NRW-Verfassungsschutz warnt vor „Neuen Staatsfeinden“: Sind die Sorgen vor einem „heißen Herbst“ in NRW berechtigt?

02.09.2022 - Themenbereiche: Demokratie, Konflikte (inkl. Terrorismus), Nordrhein-Westfalen

(Foto von: Kai Schwerdt / Originalfoto: https://www.flickr.com/photos/kaischwerdt/51157283880/in/album-72157719088863524/, / Lizenz: CC BY-NC 2.0 / https://creativecommons.org/licenses/by-nc/2.0/)

Kurzfassung

Ein spaltendes Virus, zum Verzicht zwingende Lebensmittelpreise, an der Existenz nagende Energiekosten: Vielerorts stehen die Zeichen auf Krise. Laut Expert:innen könnten diese „Zutaten“ sich schon bald zu einem spannungsgeladenen Gemisch zusammenbrauen. So sieht etwa der NRW-Verfassungsschutz die Gefahr, dass extremistische Kreise neue Krisenthemen instrumentalisieren, um Menschen im Herbst auf die Straße zu treiben: „Die ‚Neuen Staatsfeinde‘ greifen als demokratiefeindliche und sicherheitsgefährdende Delegitimierer des Staates (…) alle Themen auf, die sich in irgendeiner Form gegen den Staat, seine Regierenden und staatliche Maßnahmen richten“, warnte das NRW-Innenministerium gegenüber dem WESTDEUTSCHEN RUNDFUNK. Unterdessen lässt die Rhetorik von AfD und Linkspartei nicht nur die Medien aufhorchen: Beide Parteien prophezeien einen „heißen Herbst“ und rufen angesichts der explodierenden Energiepreise zu sozialen Protesten auf.

Wüst warnt vor „Menschen, die die Demokratie als Ganzes infrage stellen“

Auch NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) zeigt sich angesichts der „gewaltigen Herausforderungen“ alarmiert: „Immer mehr Menschen machen sich schlicht Sorgen“, bekennt er zum Ende der Sommerpause auf einer Landespressekonferenz. Gleichzeitig warnt er, dass demokratiefeindliche Milieus Krisenthemen für ihre Zwecke missbrauchen könnten: „Ich höre, dass die Demonstrationen schon angemeldet sind – von Menschen, die die Demokratie als Ganzes infrage stellen und die früher Demonstrationen zu ganz anderen Themen angemeldet haben.“ Der Präsident des Bundesamts für Verfassungsschutz, Thomas Haldenwang, geht dagegen nicht von einer erhöhten Bedrohung durch gewalttätige Ausschreitungen aus: „Ich rechne nicht mit Protesten, die gewaltsamer sind als zu Hochzeiten der Demonstrationen gegen die staatlichen Corona-Maßnahmen“, sagte er der BILD AM SONNTAG. Dennoch sehe der Verfassungsschutz genau hin, ob legitimer Protest von Demokratiefeinden gekapert werde.

Wird der soziale Zusammenhalt im Herbst also vor eine weitere Zerreißprobe gestellt? Sind die Sorgen vor einem „heißen Herbst“ in NRW berechtigt?

Acht Perspektiven

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„Konfliktforscher: „Die Gewaltbereitschaft ist gestiegen““

HR-Info, 22.08.2022 - Andreas Zick

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Die Perspektive in 30 Sekunden

Der Bielefelder Extremismus- und Konfliktforscher Andreas Zick warnt davor, dass es in den kommenden Monaten laut werden könnte auf den Straßen. Als ursächlich dafür betrachtet er extremistische Milieus, die Krisenthemen an ihre radikalen Ideologien andocken – und deren Hemmschwellen zusehends sinken. „In den letzten drei Jahren ist die Gewaltbereitschaft insgesamt gestiegen“, betont der Leiter des Instituts für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung der Universität Bielefeld in einem Podcast des Hörfunksenders HR-INFO.

Dieser Trend schlage sich etwa nieder in Hasskampagnen, Gewalt gegen Ordnungskräfte oder auch in Angriffen auf Medienberichterstattende. Vor allem in den sozialen Medien sei zu beobachten, dass Reizthemen – etwa die aktuelle Energiekrise – gezielt mit Feindbildern und Verschwörungsmythen verknüpft werden. Der Widerstand fungiere dabei als verbindendes Thema – und es sei nicht unwahrscheinlich, dass sich über diesen gemeinsamen Nenner unterschiedlichste Lager mobilisieren lassen. „Da wiederholt sich etwas, was wir bei den Corona-Protesten gesehen haben“, so Zick.

Laut des Extremismusforschers werden die Feindbilder einfach ausgetauscht. Dabei gerate auch die Medienlandschaft immer häufiger ins Kreuzfeuer. Dass Medienberichterstattende zusehends selbst Schutz brauchen, wertet Zick als Angriff auf die Demokratie. Umso mehr seien Politik und Kommunen gefragt, genau hinzusehen, wo sich gefährliche Netzwerke bilden. „Wir müssen Kommunen, Kreise, lokale Orte, wo die Angriffe erfolgen, (…) konfliktfest machen: Das heißt, wir müssen uns jetzt schon darauf einstellen, was dort passiert.“

Anmerkungen der Redaktion

Andreas Zick ist Sozialpsychologe und Professor für Sozialisation und Konfliktforschung an der Universität Bielefeld. Seit 2013 leitet er dort das Institut für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung. Zick hat Psychologie und evangelische Theologie in Bochum studiert und im Anschluss als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Bergischen Universität Wuppertal gearbeitet. Nach seiner Promotion im Jahr 1996 wurde er 1999 Assistenzprofessor für Sozial- und Organisationspsychologie an der Universität Wuppertal. Von dort wechselte er zunächst als wissenschaftlicher Mitarbeiter zur Universität Bielefeld, daraufhin als Assistenzprofessor nach Dresden und später nach Jena. 2008 erhielt er den Ruf auf die Professur für Sozialisation und Konfliktforschung an der Universität Bielefeld. In den Jahren 2019 und 2020 ist Andreas Zick Mitglied der Fachkommission Integrationsfähigkeit der Bundesregierung gewesen.

Der HESSISCHE RUNDFUNK (HR) ist die Landesrundfunkanstalt für das Land Hessen mit Sitz in Frankfurt am Main. Er ist Mitglied der ARD und hat die Rechtsform einer Anstalt des öffentlichen Rechts. Der HR verfügt neben dem Fernsehsender HR-FERNSEHEN über mehrere Hörfunkprogramme wie HR-INFO, YOU FM und HR2-KULTUR. Durch den Rundfunkstaatsvertrag ist bei allen öffentlich-rechtlichen Medien Unabhängigkeit und Überparteilichkeit festgeschrieben.

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„Soziologe: Populismus vor allem von rechts ist Kernproblem“

Deutschlandfunk, 10.08.2022 - Dieter Rucht, Stefan Heinlein

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Die Perspektive in 30 Sekunden

Der Soziologe und Protestforscher Dieter Rucht hält die Sorgen vor Herbstprotesten für mehr als heiße Luft. Im DEUTSCHLANDFUNK-Gespräch mit Senior-Korrespondent Stefan Heinlein weist der Wissenschaftler dem rechtspopulistischen Milieu eine Schlüsselrolle zu – denn dieses ziele darauf ab, möglichst viele Menschen gegen die Eliten zu mobilisieren.

Zwar decke der Rechtspopulismus bei weitem nicht alle Protestierenden ab. „Aber es ist doch der Kern derer, die da als Unzufriedene unterwegs sind“, analysiert Rucht. Daneben seien weitere Gruppen zu beobachten, die sich wiederum an die rechtspopulistischen Positionen anlagern. „Populismus (…) bedeutet ja, dass man gegen die da oben wettert, dass man die als moralisch korrupt oder verwahrlost wahrnimmt“, erklärt der Soziologe. Dieses Narrativ stoße vor allem in Krisenzeiten auf großen Anklang – vor allem am rechten politischen Rand, aber auch von Linksaußen. „Wir haben eine etwas prekäre Mischung, das ist keine kompakte, einheitliche Kraft“, stellt er heraus. Das gemeinsame Merkmal sei das „Signum der Unzufriedenheit“ – und dieses werde gezielt genutzt, um sich „gegen die da oben“ zu sammeln.

Steuere die Politik nicht gegen – etwa, indem sie die sozialen Folgen der Krise durch gezielte „Finanzspritzen“ abmildert –, spitze das Problem sich weiter zu: „Diese einzelnen Momente der Unzufriedenheit können sich bündeln zu einem sogenannten anti-systemischen Protest“, führt Rucht aus. Man bediene sich dann abstrakten Parolen à la „Wir sind Freiheitskämpfer“, hinter denen sich zahlreiche Menschen versammeln können. Zwar sei diese Situation noch nicht in Sicht. „Aber man kann einen Trend in diese Richtung nicht ausschließen“, gibt Rucht zu bedenken.

Anmerkungen der Redaktion

Dieter Rucht ist Soziologe und emeritierter Professor. Er hat unter anderem als Co-Leiter der Forschungsgruppe Zivilgesellschaft, Citizenship und politische Mobilisierung in Europa am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB) gearbeitet. Außerdem wurde er im Jahr 2001 zum Honorarprofessor am Institut für Soziologie der Freien Universität Berlin ernannt und war acht Jahre lang Mitglied im Vorstand des Instituts für Protest- und Bewegungsforschung. Seit Juli 2011 ist Rucht im Ruhestand und Forschungsbeauftragter am WZB. Rucht beschäftigt sich dort unter anderem mit Sozialpolitik und sozialen Bewegungen.

Stefan Heinlein ist Journalist und Senior-Korrespondent des ARD-Studios in Prag. Von 2011 bis 2016 war er der Korrespondent für Tschechien und die Slowakische Republik des DEUTSCHLANDFUNKS, wo er aktuell die Nachrichtensendung „Informationen am Morgen“ co-moderiert.

Der DEUTSCHLANDFUNK ist 1962 als Teil des öffentlich-rechtlichen Rundfunks gegründet worden. Er ist eines der drei bundesweiten Hörfunkprogramme des DEUTSCHLANDRADIOS und hat einen Wortanteil von 80 Prozent. Das Programm beschäftigt sich besonders tagsüber mit tagesaktuellen Geschehnissen aus Politik, Wirtschaft und Wissenschaft. In den Abendstunden liegt der programmatische Schwerpunkt auf Kulturthemen wie Musik, Hörspielen, Lesungen und entsprechenden Berichten. Der DEUTSCHLANDFUNK sendet klassisch linear, jedoch betreibt er auch eine umfangreiche Audiothek und diverse Podcasts, wo Inhalte auch nicht-linear konsumiert werden können. Laut der Mediaanalyse „ma Audio 2021“ hat der DEUTSCHLANDFUNK im Jahr 2020 täglich rund 2,2 Millionen Zuhörer:innen erreicht.

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„Der Rachefeldzug der Corona-Leugner*innen“

ND, 12.08.2022 - Natascha Strobl

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Die Perspektive in 30 Sekunden

Die Politikwissenschaftlerin Natascha Strobl befürchtet, dass extremistische Kreise rund um die sogenannten Corona-Leugner:innen den sozialen Frieden auch in den kommenden Monaten weiter auf die Probe stellen werden. Zwar gebe es kaum noch Maßnahmen, um das Virus einzudämmen. Aber: „Es geht um Rache“, warnt Strobl in ihrem Kommentar für die linke Tageszeitung ND. „Und in dieser Rache muss das Gegenüber besiegt werden.“

Strobl sieht den Zündstoff der Maßnahmen-Gegner:innen weiter vor sich hin schwelen – und zwar „[d]ie eigenen, erlebten und imaginierten Verletzungen und Kränkungen“. Der Kampf gegen das System weise dabei Züge eines Märchens auf: „Im eigenen Denken (…) ist man der Held, der das (vermeintliche) Unrecht eigenhändig wieder ungeschehen machen kann, indem er den Drachen, die böse Hexe oder den zwielichtigen Zauberer tötet“, illustriert Strobl. Diesem „tradierten Gut-Böse-Schema“ sei auch die geplante Entführung des Bundesgesundheitsministers Karl Lauterbach zuzuschreiben – die laut Strobl darauf abzielte, gleich den ganzen Staat zu stürzen. Vor dieser „Moral der Gewalt“ warnt Strobl: „Was im Märchen oder Western harmlos oder unterhaltsam klingt, ist archaisch und gefährlich im Hier und Jetzt.“ 

So hält sie auch die Rhetorik einiger Unzufriedenen für einen Warnschuss: „Corona-Leugner*innen sprechen hier gerne von »Volkstribunalen«, die die »Täter« richten sollen – am Ende sollen dann »Köpfe rollen«“, beschreibt sie. Längst schon gehe es nicht mehr um einen rationalen Diskurs oder gar um Perspektiven. Denn für sachliche Auseinandersetzung sei im Verschwörungsdenken kein Platz: „Sie wird nicht gewünscht und sie wird nicht eingelöst“, so Strobl. „Es ist mehr als nur naiv, darauf zu hoffen und in dieser blinden Hoffnung Zugeständnisse zu machen.“

Anmerkungen der Redaktion

Natascha Strobl ist eine österreichische Politikwissenschaftlerin und Autorin. In ihrer Forschung setzt sie sich insbesondere mit dem Rechtsextremismus in Österreich, der Identitären Bewegung und den Neuen Rechten auseinander. Gemeinsam mit Julian Bruns und Kathrin Glösel hat sie 2015 das Fachbuch „Rechte Kulturrevolution. Wer und was ist die Neue Rechte von heute?“ sowie 2017 „Die Identitären. Handbuch zur Jugendbewegung der Neuen Rechten in Europa“ herausgegeben. Infolgedessen wurde sie wiederholt Opfer von Einschüchterungsversuchen. 2021 ist ihr Buch „Radikalisierter Konservatismus. Eine Analyse“ im Suhrkamp-Verlag erschienen. Darüber hinaus schreibt Strobl regelmäßig Beiträge unter anderem für den STANDARD, ZEIT ONLINE und die TAZ. Sie ist Mitglied der Sozialdemokratischen Partei Österreichs (SPÖ).

ND (ehemals NEUES DEUTSCHLAND) ist eine überregionale Tageszeitung, die einen „Journalismus von links“ vertreten möchte. Im ersten Quartal 2022 lag die verkaufte Auflage des NEUEN DEUTSCHLAND bei knapp 16.600 Exemplaren. Zu DDR-Zeiten war sie das publizistische Zentralorgan der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED) und gehörte nach der Wende der Partei PDS. Deren Nachfolgepartei DIE LINKE besaß bis Ende 2021 noch 50 Prozent der Anteile an der Zeitung. Seit 2022 wird die Zeitung von einer Genossenschaft herausgegeben und gehört den Leser:innen und Mitarbeiter:innen aus Redaktion und Verlag. ND beschreibt sich selbst als Tageszeitung, „die mit linkem Ideengut über den Tellerrand des journalistischen Alltags hinausdenkt“. Die Konrad-Adenauer-Stiftung bescheinigt der Zeitung eine einseitige Berichterstattung: Marktwirtschaft sei „Kapitalismus“, westliche Außenpolitik „Imperialismus“. Außerdem sei ND DDR-nostalgisch.

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„So lässt sich ein Winter der Wut verhindern“

Tagesspiegel, 14.08.2022 - Maria Fiedler

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Noch lässt die aufkeimende Wut der Unzufriedenen sich bändigen, glaubt die Journalistin Maria Fiedler. Damit das gelingen kann, dürfe der Staat die drohende Radikalisierung einiger Bürgerinnen und Bürger allerdings nicht unter den Teppich kehren: „Die Politik muss bereits jetzt alles dafür tun, damit die Verzweiflung Menschen nicht auf die Straße und Extremisten in die Arme treibt“, appelliert sie in der Tageszeitung DER TAGESSPIEGEL.

Mit dem „You’ll never walk alone“ von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) sei es bei weitem nicht getan – schon gar nicht, wenn die Ampel-Koalition in Sachen Entlastungen vor allem Zerstrittenheit vermittele, kritisiert Fiedler. Stattdessen brauche die Gesellschaft konkrete Hilfen, die beweisen, dass der Staat sie mit existenziellen Geldnöten nicht allein lässt. Dazu seien Opposition und Zivilgesellschaft gefragt, Angebote des demokratischen Protests zu schaffen. Die angekündigte Offensive der Linkspartei könne laut Fiedler ein solches Angebot sein. Allerdings müsse diese „aufpassen, dass sie mit ihrer Agitation gegen ‚Reiche‘ nicht selbst Sündenböcke schafft und Hass schürt“.

Ebenso sei es wenig nützlich, mit düsteren Prognosen Angst vor kalten Wohnzimmern und Wohlstandsverlust zu schüren. Vielmehr brauche es eine positive Vision, wo Deutschland am Ende dieser Krise stehen will – und wie jeder dazu beitragen kann. „Die Ampel braucht ein gemeinsames Konzept davon, was eine gerechte Verteilung der Lasten in dieser Krise bedeuten würde“, findet Fiedler. „Wenn sie das auch klar vermittelt, wäre es ein wichtiger Schritt, um einem Wutwinter vorzubeugen.“

Anmerkungen der Redaktion

Maria Fiedler ist eine deutsche Journalistin und die stellvertretende Leiterin des TAGESSPIEGEL-Hauptstadtbüros. Sie berichtet häufig über die Union, die AfD und rechten Populismus. Für ihre Arbeit als Regionalreporterin ist sie 2018 vom MEDIUM MAGAZIN unter die Journalisten des Jahres gewählt worden und hat Platz 2 in der Kategorie „Reporter Regional“ belegt. Fiedler ist zudem Teil des Autorenpools der „Abendlage“, dem Politik-Newsletter des TAGESSPIEGELS. Sie hat in Eichstätt Journalistik studiert und einen Master in Politischer Wissenschaft an der Universität Heidelberg absolviert. Nach dem Studium schrieb sie zunächst als freie Journalistin für Medien wie den TAGESSPIEGEL, die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG oder die DEUTSCHE PRESSEAGENTUR (DPA), bevor sie 2015 als Volontärin zum TAGESSPIEGEL wechselte.

DER TAGESSPIEGEL ist eine 1945 gegründete Tageszeitung aus Berlin. Er hat mit knapp 103.000 Exemplaren (2/2022) die höchste Auflage unter den Berliner Abonnementzeitungen und wird im Unterschied zur BERLINER ZEITUNG traditionell vor allem in den westlichen Bezirken der Stadt gelesen, da die Mauer die Verbreitung der Zeitung auf Westberlin beschränkte. Seit 2014 erhält der TAGESSPIEGEL besondere Aufmerksamkeit durch den Checkpoint Newsletter, der täglich aus Berlins Politik, Wirtschaft und Gesellschaft berichtet. EUROTOPICS beschreibt die Blattlinie der Zeitung als liberal. Der TAGESSPIEGEL wurde lange Zeit den regionalen Zeitungen zugerechnet, verfolgt seit einigen Jahren jedoch verstärkt eine überregionale Ausrichtung. Die Printauflage bleibt jedoch stark regional dominiert.

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„Kommentar: Sozial-Protest ist kein Bürgerkrieg“

Mitteldeutscher Rundfunk (MDR), 09.08.2022 - Torben Lehning

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„Ein ‚heißer Herbst‘ mit Protesten und Demonstrationen, wie ihn Gewerkschaften, Parteien und Verbände ankündigen, ist nichts Falsches, sondern vielmehr verständlich“, meint der Radioredakteur Torben Lehning angesichts der diversen Themen, die derzeit in der Bevölkerung Unmut auslösen. Immerhin müsse der Sozialprotest nicht gleich in einen Bürgerkrieg ausarten, kommentiert er im MITTELDEUTSCHEN RUNDFUNK (MDR).

In einer Demokratie sei es schließlich legitim, dass Streit über politische Instrumente auf der Straße ausgetragen wird. Während es dabei die Aufgabe des Staates sei, die Probleme der Bevölkerung zu lösen, gebe es jedoch auch eine Pflicht der Bürgerinnen und Bürger: „Die Pflicht eines jeden und einer jeden Einzelnen ist es, darauf zu schauen, mit wem man zusammen auf die Straße geht“, mahnt Lehning. Schließlich sei es auch eine Realität, dass vor allem Rechtsextreme versuchen, die für den Herbst erwarteten Sozialproteste „für ihre Zwecke zu kapern“.

Hier sieht Lehning die Demonstrierenden in der Sorgfaltspflicht, denn an Demonstrationsangeboten werde es im Herbst keineswegs mangeln. „Es wird (…) genügend Alternativen zu rechtsextremen Aufmärschen geben“, betont er. Dabei liege es in der Verantwortung der Protestierenden, genau zu sondieren, welche Motive die anderen Teilnehmerinnen und Teilnehmer verfolgen – und mit wem sie selbst sich verbünden.

Anmerkungen der Redaktion

Torben Lehning ist Radioredakteur beim öffentlich-rechtlichen Rundfunksender MDR. Er arbeitet dort im Hauptstadtstudio für das Nachrichtenradio MDR Aktuell. Dort absolvierte er von 2018 bis 2020 ein Volontariat. Zuvor hat er diverse Praktika im Print- und Rundfunkbereich abgeschlossen. Im Anschluss arbeitete er einige Zeit als freier Redakteur für den Berliner Radiosender FLUX FM und den deutschen und internationalen Hip-Hop-Sender BOOM FM. Als Radiomoderator hat er für die beiden Radiosender regelmäßig gesprochen und geschnitten.

Der MITTELDEUTSCHE RUNDFUNK (MDR) ist die Landesrundfunkanstalt für das Land Sachsen-Anhalt sowie für die Freistaaten Sachsen und Thüringen. 1991 wurde der MDR gegründet und startete 1993 auch im Fernsehen. Der MDR ist Teil der öffentlich-rechtlichen Sender und Mitglied der ARD. Er wird hauptsächlich über die Rundfunkgebühren finanziert. Durch den Rundfunkstaatsvertrag ist die Unabhängigkeit und Überparteilichkeit festgeschrieben. Zu den Radiosendern gehören MDR Sachsen, MDR Sachsen-Anhalt, MDR Thüringen, MDR Jump, Sputnik, MDR Tweens, MDR Kultur, MDR Aktuell und MDR Klassik. Seine Auslandskorrespondent:innen hat der MDR in Brüssel, Washington, Paris, Zürich, Prag, Neu-Delhi und Shanghai. Intendantin ist seit 2011 die Juristin Karola Wille. Der MDR betreibt außerdem das Portal MDR360G, das einen umfassenden Blick über die Medienwelt ermöglichen soll, indem es Analysen, Texte und Videos zu Medien und ihrer Funktionsweise veröffentlicht.

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„Eine selbsterfüllende Prophezeiung“

Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ), 28.08.2022 - Thomas Holl

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Der Politikredakteur Thomas Holl kann den Diskussionen um eine vermeintlich nahende Protestwelle nichts abgewinnen. Zwar seien AfD und Linke geradezu in Vorfreude auf einen „heißen Herbst“. „Doch viel daran ist nur herbeigeredet“, kommentiert Holl in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG (FAZ).

In der gegenwärtigen „verbal aufgeheizten Stimmung“ hält der FAZ-Redakteur Besonnenheit für das Gebot der Stunde. Denn die AfD – und vorneweg ihr Parteichef Tino Chrupalla – zelebriere die gesellschaftliche Verunsicherung schon „genüsslich“, überspitzt Holl. „Sie speist sich aus der destruktiven Lust der radikalen Rechten, dass es den Deutschen so richtig dreckig gehen möge, damit sich ihr Zorn wegen der hohen Energiepreise nicht gegen Putin, sondern gegen die Bundesregierung richte.“ Dazu geselle sich ein Teil der Linkspartei rund um die „populistisch hochbegabte Sahra Wagenknecht“, deren „Lust auf viel Wut der Straße“ sich schon in ihrer Solidarität mit der „Gelbwesten-Randale“ in Frankreich gezeigt habe.

Die Botschaft des Verfassungsschutzpräsidenten Thomas Haldenwang, der derzeit keine Anzeichen für gewalttätige Massenkrawalle feststellt, sei umso begrüßenswerter. Aus Holls Sicht laufen Prognosen vom „heißen Herbst“ nämlich auch Gefahr, entscheidenden Einfluss auf die Zukunft zu nehmen: „Zu einer sich selbsterfüllenden Prophezeiung darf es (…) nicht kommen“, gibt Holl zu bedenken.

Anmerkungen der Redaktion

Thomas Holl arbeitet seit 2003 als Politikredakteur für die FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG (FAZ). Er hat zunächst als freier Mitarbeiter der NEUEN ZEIT im Ostteil Berlins geschrieben und dann ein Volontariat bei der FAZ absolviert. 1995 wechselte er zur WELT und schrieb dort über die Berliner Landespolitik. Er hat an der Freien Universität Berlin Germanistik, Geschichte und Publizistik studiert.

Die FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG (FAZ) ist eine deutsche überregionale Tageszeitung. Sie ist 1949 gegründet worden und wird zu den deutschen Leitmedien gezählt. Dies sind Medien, die einen besonderen Einfluss auf die öffentliche Meinung und auf andere Massenmedien ausüben. Laut Eigenangabe steht die FAZ „für den Erhalt und die Stärkung der demokratischen Ordnung und der Sozialen Marktwirtschaft in Deutschland“. Die Zeitung gilt als liberal-konservatives Blatt. THE EUROPEAN schreibt über die „drei Gesichter“ der FAZ: Sie habe einen eher konservativen, staatstragenden Politikteil, ein linksliberales Feuilleton und einen liberalen Wirtschaftsteil. Die verkaufte Auflage der Zeitung lag zusammen mit der FRANKFURTER ALLGEMEINEN SONNTAGSZEITUNG im zweiten Quartal 2022 bei annähernd 399.000 Exemplaren. Laut der Arbeitsgemeinschaft Online-Forschung (AGOF) hatte der Webauftritt der FAZFAZ.NET – im August 2021 rund 16 Millionen Besucher:innen zu verzeichnen.

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„"Neue Staatsfeinde" mobilisieren gegen Demokratie in NRW“

Tagesschau.de, 16.08.2022 - TAGESSCHAU-Redaktion

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„Es geht jetzt nicht mehr um Protestler, sondern es geht fast um so was wie neue Staatsfeinde, die sich da etablieren“, bekräftigte NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) Mitte August in einem TV-Interview des Nachrichtensenders N-TV. Wie ist die Gefahr gewaltbereiter Proteste derzeit in NRW einzuschätzen? Dieser Frage widmet sich ein Beitrag des Online-Nachrichtenportals TAGESSCHAU.DE.

Laut Reul gibt der Ukraine-Krieg, die Energiekrise und die Inflation sogenannten „Verschwörungstheoretikern“ neue Nahrung. Zu beobachten sei das etwa in Chat-Verläufen von Messenger-Diensten wie Telegram. Laut einer Sprecherin habe der NRW-Verfassungsschutz aus dieser Szene derzeit rund 20 Personen im Blick, die Lage sei jedoch dynamisch.

Das Themenspektrum, um das sich die Kräfte versammeln, umfasse auch den Klimawandel, Gendergerechtigkeit und Antiamerikanismus. Als verbindendes Glied fungiere dabei jedoch „die Verachtung des demokratischen Rechtsstaates und seiner Repräsentanten“, zitiert die TAGESSCHAU die Sprecherin. Angestrebt werde ein „Systemwechsel“.

In dem Beitrag kommt auch der Düsseldorfer Rechtsextremismusforscher Alexander Häusler zu Wort. Dieser beschreibt es als neues Phänomen, dass rechte Strömungen mit anderen ideologischen Milieus zusammen agieren. Daneben beobachte er, dass in Rechtsaußen-Milieus „von einem Aufstand geträumt“ werde. Das berge die Gefahr, dass diese sich zu Straftaten legitimiert sehen.

Laut der TAGESSCHAU warnte auch die Grünen-Fraktionschefin Verena Schäffer im NRW-Landtag vor Rechtsextremen, die die Preissteigerungen und die Energiekrise als Mobilisierungsthema für sich zu nutzen versuchen. Es sei an den Sicherheitsbehörden, diese Entwicklungen genau zu verfolgen. Für den Herbst und Winter werde es „wichtig sein, soziale Härten aufgrund der Energiekrise und der Inflation abzufedern“, zitiert die TAGESSCHAU.

Anmerkungen der Redaktion

Das Online-Nachrichtenportal TAGESSCHAU.DE wurde 1996 veröffentlicht und diente zunächst als begleitendes Infoportal zur gleichnamigen Nachrichtensendung der ARD und anderer Nachrichtenangebote von ARD AKTUELL. Heute ist TAGESSCHAU.DE eine der meist aufgerufenen Informationsplattformen, eine Nachrichten-App und ein eigenständiges Medienangebot. Laut eigenen Angaben verzeichnet die Seite etwa 157 Millionen Seitenaufrufe pro Monat. Die Redaktionsleitung hat Juliane Leopold inne, die auch Chefredakteurin Digitales bei ARD-Aktuell ist. Seit 2017 ist über die Website auch das Onlineportal FAKTENFINDER aufrufbar, das Falschinformationen sammelt und einordnet.

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„Hohe Preise: Rechte will "populistische Mobilisierung"“

Westdeutscher Rundfunk (WDR), 04.08.2022 - Jan Rathje, WDR-Redaktion

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Besonders Rechtsextreme hoffen angesichts der steigenden Lebenshaltungskosten auf Zulauf, verdeutlicht der Politologe Jan Rathje im Interview mit dem WESTDEUTSCHEN RUNDFUNK (WDR). Ihre Strategie bezeichnet er als „populistische Mobilisierung“, um mehr Menschen für rechtsextreme Themen zu gewinnen.

Verbreitet werde die Ideologie nicht nur mittels rechtsextremer Publikumsorgane und durch Parteien-Netzwerke – etwa der AfD –, sondern auch dezentral über das Internet. Vor allem über den Messenger-Dienst Telegram lasse sich eine Vielzahl von Menschen erreichen, die einen hohen Protestwillen haben, unterstreicht der Politikwissenschaftler.

Geografisch betrachtet seien die Voraussetzungen dafür im Osten Deutschlands noch immer günstiger als im Westen. In den neuen Bundesländern habe sich das rechtsextreme Milieu über Jahre hinweg nahezu ungehindert ausbreiten können. „Das heißt, es gibt bereits eine Struktur, (…) die genutzt werden kann, um Menschen in dieser Krise zu mobilisieren“, so Rathje.

Dazu sattele das rechtsextreme Milieu auf Themen auf, von denen viele Menschen unmittelbar betroffen seien – etwa die Inflation oder die Energiekrise. Der Protest richte sich insbesondere gegen die politischen Maßnahmen der Bundesregierung: Damit werde also das gleiche Feindbild bedient, wie während der Corona-Proteste.    

Um die Unzufriedenheit abzufedern, plädiert Rathje an zivilgesellschaftliche und politische Organisationen, eine demokratische und menschenfreundliche Alternative des Protests zu bieten. Keinesfalls dürfe es sich wiederholen, dass verunsicherte Menschen auf Demonstrationen landen, die „von problematischen Akteur:innen initiiert“ seien. „Denn es ist durchaus wichtig, dass innerhalb eines demokratischen Systems (…) Protest formuliert wird“, hebt Rathje hervor.

Anmerkungen der Redaktion

Jan Rathje ist Politikwissenschaftler und arbeitet für das Center für Monitoring, Analyse und Strategie (CeMAS), das systematische Online-Beobachtungen zu den Themen Verschwörungsideologien, Desinformation, Antisemitismus und Rechtsextremismus durchführt. Rathje war außerdem Leiter des Projekts „No World Order – Handeln gegen Verschwörungsideologien“ der Amadeu Antonio Stiftung und hat für die mobile Beratung gegen Rechtsextremismus gearbeitet.

Der WESTDEUTSCHE RUNDFUNK (WDR) ist die größte der neun Landesrundfunkanstalten der ARD. Er entstand 1956, als sich der NWDR in den NDR und den WDR aufteilte. Die Sendeanstalt hat sechs Radioprogramme und einen Fernsehsender, zu dessen bekanntesten Programmen unter anderem das Politmagazin „Monitor“, die „Sportschau“ oder das Kinderangebot „Die Sendung mit der Maus“ gehören. Laut eigenen Angaben ist der Sender nach Anzahl der Beschäftigten das zweitgrößte Medienunternehmen Europas hinter der BBC. Laut der „Media-Analyse 2021“ erreicht der Fernsehsender des WDR in Deutschland täglich rund 8 Millionen Zuschauer:innen, der Radiosender rund 11 Millionen Zuhörer:innen. Der Webauftritt des WDR hatte im April 2022 laut Similarweb rund 14,8 Millionen Besuche zu verzeichnen.