter“ der FAZ: Sie habe einen eher konservativen, staatstragenden Politikteil, ein linksliberales Feuilleton und einen liberalen Wirtschaftsteil. Die verkaufte Auflage der Zeitung lag zusammen mit der FRANKFURTER ALLGEMEINEN SONNTAGSZEITUNG im zweiten Quartal 2022 bei annähernd 399.000 Exemplaren. Laut der Arbeitsgemeinschaft Online-Forschung (AGOF) hatte der Webauftritt der FAZFAZ.NET – im August 2021 rund 16 Millionen Besucher:innen zu verzeichnen.

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„Wo bleibt die CO2-Minderung?“

Die Tageszeitung (taz), 04.10.2022 - Anja Krüger

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Wirtschaftsredakteurin Anja Krüger begrüßt in der TAZ zwar den vorgezogenen Kohleausstieg in NRW für 2030. Gleichzeitig bemängelt sie, dass dafür zwei Braunkohlekraftwerke bis 2024 weiterlaufen sollen. Denn der Weiterbetrieb der Braunkohlekraftwerke sei kein gutes Kompensationsgeschäft für einen früheren Kohleausstieg – sondern in Wahrheit nur eine Mogelpackung.

Grüne und CDU in NRW hatten sich laut Krüger nämlich schon im Juni in ihrem Koalitionsvertrag auf das Vorziehen des Kohleausstiegs verständigt. Auch die Forderung der Grünen nach einem vorgezogenen Kohlestopp stamme noch aus der Zeit vor der Energiekrise. „Jetzt so zu tun, als käme der frühere Ausstieg, um die zusätzlichen CO2-Emissionen durch die länger laufenden Braunkohlekraftwerke auszugleichen, ist eine unschöne Mogelei“, findet Krüger.

Zudem finde keine wirkliche Kompensation für den derzeitigen Anstieg an CO2-Emissionen statt. Hier müsse die Regierung schnell nachbessern, fordert die Wirtschaftsredakteurin. Denn gut umsetzbare Möglichkeiten gebe es, zum Beispiel im Verkehr, zeigt Krüger auf: „Mit dem Aussetzen von Inlandsflügen, der Einführung eines Tempolimits für Autobahnen oder einem neuen sehr günstigen bundesweiten ÖPNV-Ticket wäre viel gewonnen.“

Anmerkungen der Redaktion

Anja Krüger ist Autorin, Journalistin und Wirtschaftsredakteurin bei der TAZ. Die studierte Politik- und Sozialwissenschaftlerin hat zuvor lange in einem Korrespondentenbüro in Köln für die FINANCIAL TIMES DEUTSCHLAND gearbeitet. Krüger schreibt unter anderem für die linke JUNGLE WORLD und veröffentlicht Texte über die Grünen-nahe Heinrich-Böll-Stiftung. 2010 hat sie das Buch „Die verlogene Politik. Macht um jeden Preis“ gemeinsam mit Pascal Beucker herausgebracht. 2012 erschien ein weiteres Buch von ihr: „Die Angstmacher. Wie uns die Versicherungswirtschaft abzockt“.

Die TAGESZEITUNG (TAZ) ist eine überregionale deutsche Tageszeitung. Sie wurde 1978 als alternative, selbstverwaltete Zeitung – unter anderem vom Grünen-Politiker Hans-Christian Ströbele – gegründet. Die Zeitung hat sich besonders in ihrer Anfangszeit an Linke, Studierende, Grüne und die Hausbesetzer-Bewegung gerichtet. Erklärtes Ziel der TAZ ist es seither, eine Gegenöffentlichkeit zu schaffen. Sie gehört heute zu den zehn größten überregionalen Tageszeitungen in Deutschland, mit einer verkauften Auflage von knapp 48.000 Exemplaren (2/2022). Nach eigenen Angaben verzeichne die Webseite TAZ.DE bis zu 12 Millionen Zugriffe monatlich (9/2021). Das Goethe-Institut verortet die TAZ als „grün-linkes“ Blatt und betont besonders die oft sehr kritische Berichterstattung der Zeitung. Die Debattenplattform EUROTOPICS sieht die TAZ als linkes Medium und stellt die gestaffelte Preisgestaltung und die Entscheidung gegen Online-Bezahlschranken als Besonderheiten der Zeitung heraus. Die TAZ wird genossenschaftlich herausgegeben, jährlich findet eine Generalversammlung statt, an der zuletzt (2022) rund 22.000 Mitglieder teilnehmen konnten.

 

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„Wie aus Kohle Strom wird“

NDR, 12.01.2017 - NDR-Redaktion

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In einem Hintergrundartikel erklärt der NORDEUTSCHE RUNDFUNK (NDR), wie man in Kohlekraftwerken Strom aus Kohle gewinnt. Ein Kohlekraftwerk arbeite dabei in vier Phasen:

In der ersten Phase werde die Braun- oder Steinkohle zunächst zu Staub gemahlen. Dieser Kohlestaub werde dann mit heißer Luft in eine Brennkammer geblasen, wo er bei Temperaturen um 1.300°C verbrannt werde. Damit werde die chemische Energie der Kohle in Wärmeenergie umgewandelt.

In der zweiten Phase werde diese Wärmeenergie dann wiederum in potenzielle Energie verwandelt: „Die entstandenen Rauchgase bringen das sogenannte Speisewasser in einem Kesselrohrsystem zum Sieden – das Wasser verdampft, und es entsteht bei bis zu 530 Grad Celsius ein enormer Druck von etwa 240 bar“, erläutert der NDR. Dieses Rauchgas werde dann gefiltert und gereinigt; so würden dem Rauchgas Stickoxide, Schwefel und Feinstaub entzogen.

In der dritten Phase entstehe nun Bewegungsenergie: Der Wasserdampf ströme durch Rohrleitungen in eine mehrstufige Dampfturbine und treibe dort die Schaufeln an. Daraufhin verflüssige sich der Wasserdampf in einem Kondensator und werde erneut als Speisewasser in den Kessel gepumpt. Um den Kondensator zu betreiben, brauche man allerdings eine große Menge an Kühlwasser. Diese werde meist Flüssen entnommen und später wieder in den Fluss geleitet.

In der letzten und vierten Phase werde die mechanische Rotationsenergie der Turbine „wie bei einem Fahrraddynamo“ mittels Induktion in elektrische Energie umgewandelt. Dies geschieht über einen an die Turbine gekoppelten Generator. Der so gewonnene Strom wird nun ins Stromnetz geleitet und reicht bei einem normalen Kraftwerk laut NDR für rund 1,5 Millionen Haushalte aus.

Anmerkungen der Redaktion

Der NORDDEUTSCHE RUNDFUNK (NDR) ist eine gemeinsame Landesrundfunkanstalt für die Freie und Hansestadt Hamburg und für die Länder Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen und Schleswig-Holstein. Er startete nach dem Zweiten Weltkrieg 1952 sein regelmäßiges Fernsehprogramm. Zu den Radioprogrammen, die der NDR außerdem unterhält, zählen NDR2, NJOY, NDR 90,3, das Hamburg Journal und NDR 1. Außerdem bildet der NDR gemeinsam mit dem WDR und der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG eine Recherchekooperation, die beispielsweise die Panama-Papers für Deutschland aufbereitet hat. Der NDR hat Auslandskorrespondenten in Tokio, London, Stockholm und Washington.

„Wo in Europa (noch) auf Kohlekraftwerke gesetzt wird“

Kurier.at, 20.06.2022 - Kurier-Redaktion

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Die Perspektive in 30 Sekunden

Wo in Europa noch auf Kohlekraft gesetzt wird und welche Rolle die deutsche Kohlekraft am Gesamtausstoß an CO2-Emissionen in Europa hat, hat der österreichische KURIER in einer ausführlichen Recherche zusammengetragen. Insgesamt gebe es in Europa 1.179 Kohlekraftwerke – wobei die 96 deutschen Kohlekraftwerke dem KURIER zufolge einen Bärenanteil am Gesamtbetrag der CO2-Emissionen leisten.

„Die deutschen Kohlekraftwerke des Energiekonzerns RWE in Neurath und Niederaußem wurden bei den Emissionen nur von dem polnischen Kohlekraftwerk Belchatow übertroffen. Insgesamt waren Polen und Deutschland für 53 Prozent der Emissionen im EU-Stromsektor verantwortlich“, stellt der KURIER die Bedeutung der zentraleuropäischen Kohlekraftwerke für das Klima heraus. So stehen sieben der zehn klimaschädlichsten Kohlekraftwerke in der Europäischen Union laut dem KURIER in Deutschland.

Erweitere man den Blick aus der Europäischen Union jedoch nach Kontinentaleuropa, so gebe es weitaus umweltschädlichere Kohlekraftwerke als in Deutschland oder Polen. „Die 18 kohlebefeuerten Kraftwerke in Serbien, Bosnien, Nordmazedonien, Montenegro und Kosovo stoßen zweieinhalb mal so viel giftiges Schwefeldioxid aus als alle 221 Anlagen in der EU gemeinsam“, stellt der KURIER klar. Schwefeldioxid ist vor allem für die Gesundheit von Mensch und Umwelt schädlich – gilt aber nicht als Treibhausgas.

Anmerkungen der Redaktion

Der KURIER ist eine überregionale österreichische Tageszeitung mit Sitz in Wien. Sie wurde 1945 als Informationsblatt der amerikanischen Besatzungsmächte gegründet. Heute hält die WAZ, eine Tochtergesellschaft der Funke Mediengruppe, knapp die Hälfte am KURIER, die Mehrheit hält eine Beteiligungsgesellschaft der Raiffeisenbank. Der eigenen Blattlinie zufolge unterstützt der KURIER „Idee und System der Sozialen Marktwirtschaft unter Berücksichtigung der Ökologie“. Das Debattenportal EUROPTOPICS beschreibt das Blatt als liberal.