Streitfall Wirtschaftskompetenz: Diskussionen um das neue Schulfach Wirtschaft/Politik

26.08.2021
Mehrere digitale Zahlen in verschiedenen Farben

Kurzfassung

Es gilt als eines der großen Bildungsprojekte der schwarz-gelben Regierung unter Ministerpräsident Armin Laschet (CDU). Die CDU/FDP-Koalition in Nordrhein-Westfalen hat im Sommer 2017 beschlossen, dass es während der Legislaturperiode zur Einführung eines neuen Schulfachs kommen wird. Seit dem Schuljahr 2020/21 steht es nun an allen weiterführenden Schulen des Landes auf dem Lehrplan: das neu konzipierte Fach „Wirtschaft/Politik“. Das Unterrichtsfach „Sozialwissenschaften“ soll dafür abgeschafft werden. Und nicht nur im Schulunterricht: Auch an den Universitäten soll für Lehramtsanwärter:innen in Zukunft „Sozialwissenschaften“ wegfallen und durch „Wirtschaft/Politik“ ersetzt werden.

NRW will es besser machen

Das Motiv: Nordrhein-Westfalen will es besser machen als die meisten anderen Bundesländer. Denn um die ökonomische Bildung von Jugendlichen ist es in Deutschland schlecht bestellt. Das hat jüngst eine Studie von der Universität Oldenburg bestätigt. Demnach erfüllt kein Bundesland die Anforderungen an ein Nebenfach Wirtschaft. Besonders schlecht schneiden Rheinland-Pfalz, Sachsen und das Saarland ab. Zur Spitzengruppe gehören Niedersachsen, Baden-Württemberg und Bayern. Nordrhein-Westfalen befindet sich im Mittelfeld.

Nicht unumstritten

Die Entscheidung des Landesregierung, das neue Schulfach „Wirtschaft/Politik“ einzuführen, ist hingegen längst nicht unumstritten und führt teils zu heftigem Gegenwind: Zahlreiche Verbände sowie SPD und Grüne sprechen sich mittlerweile vehement gegen die Änderungen aus. Eines der Argumente: Die Reform sei „ideologisch motiviert“. Politische Bildung werde aus den Lehrplänen gedrängt und durch die Vermittlung klassisch wirtschaftswissenschaftlicher Theorien und Weltansichten ersetzt. Eine Lehramtsstudentin hat mit der Petition „Sowi bleibt“ seit Anfang des Jahres mehr als 40.000 Unterschriften gegen die Reform gesammelt. Ist die Kritik berechtigt? Oder ist es ein längst überfälliger Schritt, dass an den Schulen in NRW „Wirtschaft/Politik“ als eigenes Fach unterrichtet wird?

Acht Perspektiven

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„Wählern ohne Wirtschaftskenntnisse können Politiker leicht alles versprechen“

Die Welt, 17.05.2021 - Dorothea Siems

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Die Perspektive in 30 Sekunden

Ein verpflichtendes Schulfach Wirtschaft ist dringend nötig, und zwar nicht nur in Nordrhein-Westfalen, meint Wirtschaftsjournalistin Dorothea Siems in einem Kommentar für die WELT. Denn wirtschaftliche Bildung könne vor Populismus und Manipulation schützen, argumentiert sie.

Schülerinnen und Schüler brauchen dringend „ökonomische Grundkenntnisse“, fordert die Wirtschaftsjournalistin. Das sei wichtig, um „hochkomplexe“ Themen wie die Staatsverschuldung, die Zukunft der Sozialsysteme, die europäische Geldpolitik oder die Energiewende zumindest im Ansatz zu verstehen, meint Siems. Denn nur wenn Schülerinnen und Schüler dieses Grundwissen haben, können sie angemessene politische Entscheidungen treffen, argumentiert sie. Nur dann seien sie sicher vor Populismus. „Ansonsten haben Politiker, die den Wählern das Blaue vom Himmel versprechen, leichtes Spiel“, warnt Siems. Für die Wirtschaftspolitik gelte dasselbe wie für den Supermarkt, fährt sie fort: „Nur wer aufgeklärt ist, kann eine Mogelpackung erkennen.“

Aktuell findet Siems die deutsche Schulbildung im Bereich Wirtschaft nicht ausreichend. Sie zitiert die Studie der Universität Oldenburg von Mai 2021, die herausgefunden hat: Bundesweit gibt es „eklatante Mängel“ in der Wirtschaftsbildung. Schülerinnen und Schüler seien so für das Leben nicht gut gerüstet, warnt sie. Um das zu verhindern sei ein verpflichtendes Schulfach Wirtschaft wichtig.

Anmerkungen der Redaktion

Dorothea Siems ist Journalistin und die Leiterin des Wirtschafts-Ressorts bei der WELT. Die studierte Volkswirtin war vorher die Wirtschaftskorrespondentin der Zeitung und unter anderem Redakteurin bei der WIRTSCHAFTSWOCHE.

DIE WELT ist eine überregionale Tageszeitung mit Sitz in Berlin, die zum Axel Springer Konzern gehört. Sie wurde 1946 gegründet und erschien zuletzt in einer verkauften Auflage von knapp 71.000 Exemplaren (4/2020). Anfang 2010 lag diese noch bei über 250.000. EUROTOPICS bezeichnet die WELT als konservativ. In ökonomischen Fragen positioniert sich die Zeitung meist wirtschaftsliberal. Das Goethe-Institut urteilt, die WELT ziele in ihrer Printausgabe auf „mittelständische Unternehmer und Selbstständige, die konservative Werte schätzen“. Auch WELT-Autor:innen bekennen sich zu den Leitlinien des Axel-Springer-Verlages, die unter anderem ein Eintreten für „die freie und soziale Marktwirtschaft“, sowie Solidarität mit den USA und Israel fordern.

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„Gastbeitrag: Wissen über Wirtschaft vermitteln“

Meine Fraktion (FDP), 29.01.2021 - Franziska Müller-Rech

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Die Perspektive in 30 Sekunden

Dass in Nordrhein-Westfalen seit diesem Schuljahr mehr Wirtschaft unterrichtet wird, ist absolut richtig, findet Franziska Müller-Rech, schulpolitische Sprecherin der FDP-Landtagsfraktion. Sie verteidigt die Politik der schwarz-gelben Landesregierung im Online-Magazin der FDP Nordrhein-Westfalen.

„Ich bin fast 18 und hab keine Ahnung von Steuern, Miete oder Versicherungen. Aber ich kann ‘ne Gedichtsanalyse schreiben. In 4 Sprachen“ – dieser Tweet einer Kölner Schülerin hat 2015 eine heftige Debatte über Bildungspolitik ausgelöst. Müller-Rech zitiert die Schülerin und schreibt: Der Tweet lege den Finger in die Wunde. Das Statement zeige, dass längst nicht nur Politiker:innen die Vermittlung von mehr Wirtschaftskompetenz in der Schule fordern. Sondern, dass auch Jugendliche, Eltern und Lehrkräfte wollen, dass sich etwas ändert.

Das sehe man auch an den Ergebnissen des ersten Schulversuchs in NRW „Wirtschaft an Realschulen“, der 2014 zu Ende ging. „75 Prozent der Lehrkräfte, 87 Prozent der Eltern und 72 Prozent der Schülerinnen und Schüler wünschten sich eine Fortsetzung des Schulfachs Wirtschaft“. Die damalige rot-grüne Landesregierung unter Hannelore Kraft entschied sich dennoch gegen die Fortführung. Ein Unding, findet Müller-Rech. Es sei richtig, dass die schwarz-gelbe Landesregierung den Forderungen von Eltern, Schüler:innen und Lehrkräften nachkomme und daran arbeite, dass Wirtschaft in der Schule eine größere Rolle spiele. 

Anmerkungen der Redaktion

Franziska Müller-Rech ist FDP-Politikerin und seit 2017 Abgeordnete im Landtag Nordrhein-Westfalen. Die diplomierte Kauffrau ist außerdem die Kreisvorsitzende der Bonner FDP und gehört dem Schulausschuss der Stadt Bonn als sachkundige Bürgerin an.

MEINE FRAKTION ist die Onlineplattform der NRW-Landtagsfraktion der FDP. Auf der Plattform werden politische Diskussionen und Berichte von und über die 28 FDP-Abgeordneten des Landtags veröffentlicht.

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„Brauchen wir mehr Wirtschaft in der Schule?“

Frankfurter Allgemeine Zeitung, 17.08.2020 - Achim Wambach

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Die Perspektive in 30 Sekunden

Dass Wirtschaft in Nordrhein-Westfalen seit diesem Schuljahr Pflichtfach ist, sei eine große Chance, lobt Ökonom Achim Wambach in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG (FAZ). Er hofft, dass sich damit die Debattenkultur in Deutschland verbessert. Und findet: Wirtschaft ist ganz allgemein wichtig, um gut fürs Leben vorbereitet zu sein.

Wambach meint, zu viele Menschen diskutieren über Kapitalismus und Globalisierung, die wenig darüber wissen. Vor allem im Internet. Und das störe ihn. Oft sähen Menschen beispielsweise nur die negativen Aspekte der Globalisierung, ohne sich mit den Grundlagen von Ökonomie, Handel und Finanzen beschäftigt zu haben. „Die Wirtschaftswissenschaften besitzen einen Grundkanon an Methoden und Theorien“, erläutert der Ökonom. Erst wenn man diese kenne, könne eine „wohlinformierte kritische Reflexion“ beginnen. Und diese kritische Reflexion halte er für wichtig. Denn nur so könne die öffentliche Debatten konstruktiver und lösungsorientierter werden.

Darüber hinaus meint Wambach: Grundlagen der Wirtschaftskompetenz sind ganz allgemein unverzichtbar, um gut fürs Leben vorbereitet zu sein. „Langfristige finanzielle Entscheidungen zum Beispiel für die Altersvorsorge zu treffen, sich auf dem Arbeitsmarkt zu behaupten, im späteren Beruf betriebswirtschaftliche Entscheidungen zu treffen“ – für all das brauche man ein Grundverständnis von Wirtschaftsthemen, betont Wambach. Ein „gewisses Verständnis“ von Makroökonomie und Mikroökonomie. Das Schulfach Wirtschaft/Politik sei daher ein sinnvolles Experiment.

Anmerkungen der Redaktion

Achim Wambach ist Ökonom und der Präsident des Leibniz-Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW). Zuvor war er Ko-Vorsitzender der Kommission „Wettbewerbsrecht 4.0“ des Bundeswirtschaftsministeriums und hat dem Wissenschaftlichen Beirat des Bundeswirtschaftsministeriums angehört. Er beschäftigt sich hauptsächlich mit den Schwerpunkten Marktdesign und Wettbewerbspolitik.

Die FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG (FAZ) ist eine deutsche überregionale Tageszeitung. Sie wurde 1949 gegründet und wird zu den deutschen Leitmedien gezählt, also solchen, die einen besonderen Einfluss auf die öffentliche Meinung und auf andere Massenmedien ausüben. Laut Eigenangabe steht sie „für den Erhalt und die Stärkung der demokratischen Ordnung und der Sozialen Marktwirtschaft in Deutschland“. Die FAZ gilt als liberal-konservatives Blatt. THE EUROPEAN schreibt über die „drei Gesichter“ der FAZ: Sie habe einen eher konservativen, staatstragenden Politikteil, ein linksliberales Feuilleton und einen liberalen Wirtschaftsteil. Die verkaufte Auflage der Zeitung lag im vierten Quartal 2020 bei etwa 200.000 Exemplaren.

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„Keine Spielchen mit politischer Bildung“

Frankfurter Rundschau, 16.02.2021 - Kai Gehring

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Die Perspektive in 30 Sekunden

Kai Gehring hält nicht viel von der Reform der nordrhein-westfälischen Landesregierung, Wirtschaft als Schulfach einzuführen. Denn das gehe zulasten der politischen Bildung. Und damit dürfe man „keine Spielchen“ treiben, warnt der Sprecher für Forschung, Wissenschaft und Hochschule der Grünen in einem Gastbeitrag für die FRANKFURTER RUNDSCHAU. Wenn die politische Bildung in Gefahr ist, sei auch die Demokratie gefährdet, warnt er.

Gehring zitiert eine Studie der Universität Bielefeld, die herausgefunden hat: Schon ohne das Fach „Wirtschaft/Politik“ seien wirtschaftliche Themen in gesellschaftswissenschaftlichen Fächern in NRW „deutlich im Vordergrund“. Es werde deutlich mehr über Wirtschaftsthemen als über Politikthemen im Unterricht gesprochen.

In der Studie, auf die Gehring sich bezieht, hat Soziologe Reinhold Hedtke die Lehrpläne in NRW ausgewertet und herausgefunden: Im Durchschnitt entfallen pro Schulwoche bestenfalls 17 bis 20 Minuten auf politisches Lernen. „Jede Schülerin und jeder Schüler hat somit wöchentlich etwa 20 Sekunden Zeit, im Politikunterricht zu Wort zu kommen“, kritisiert Gehring. Dieses Mindestmaß an politischer Bildung zugunsten von Wirtschaftsthemen jetzt noch weiter in den Hintergrund zu drängen, sei gefährlich. „In Zeiten, in denen Demokratiefeinde Unsicherheit und Misstrauen schüren, kommt es auf die politische Bildung besonders an“, warnt Gehring.

Anmerkungen der Redaktion

Kai Gehring ist Grünenpolitiker, Bundestagsabgeordneter und der Sprecher für Forschung, Wissenschaft und Hochschule der Fraktion seiner Partei im Deutschen Bundestag. Er ist unter anderem Mitglied im Kuratorium des Deutschen Studentenwerks, im Kuratorium der Bundeszentrale für politische Bildung und im Kuratorium der Aktion Deutschland hilft.

Die FRANKFURTER RUNDSCHAU (FR) ist eine Tageszeitung mit Sitz in Frankfurt am Main. Sie erschien erstmals 1945 und sollte ein linksliberales Gegenmodell zur eher konservativ ausgerichteten Frankfurter Konkurrenz (FAZ, FNP) darstellen. Durch die Medienkrise brach das sonst auflagenstarke Blatt ab 2001 ein und musste 2012 Insolvenz anmelden. Das Goethe-Institut bemerkte 2011, das einstige „Leitmedium der linken Intellektuellen“ sei redaktionell „bis zur Bedeutungslosigkeit ausgedünnt“. Nach mehreren Übernahmen und Verkäufen in den letzten zwanzig Jahren gehört sie seit 2018 zur Ippen-Verlagsgruppe, einem der größten Medienkonzerne in Deutschland. Die Auflage lag im vierten Quartal 2020 bei gut 160.000 Exemplaren.

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„Brandbrief der DVPB NW zur neuen Lehramtszugangsverordnung der nordrhein-westfälischen Landesregierung“

DVPB NW, 13.01.2021 - Im Namen des Vorstands

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Der Politiklehrkräfte-Verband Deutsche Vereinigung für Politische Bildung in Nordrhein-Westfalen (DVPB NW) wehrt sich in einem „Brandbrief“ vehement gegen das neue Fach Wirtschaft/Politik. „Ein Schulfach, das fast 50 Jahre zum Profil nordrhein-westfälischer schulischer Bildung gehörte und anderen Bundesländern und Staaten zum Vorbild diente, soll nun endgültig beseitigt werden“, entrüstet sich der DVPB NW.

Den Lehrkräfte-Verband stören vor allem zwei Aspekte des neuen Bildungsprojektes: Erstens gebe es inhaltlich keinen Ersatz für Sozialwissenschaften. „Das Fach Sozialwissenschaften ist ein Integrationsfach mit eigener inhaltlicher, methodischer und didaktischer Prägung“, betont der DVPB NW. Da gesellschaftliche Probleme komplex seien, brauche es auch ein interdisziplinäres Fach, um diese zu vermitteln. „Kinder müssen lernen, in komplexen gesellschaftlichen Situationen sich orientieren und handeln zu können“, fordern die Lehrkräfte. Genau deshalb lasse sich das Schulfach nicht durch ein „Monofach Wirtschaft“ ersetzen, argumentiert der DVPB. Man brauche Sozialwissenschaften, um Wirtschaft in einer zunehmend komplexen, multi-perspektivischen Welt zu verstehen. Für Sozialwissenschaften gebe es daher „keinen Ersatz“. „Eine nachvollziehbare Begründung für die Abschaffung des Faches gibt es nicht!“, wettert der Verband.

Zweitens werde das Fach Wirtschaft/Politik von der Landesregierung mehr oder weniger im Alleingang eingeführt, ohne dass es eine ausreichende Diskussion darüber mit Lehrkräften, Hochschulen und Fachleiter:innen gegeben habe. „Weder Fachverbände noch die beteiligten Hochschulen, die Fachleiter*innen etc. wurden konsultiert“, kritisiert der Verband. Stattdessen greife die Landesregierung „in die Trickkiste“, um das neue Schulfach im „Windschatten der COVID-Pandemie“ einzuführen. Ein demokratischer Diskurs über Bildungsziele finde nicht statt. Der Lehrkräfte-Verband vermutet daher, dass es der Landesregierung gar nicht wirklich um Lernbedürfnisse von Kindern und Jugendlichen gehe. Sondern viel eher um „machtpolitische Interessen“. Wie die Initiative „Sowi bleibt“ fordert der DVPB daher: „Sozialwissenschaften – jetzt erst recht!“

Anmerkungen der Redaktion

Der Brandbrief wurde im Namen des Vorstands des DVPB Nordrhein-Westfalen veröffentlicht.

Die Deutsche Vereinigung für Politische Bildung (DVPB) ist ein Fachverband von Politik-Lehrkräften, Didaktik-Expert:innen und inner- und außerschulischen Akteuren, die sich für die politische Bildung einsetzen. Der Verband ist als gemeinnütziger Verein organisiert, wurde 1965 gegründet und sitzt in Frankfurt am Main. Er organisiert sich über Landesverbände, die das Sprachrohr der jeweiligen Lehrkräfte und Akteure der politischen Bildung in den Bundesländern sind. So ist der DVPB Nordrhein-Westfalen das Sprachrohr von Lehrkräften und Didaktik-Experten in Nordrhein-Westfalen. Der Verein sieht die politische Bildung als notwendig für die Teilhabe an und den Erhalt der Demokratie. Der Bundesverband gibt die Zeitschrift „POLIS“ im Wochenschau-Verlag heraus. Der Landesverband NRW veröffentlicht zudem die Zeitschrift „Politisches Lernen“.

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„Es braucht kein Unterrichtsfach Wirtschaft“

Der Standard, 06.10.2020 - Christian Fridrich

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Christian Fridrich findet es falsch, für „Wirtschaft“ ein neues Schulfach einzuführen. Der Professor für Geographische und Sozioökonomische Bildung an der Pädagogischen Hochschule Wien spricht sich in einem Gastbeitrag für den STANDARD unabhängig vom Pilot in Nordrhein-Westfalen ganz allgemein gegen die Idee aus, Wirtschaft in einem gesonderten Schulfach zu unterrichten.

Fridrich argumentiert: Eng zugeschnittenes Fachwissen im Bereich Wirtschaft und Finanzen rette nicht vor katastrophalen Fehlentscheidungen. Im Gegenteil: Anerkannte Wirtschaftsexpert:innen haben die globale Finanzkrise nicht kommen sehen, gut ausgebildete Finanzprofis sind in der Vergangenheit massenhaft durch unethisches Verhalten aufgefallen, betont er und nennt Geldwäsche-Skandale von großen Banken, heraufziehende Firmenpleiten, die ignoriert wurden, und den Fall Wirecard als Beispiele.

Der Pädagogik-Professor fürchtet: Wenn nun in der Schule stärker Fachwissen über Wirtschaftsbegriffe abgefragt wird und statistische Grundlagen etwa zur Berechnung von Zinseszinsen unterrichtet werden, dann helfe das wenig. „Welchen bildungspolitischen Stellenwert hat etwa eine Wissensüberprüfung, die sich daran bemisst, welcher Prozentanteil der Befragten den Begriff 'Fonds' richtig erklären konnte?“, fragt Fridrich und beantwortet sich die Frage selbst: „Gar keinen.“ Viel wichtiger als Grundbegriffe und Statistik zu Wirtschaft und Finanzen sei die Vermittlung von ethischen Prinzipien und gesellschaftlichen Folgen von Wirtschaft. Diese Aspekte seien aber in Fächern wie Geographie und Sozialkunde besser aufgehoben als in einem neu geschaffenen Schulfach, meint er.

Anmerkungen der Redaktion

Christian Fridrich ist Professor für Geographische und Sozioökonomische Bildung an der Pädagogischen Hochschule Wien. Er lehrt an den Universitäten Graz und Wien. Er leitet außerdem mehrere Forschungs- und Entwicklungsprojekte für das Bundesministerium für Bildung und das Bundesministerium für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz.

DER STANDARD ist eine österreichische Tageszeitung mit Sitz in Wien. Die Zeitung wurde 1988 nach dem Vorbild der New York Times gegründet und erhielt 1994 den ersten Onlineauftritt aller deutschsprachigen Zeitungen. DER STANDARD gilt im Vergleich zu anderen österreichischen Blättern als linksliberale Zeitung. Gründer Oscar Bronner sagte der TAZ: „Ich war politisch immer ein Liberaler, aber eher links der Mitte sozialisiert.“ EUROTOPICS beschreibt die Zeitung als linksliberales Qualitätsmedium, das insbesondere in der Einbindung seiner Nutzer:innen eine Vorreiterrolle einnehme. Der STANDARD hat eine verkaufte Auflage von knapp 54.000 (Stand 2/2020).

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„Brauchen wir ein eigenes Unterrichtsfach Wirtschaft?“

Bundeszentrale für politische Bildung, 29.11.2019 - Dr. Kerstin Pohl

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Die Perspektive in 30 Sekunden

Ein Beitrag der Didaktik-Professorin Dr. Kerstin Pohl für die BUNDESZENTRALE FÜR POLITISCHE BILDUNG (bpb) fasst die Hintergründe der Debatte um die Einführung eines eigenständigen Schulfaches für Wirtschaftsthemen zusammen.

An Berufsschulen ist Wirtschaft als eigenständiges Fach in ganz Deutschland bereits fest verankert, erläutert Pohl. An allgemeinbildenden Schulen ist die Situation dagegen je nach Bundesland unterschiedlich: So gibt es seit 2017 in Baden-Württemberg ein eigenständiges Pflichtfach, das  "Wirtschaft/Berufs- und Studienorientierung" (WBS) heißt. In den meisten anderen Bundesländern wird Wirtschaft in Kombination mit anderen sozialwissenschaftlichen Fächern wie Politik und Soziologie in gemeinschaftlichen Fächern unterrichtet, betont Pohl.

Die Didaktik-Professorin macht deutlich: Der Konflikt werde zwar seit Jahren „erbittert“ ausgetragen. Einig seien sich allerdings beide Seiten der Debatte darin, dass eine gute ökonomische Grundausbildung in weiterführenden Schulen wichtig ist. Strittig sei lediglich, in welcher Form eine solche Grundausbildung am besten organisiert werden solle. Die einen plädieren dafür, dass ein eigenständiges Fach Wirtschaft wichtig sei, weil dann im Unterricht mehr Zeit für ökonomische Bildung bleibe und Lehrkräfte speziell für den Bereich Wirtschaft ausgebildet würden und so mehr Fachwissen hätten. Kritiker:innen halten dagegen, dass es besser sei, Wirtschaftsthemen in Fächern wie Sozialkunde und Politik zu integrieren, weil dann weniger Fokus auf die Vermittlung von ökonomischen „Mainstream-Theorien“ gelegt würde und stattdessen mehr auf die Zusammenhänge zwischen Wirtschaft und Politik. Im Kern der Debatte gehe es also auch darum, wie kritisch man den klassischen wirtschaftswissenschaftlichen Theorien und den damit verbundenen Annahmen (beispielsweise der Idee des freien Marktes und der Annahme des Homo oeconomicus) gegenüberstehe, erläutert Pohl.

Anmerkungen der Redaktion

Dr. Kerstin Pohl ist Politikdidaktikerin und Professorin für Didaktik der Sozialkunde/Politik an der Universität Mainz. Ihre Forschungsschwerpunkte sind: Unterrichtsplanung, gesellschaftstheoretische Grundlagen und die Konzeptionen der politischen Bildung.

Die BUNDESZENTRALE FÜR POLITISCHE BILDUNG (bpb) hat die Aufgabe, die Demokratie zu stärken und Bürger:innen über politische Themen zu informieren. Die verschiedenen Angebote sollen globale und historische Zusammenhänge sichtbar machen und zur politischen Partizipation anregen. Die BUNDESZENTRALE FÜR POLITISCHE BILDUNG wird aus Bundesmitteln finanziert. Sie gehört als Behörde zum Bundesministerium des Inneren und hat ihren Sitz in Bonn.

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„Schlechtes Zeugnis für die ökonomische Bildung in Deutschland“

Bildungsklick, 17.05.2021 - Flossbach von Storch Stiftung

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Eine aktuelle Studie der Universität Oldenburg stellt Deutschland ein schlechtes Zeugnis bei der ökonomischen Bildung aus. Elf von 16 Bundesländern erfüllen „nicht einmal 50 Prozent der Anforderungen, die für ein normales Nebenfach Wirtschaft nötig wären“, heißt es in einem Hintergrundbeitrag des Online-Magazins BILDUNGSKLICK, der sich auf die Pressemitteilung zur Studie bezieht.

Forscher:innen des Instituts für Ökonomische Bildung (IÖB) der Universität Oldenburg haben zwei Aspekte untersucht: Erstens wie es um die Ökonomischen Bildung an deutschen Schulen sowohl im gymnasialen als auch nicht-gymnasialen Bereich steht. Zweitens wie Ökonomische Bildung „an den Hochschulen in den Lehramtsstudiengängen und über Professuren verankert ist“, erläutert BILDUNGSKLICK.

Anmerkungen der Redaktion

Der Beitrag bezieht sich auf eine Pressemiteilung der Flossbach von Storch Stiftung, die sich zum Ziel gesetzt hat, möglichst vielen Menschen durch Wirtschafts- und Finanzbildung zu einem "unabhängigen Leben" zu verhelfen.

BILDUNGSKLICK ist ein Onlineportal, das aktuelle Nachrichten und redaktionelle Beiträge über Bildungsthemen bietet. Das Portal informiert täglich über Bildung in Kindergärten, Schulen, Universitäten und lebenslanges Lernen und bezeichnet sich selbst als größtes deutsches Bildungsportal.