Wählen mit 16: eine Debatte um die Mündigkeit von Jugendlichen

28.10.2021 - Themenbereiche: Demokratie, Jugend, Politische Bildung, Wahlen und Beteiligung
Abbildung Wählen mit Würfel

Kurzfassung

Mit der Fridays-for-Future-Bewegung erlebt die politische Anteilnahme junger Menschen rund um den Globus einen Aufschwung. Umso mehr von ihnen blicken deshalb gerade nach Berlin. Denn laut Sondierungspapier planen SPD, Grüne und FDP, das Wahlalter für die Wahlen zum Deutschen Bundestag und zum Europäischen Parlament auf 16 Jahre zu senken. Die Entscheidung im Bund könnte auch Auswirkungen auf die Landespolitik haben.

Die Absenkung des Wahlalters bleibt umstritten

Denn auch in NRW wird das Thema seit einiger Zeit diskutiert. So brachte die SPD bereits im April 2019 einen Gesetzesentwurf zur Senkung des Wahlalters in den Landtag ein – doch dieser scheiterte im Februar 2020 am Parlament: Zwar fand er die Zustimmung der Grünen, aber CDU, FDP und AfD waren dagegen. Der CDU-Abgeordnete Peter Preuß argumentierte damals, das Wahlrecht müsse an die Volljährigkeit geknüpft bleiben: „Jugendliche sollten nicht mit Entscheidungen konfrontiert werden, mit denen sie sich überfordert fühlen“, sagte er der WESTDEUTSCHEN ZEITUNG. Bei Kommunalwahlen dürfen Jugendliche allerdings schon heute vielerorts mitwählen – auch in Nordrhein-Westfalen. In Brandenburg, Bremen, Hamburg und Schleswig-Holstein sind 16- und 17-Jährige sogar bei Landtagswahlen stimmberechtigt.

Dem Bündnis „Mehr Demokratie“ kommt das entgegen: Dieses hält bis heute an den Forderungen nach einer Senkung des Wahlalters auf Landes- und Bundesebene fest, um Jugendliche stärker am politischen Diskurs zu beteiligen. „Wir wollen 16- und 17-Jährigen zu ihrem demokratischen Existenzminimum verhelfen. Sie brauchen eine Stimme und sie sind fähig, diese auch für vernünftige Wahlentscheidungen zu nutzen“, fordert Ralf-Uwe Beck, der Bundesvorstandssprecher des Vereins. Die Mehrheit der Bevölkerung scheint von dieser Argumentation aber noch nicht überzeugt: Laut einer aktuellen SPIEGEL-Umfrage sind mehr als zwei Drittel der Deutschen gegen die Reform. Zudem warten hohe Hürden auf mögliche Ampel-Koalitionäre: „Die Ampel kann eine Absenkung des Wahlalters gar nicht beschließen. Dafür bedürfte es einer verfassungsändernden Zwei-Drittel-Mehrheit. Die sehe ich nicht“, sagte der stellvertretende Vorsitzende der Unionsfraktion Thorsten Frei (CDU) der NEUEN OSNABRÜCKER ZEITUNG.

Sind junge Menschen wirklich erst mit der Volljährigkeit reif genug, um an die Wahlurne zu treten? Oder sollte das Wahlalter auf 16 gesenkt werden?

Acht Perspektiven

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„Jede Wahl, an der junge Menschen nicht teilnehmen dürfen, ist ein Skandal“

Der Spiegel, 13.10.2021 - Sophie Garbe, Linus Steinmetz

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Die Perspektive in 30 Sekunden

Der Fridays-for-Future-Aktivist Linus Steinmetz fordert, das Wahlalter in Deutschland endlich flächendeckend abzusenken. Weil sie als Jugendliche nicht an der Bundestagswahl teilnehmen durften, legten er und seine Mitstreiterin Franziska Wessel jetzt beim Wahlprüfungsausschuss Einspruch ein. „Ich will in einer Gesellschaft leben, in der politisch interessierte Menschen an Wahlen teilnehmen können, egal wie alt sie sind“, argumentiert Steinmetz im SPIEGEL-Interview mit Politikredakteurin Sophie Garbe.

„Jede Bundestagswahl, an der junge Menschen nicht teilnehmen dürfen, ist für mich ein Skandal“, wettert der Aktivist. „Millionen von Menschen werden von einer Wahl ausgeschlossen, ohne dass es dafür eine wirklich legitime Begründung gibt.“ Laut Steinmetz sei es gerade für junge Leute wichtig, ihre Stimme abgeben zu können, weil sie von Krisen besonders betroffen seien. Die letzte Bundestagswahl beschreibt er als „absurd“: Da er selbst erst Ende Oktober volljährig werde, habe er dabei zusehen müssen, „wie ein großer Anteil der Deutschen Parteien wählt, die nicht die Zukunft meiner Generation vertreten“.

Angesichts des großen politischen Engagements vieler junger Menschen, etwa aus der Fridays-for-Future-Bewegung, ist es nach Steinmetz nur folgerichtig, ihnen auch ein tatsächliches Mitspracherecht zu geben. Er persönlich halte sogar ein Wahlrecht ohne Altersgrenze für sinnvoll. „Denn das Alter ist ein schlechter Indikator dafür, wie fähig Menschen wirklich sind zu wählen“, findet er.

Anmerkungen der Redaktion

Linus Steinmetz ist Schüler und Fridays-for-Future-Aktivist. Er engagiert sich bei Fridays-for-Future seit 2018. Steinmetz war 2020 Mitkläger bei der Klage gegen das Klimaschutzgesetz der Bundesregierung. Das Bundesverfassungsgericht gab den Kläger:innen Recht: Die Bundesregierung müsse mehr für den Klimaschutz unternehmen. Steinmetz hat ein Praktikum beim Europäischen Parlament absolviert und als Gastautor Artikel in der TAZ und der FRANKFURTER RUNDSCHAU veröffentlicht. Zusammen mit Franziska Wessel, ebenfalls Fridays-for-Future-Aktivistin hat Steinmetz 2021 Einspruch gegen die Bundestagswahl eingelegt: Es sei ihrer Meinung nach problematisch, Menschen unter 18 Jahren von der Wahl auszuschließen.

Sophie Garbe ist Redakteurin im Hauptstadtbüro des SPIEGEL. Sie hat im Bachelor Politik- und Kommunikationswissenschaften in Münster sowie im Master Journalismus in München studiert. Neben ihrem Master hat Garbe eine Ausbildung an der Deutschen Journalistenschule absolviert. Mehrere Praktika führten sie während ihres Studiums zur SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG, zum SPIEGEL und zur ZEIT. Nach ihrem Studium hat sie zunächst vier Monate als freie Journalistin für ZEIT ONLINE und FUNK gearbeitet. Nach zwei Monaten beim Nachrichtenportal WATSON ist sie zum SPIEGEL gewechselt, wo sie seit April 2021 als Redakteurin angestellt ist.

DER SPIEGEL ist ein deutsches Nachrichtenmagazin, das 1947 von Rudolf Augstein gegründet worden und zuletzt (2/21) in einer Auflage von knapp 676.000 Exemplaren erschienen ist. DER SPIEGEL zählt zu den deutschsprachigen Leitmedien: Er prägt die gesellschaftliche Debatte und Öffentlichkeit. In den Jahren 2019 und 2020 war das Magazin das meistzitierte Medium in Deutschland. Eine besondere Rolle im Magazin nimmt bis heute der investigative Journalismus ein. 1963 führten eine solche Recherche und die sogenannte SPIEGEL-Affäre dazu, dass der damalige Verteidigungsminister Franz Josef Strauß sein Amt räumen musste. DER SPIEGEL wird traditionell als eher linksliberales Medium gesehen, auch in Abgrenzung zu den anderen großen deutschen Nachrichtenmagazinen, dem FOCUS und dem STERN. Bereits Gründer Rudolf Augstein verortete sein Magazin „im Zweifel links“. 1994 wurde der dem SPIEGEL zugehörige, aber redaktionell unabhängige Online-Nachrichtendienst SPIEGEL ONLINE gegründet. Seit dem 8. Januar 2020 heißt auch das Online-Portal DER SPIEGEL, nachdem die Redaktionen der beiden Medien 2019 zusammengelegt wurden. Dennoch ist das Online-Portal immer noch rechtlich und wirtschaftlich unabhängig, da es von einer Tochtergesellschaft betrieben wird. DER SPIEGEL (online) zählt zu den fünf meistbesuchten Nachrichten-Webseiten in Deutschland. 2018 wurde bekannt, dass der langjährige Mitarbeiter Claas Relotius wesentliche Inhalte von (teils preisgekrönten) SPIEGEL-Reportagen erfunden hatte. Hiernach reichte Relotius seine Kündigung ein. Das Blatt sprach von „einem Tiefpunkt in der 70-jährigen Geschichte des SPIEGEL“.

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„Junge Menschen interessieren sich nicht nur für Partys“

Der Tagesspiegel, 17.10.2021 - Hans Monath, Sabine Walper

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Die Perspektive in 30 Sekunden

Aus Sicht der Jugendforscherin Sabine Walper gibt es gute Gründe, das Wahlalter auf 16 Jahre herabzusetzen. „Wir wissen, dass das politische Interesse im Verlauf des Jugendalters deutlich steigt, mit 16 ist es fast ebenso hoch wie mit 18“, gibt sie im TAGESSPIEGEL-Interview mit Hauptstadt-Korrespondent Hans Monath zu bedenken. Unter jungen Menschen gebe es längst große Aufmerksamkeit für die Frage, wie wir in Zukunft leben wollen und können. „Sie interessieren sich (...) nicht nur für tolle Partys, sie bringen von sich aus ein großes Interesse für Politik mit.“

Das politische und gesellschaftliche Engagement junger Menschen werde dabei aber maßgeblich durch die eigenen Handlungsmöglichkeiten bedingt. Daher sei es enorm wichtig, dass Jugendliche sich gehört fühlen: „Sie suchen die Bestätigung, dass sie wahrgenommen werden und mit ihrer Stimme etwas verändern können.“ Wer wahlberechtigt sei, setze sich auch stärker mit politischen Entscheidungen auseinander, meint Walper. „Wir sehen (...) regelmäßig, dass rund um Wahltermine auch das politische Interesse von jungen Menschen steigt.“

Die Jugendforscherin ist überzeugt, dass die Bundestagswahl bei einer stärkeren Beteiligung der Jüngeren anders ausgegangen wäre. Denn: Über die Hälfte aller Wahlberechtigten seien in diesem Jahr älter gewesen als 60 Jahre. Aus Befragungen wisse man, wie unterschiedlich verschiedene Generationen abstimmen und wen junge Menschen als ihre politischen Vertreter:innen ansehen – zuletzt etwa die Grünen und die FDP. „Deshalb kann ich mir gut vorstellen, dass Deutschland demnächst von einer Kanzlerin oder einem Kanzler der Grünen oder der Liberalen regiert würde, wenn wir eine jüngere Wählerschaft hätten“, so Walper.

Anmerkungen der Redaktion

Hans Monath ist Korrespondent im Hauptstadtbüro des TAGESSPIEGEL. Seine Schwerpunkte liegen in der Berichterstattung über die SPD und die deutsche Außenpolitik. Seine journalistische Karriere hat mit einem Volontariat beim SÜDKURIER begonnen, einer Regionalzeitung in Konstanz. Danach hat er unter anderem für die BADISCHE ZEITUNG, für die TAZ als Regierungskorrespondent und für das DEUTSCHE ALLGEMEINE SONNTAGSBLATT als Politikchef gearbeitet. Seit 1999 arbeitet Monath beim TAGESSPIEGEL. Monath hat Neuere und Neueste Geschichte studiert.

Sabine Walper ist Forschungsdirektorin am Deutschen Jugendinstitut: ein außeruniversitäres Forschungsinstitut, das sich mit den Themen Kindheit, Jugend und Familie auseinandersetzt. Finanziert wird das Deutsche Jugendinstitut von einem gemeinnützigen Verein mit Mitgliedern aus Politik, Wissenschaft, Verbänden und Einrichtungen der Kinder-, Jugend- und Familienhilfe. Walper hat Psychologie studiert und danach eine Ausbildung zur Therapeutin absolviert, die sie 1999 auch mit Approbation abgeschlossen hat. 1999 hat sie sich außerdem mit einer Arbeit zum Thema „Individuation Jugendlicher in Konflikt-, Trennungs- und Stieffamilien. Theorie, Diagnostik und Befunde“ habilitiert. Seit 2001 hat sie die Professur für Pädagogik mit dem Schwerpunkt Jugendforschung an der Ludwig-Maximilians-Universität München inne.

DER TAGESSPIEGEL ist eine 1945 gegründete Tageszeitung aus Berlin. Er hat mit 107.000 Exemplaren (2/2021) die höchste Auflage unter den Berliner Abonnementzeitungen und wird im Unterschied zur BERLINER ZEITUNG traditionell vor allem in den westlichen Bezirken der Stadt gelesen, da die Mauer die Verbreitung der Zeitung auf Westberlin beschränkte. Seit 2014 erhält der TAGESSPIEGEL besondere Aufmerksamkeit durch den Checkpoint Newsletter, der täglich aus Berlins Politik, Wirtschaft und Gesellschaft berichtet. EUROTOPICS beschreibt die Blattlinie der Zeitung als liberal. Der TAGESSPIEGEL wurde lange Zeit den regionalen Zeitungen zugerechnet, verfolgt seit einigen Jahren jedoch verstärkt eine überregionale Ausrichtung. Die Printauflage bleibt jedoch stark regional dominiert.

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„Allein das Wahlalter abzusenken, wäre naiv“

Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ), 03.07.2021 - Tim Niendorf, Sylvia Kritzinger

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Die Perspektive in 30 Sekunden

Die Politikwissenschaftlerin Sylvia Kritzinger findet, Deutschland könne sich ein Beispiel an seinem Nachbarn Österreich nehmen. Denn dort wurde das Wahlrecht ab 16 schon im Jahr 2007 eingeführt – mit Erfolg, findet Kritzinger, die die Entwicklung seither beobachtet. „Wir sehen, dass die Jugendlichen sehr wohl informiert sind. Dass sie verstehen, welche Parteien ihre Interessen vertreten“, betont sie im FAZ-Interview mit Politikredakteur Tim Niendorf.

Schon bei der ersten Wahl nach der Reform habe sich gezeigt, dass die Sechzehn- und Siebzehnjährigen sehr an Politik interessiert sind. „Spannend war damals die Erkenntnis, dass sie von ihrem Wahlrecht mehr Gebrauch gemacht haben als diejenigen, die 18, 19 oder 20 Jahre alt waren“, bemerkt Kritzinger. Mittlerweile sehe man bei der Wahlbeteiligung in Österreich keine signifikanten Unterschiede mehr zwischen jungen und älteren Erstwählerinnen und Erstwählern. „Das könnte daran liegen, dass Letztere durch die Absenkung des Wahlalters schon eine Wahl hinter sich haben und deshalb nun kontinuierlich von ihrer Stimme Gebrauch machen.“ Der Wahlbeteiligung komme ein früher Einstieg also offensichtlich zugute. 

Zwar habe auch Österreich vor der Reform sehr kontrovers über das Thema diskutiert: „Sie fragten sich, ob die Jugendlichen überhaupt schon reif genug sind“, erinnert Kritzinger. 14 Jahre später sei nun aber deutlich erkennbar, dass die Befürchtungen unbegründet waren – denn viele Jugendliche seien sich ihrer Verantwortung für die eigene Zukunft sehr bewusst. Das habe auch Kritiker:innen überzeugt: „Heute stellt keine Partei mehr die Absenkung des Wahlalters auf 16 Jahre in Frage“, resümiert die Politikwissenschaftlerin. „Wir sollten also vor den Sechzehn- und Siebzehnjährigen keine Angst haben.“

Anmerkungen der Redaktion

Sylvia Kritzinger ist Professorin für Methoden in den Sozialwissenschaften am Institut für Staatswissenschaft an der Universität Wien. Ihre Forschungsschwerpunkte sind unter anderem Wahlforschung, politisches Verhalten, Europäisierung der Parteipolitik und demokratische Repräsentation. Ihren Doktor in der Politikwissenschaft absolvierte Kritzinger an der Universität Wien. Anschließend hatte sie mehrere Postdoktoratsstellen inne, unter anderem am Trinity-College in Dublin und dem Institute of Advanced Studies (IHS) in Wien, das sich mit Forschung zum Thema Wirtschaft, Politik und Gesellschaft auseinandersetzt. Seit 2007 ist Kritzinger Professorin für Methoden in den Sozialwissenschaften an der Universität Wien.

Tim Niendorf ist Politikredakteur bei der FAZ. Er hat in Bonn Lateinamerika- und Altamerikastudien sowie Geschichte studiert. Nach seinem Bachelor hat er zunächst einen Master in Journalismus in Mainz absolviert. Während seines Masters machte er Praktika bei der FAZ und der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG. Von 2018 bis 2020 absolvierte er ein Volontariat bei der FAZ, bei der er nach seinem Volontariat als Politikredakteur angestellt worden ist.

Die FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG (FAZ) ist eine deutsche überregionale Tageszeitung. Sie ist 1949 gegründet worden und wird zu den deutschen Leitmedien gezählt. Dies sind Medien, die einen besonderen Einfluss auf die öffentliche Meinung und auf andere Massenmedien ausüben. Laut Eigenangabe steht sie „für den Erhalt und die Stärkung der demokratischen Ordnung und der Sozialen Marktwirtschaft in Deutschland“. Die FAZ gilt als liberal-konservatives Blatt. THE EUROPEAN schreibt über die „drei Gesichter“ der FAZ: Sie habe einen eher konservativen, staatstragenden Politikteil, ein linksliberales Feuilleton und einen liberalen Wirtschaftsteil. Die verkaufte Auflage der Zeitung lag im zweiten Quartal 2021 bei etwa 201.000 Exemplaren. Laut der Arbeitsgemeinschaft Online-Forschung (AGOF) hatte der Webauftritt der FAZ, FAZ.NET, im August 2021 rund 16 Millionen Besucher:innen zu verzeichnen.

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„Darum sollte das Wahlalter auf keinen Fall abgesenkt werden“

B.Z., 12.10.2021 - Gunnar Schupelius

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Die Perspektive in 30 Sekunden

Das Wahlalter sollte auf keinen Fall abgesenkt werden, findet der Kolumnist Gunnar Schupelius. Parteien, die sich seit Jahren vehement für eine stärkere Beteiligung von Jugendlichen einsetzen, befinden sich aus seiner Sicht auf dem Holzweg. Die Wahlfähigkeit sollte an die Mündigkeit gekoppelt bleiben, kommentiert der Autor in der meistverkauften Berliner Lokalzeitung, der Boulevardzeitung B.Z..

Schupelius begründet diese These mit den Twitter-Äußerungen der neuen Grünen-Jugendchefin Sarah-Lee Heinrich, die zu einer bundesweiten Kontroverse geführt haben. Dabei ging es um Twitter-Äußerungen, die Heinrich im Alter von 14 und 15 Jahren getätigt hatte und die kurz nach ihrer Wahl zur Bundessprecherin publik wurden. „Sie verwendete den Begriff ‚Tunten’ als Beleidigung und sprach von einer ‚eklig-weißen Mehrheitsgesellschaft’ in Deutschland”, gibt Schupelius wieder. Dass diese und andere Anfeindungen von ihrer Partei „ganz lässig als Jugendsünde abgetan” werden, entbehrt aus Sicht des Autors jeglicher Logik. Denn: „Die gleichen Grünen (...) überhöhen Jugendliche und Kinder zu Weltrettern und besseren Menschen”, wettert er. Über die Absichten, das Wahlalter herabzusetzen, kann Schupelius angesichts der „schlimmen Tweets aus jugendlichem Leichtsinn” nur spotten: „Diese Forderungen aus den Parteiprogrammen werden durch Sarah-Lee Heinrich ad absurdum geführt, die in jugendlichem Alter ganz offensichtlich politisch nicht für voll zu nehmen war.”

Wenn es nach Schupelius geht, benötigen Jugendliche kein Wahlrecht. Vielmehr brauche die junge Generation Erwachsene, die für sie Verantwortung übernehmen, die Vorgaben machen und die Vorbilder seien, politisch und privat. „Sarah-Lee Heinrich hatte das alles offenbar nicht, ihr fehlte die Orientierung – und damit ist sie wahrlich nicht die einzige”, gibt der Autor zu bedenken.

Anmerkungen der Redaktion

Gunnar Schupelius ist Journalist und Kolumnist für die Boulevardzeitung B.Z. Er berichtet in seiner Kolumne ,,Mein Ärger” über Ereignisse in Berlin und kritisiert vor allem die rot-rot-grüne Stadtregierung. Schupelius ist erklärter Gegner von Abtreibungen und der linken Szene in Berlin. Er wurde zweimal Opfer von Brandanschlägen, bei denen sein Auto angezündet wurde. In einem Bekennerschreiben aus dem linken Spektrum hieß es, er sei ein ,,spießiger Springerschmierfink”, der ,,alljährlich zum ,Marsch fürs Leben‘ von Abtreibungs:gegnerinnen mobilisiert und immer wieder deutlich macht, was er von Frauen und ihren Aufgaben und Pflichten hält.“ (sic)

Die B.Z. ist eine Boulevardzeitung aus Berlin, die von dem Tochterunternehmen der Axel Springer SE, dem Zeitungsverlag B.Z. Ullstein, herausgegeben wird. Die B.Z. erscheint momentan mit einer Auflage von rund 81.000 Exemplaren (Q2/2021), was sie zur meistverkauften Lokalzeitung in Berlin macht, wenn man den TAGESSPIEGEL als überregionale Zeitung betrachtet. Der TAGESSPIEGEL ist im 2. Quartal 2021 rund 105.000 mal verkauft worden, entzieht sich aber anders als die B.Z. der Einordnung als Lokalzeitung. Die Auflage der B.Z. ist seit 2013 um knapp 36 Prozent gesunken. Die Zeitung ist am 1. Oktober 1877 gegründet worden und hieß damals noch BERLINER ZEITUNG. 1878 wurde die Zeitung von dem Verleger Leopold Ullstein gekauft. Während des Zweiten Weltkrieges wurde die Zeitung eingestellt und erschien erst 1953 wieder. Chefredakteurin ist seit 2017 die Boulevard-Journalistin Miriam Krekel.

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„Wahlrecht mit 16? Ich bin 15 und dagegen“

Die Welt, 08.09.2020 - Leonard Geßner

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Die Perspektive in 30 Sekunden

Der zum Zeitpunkt der Veröffentlichung 15-jährige Leonard Geßner befürchtet, dass ein herabgesenktes Wahlalter die Ungleichbehandlung von Jugendlichen verstärkt. „Aktuell wäre es so, dass Schüler aus gut situierten Haushalten, in denen man aktiv über politische Themen spricht, klar im Vorteil gegenüber den Jugendlichen wären, die zu Hause keine derartigen Gespräche führen“, warnt er in seinem Gastkommentar für die Tageszeitung DIE WELT.

Gerade junge Menschen seien maßgeblich durch ihren Hintergrund geprägt. So könne jemand, der von Haus aus kaum Berührungspunkte mit politischen Themen habe, auch keine Stimme abgeben. „Wenn man jetzt also das Wahlalter senken würde, würden die Jugendlichen wählen gehen, die sich ohnehin schon interessieren“, meint Geßner. Wenn sich jedoch nur die Privilegierten äußern, führe das nicht zu einem echten Stimmungsbild. Eher vermutet er das Gegenteil: Vor allem gutbürgerliche Haushalte seien dann unter den Erstwähler:innen vertreten – „von deren Stimme oft die Grünen profitieren“.

Es sei auch nicht weiter überraschend, dass sich immer genau die Parteien für ein herabgesenktes Wahlrecht aussprechen, die voraussichtlich am meisten davon haben. Geßner sieht darin parteipolitische Kalkül: „Denn wären jene Parteien auch für eine Reform, wenn junge Menschen überwiegend CDU und AfD wählen würden? Wohl eher nicht“, gibt er zu bedenken.  

Anmerkungen der Redaktion

Leonard Geßner ist ein deutscher Gymnasiast, Autor und freier Journalist in Bremen. Er betreibt einen eigenen YouTube-Kanal namens „Gessner Media“, für den er seit 2018 deutsche Spitzenpolitiker:innen in dem Format „Die Fragen stelle ich!“ interviewt. Im Mai 2020 ist außerdem sein Buch „Politik der Generation Z: Ein unbequemer Blick in die Zukunft“ erschienen. Als Journalist hat Geßner bereits Beiträge für die Tageszeitung DIE WELT, das REDAKTIONSNETZWERK DEUTSCHLAND, die Wochenzeitung WIRTSCHAFTSWOCHE und den Branchendienst MEEDIA geschrieben.

DIE WELT ist eine überregionale Tageszeitung mit Sitz in Berlin, die zum Axel Springer Konzern gehört. Sie wurde 1946 gegründet und erschien zuletzt in einer verkauften Auflage von knapp 72.000 Exemplaren (2/2021). Anfang 2010 lag diese noch bei über 250.000. Chef-Redakteurin der WELT ist seit 2019 Dagmar Rosenfeld. EUROTOPICS bezeichnet die WELT als konservativ. In ökonomischen Fragen positioniert sich die Zeitung meist wirtschaftsliberal. Das Goethe-Institut urteilt, die WELT ziele in ihrer Printausgabe auf „mittelständische Unternehmer und Selbstständige, die konservative Werte schätzen“. Auch WELT-Autor:innen bekennen sich zu den Leitlinien des Axel-Springer-Verlages, die unter anderem ein Eintreten für „die freie und soziale Marktwirtschaft“ sowie Solidarität mit den USA und Israel fordern.

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„Reif für die Urne?“

Politik & Kommunikation, 17.11.2020 - Christoph Ploß

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Die Perspektive in 30 Sekunden

Der Bundestagsabgeordnete Christoph Ploß (CDU/CSU) hält die Gründe für ein Wahlrecht ab 16 nicht für überzeugend. Zwar seien Befürworter:innen in dem Glauben, eine Wahlbeteiligung Jüngerer könne der Politikverdrossenheit in dieser Altersgruppe entgegenwirken. „Doch das Argument hält einer Überprüfung nicht stand”, kommentiert er in einer Pro- & Contra-Gegenüberstellung des Magazins POLITIK & KOMMUNIKATION, für das er die Contra-Seite und die Grünen-Politikerin Beate Walter-Rosenheimer die Pro-Seite einnimmt.

Ploß ist überzeugt: „Nur wenn man das Interesse an Politik weckt, wird man letztlich die Wahlbeteiligung junger Menschen sichtbar steigern.” Auch aus Wahlanalysen gehe deutlich hervor, wovon die Beteiligung bei unter 20-Jährigen abhänge: Nämlich von sozio-demografischen Merkmalen wie der Ausbildung sowie dem politischen Interesse und Vorwissen, stellt er heraus. Ploß hält es demnach für wichtig, die Aufmerksamkeit Jugendlicher auf anderen Wegen zu wecken – etwa durch weitere Investitionen in die politische Bildung oder die Förderung junger Menschen innerhalb der Parteien.

„Studien zeigen, je weniger in der Schule und in der Familie über das politische Geschehen gesprochen und diskutiert wird, umso weniger entsteht ein politisches Interesse bei jungen Menschen”, argumentiert Ploß. Wichtiger als eine möglichst frühe Wahlberechtigung sei es also, die politische Entwicklung Jugendlicher in Schulen und Parteien gezielter zu fördern. „Will man junge Bürger für Politik begeistern, gelingt dies nicht, indem man die Diskussion auf das Thema ‚Mindestwahlalter’ reduziert”, so Ploß.

Anmerkungen der Redaktion

Christoph Ploß ist CDU-Politiker, Mitglied des Bundestags und Vorsitzender der CDU in Hamburg. In der Legislaturperiode 2017-2021 ist Ploß Mitglied in den Ausschüssen für die Angelegenheiten der Europäischen Union und für Verkehr und digitale Infrastruktur gewesen. Er gilt innerhalb seiner Partei als konservativ und lehnt eine Koalition mit den Grünen ab, da diese seiner Meinung nach „die Antifa hofieren und Linksextremismus verharmlosen“. Ploß hat Geschichte und Politikwissenschaft im Bachelor sowie European Studies im Master an der Universität Hamburg studiert. Vor seinem Bundestagsmandat ist Ploß Pressereferent der Bauer-Media-Group gewesen: eine Hamburger Verlagsgruppe, die mehrere Magazine wie beispielsweise die BRAVO oder die JOY herausgibt.

POLITIK & KOMMUNIKATION ist ein Special-Interest-Magazin für politische Kommunikation. Die Printausgabe von POLITIK & KOMMUNIKATION erscheint viermal pro Jahr mit einer gedruckten Auflage von 8.000 Exemplaren. Über die verkaufte Auflage sind keine offiziellen Daten bekannt. Die Website POLITIK-KOMMUNIKATION.DE hatte laut Similarweb im September 2021 rund 71.000 Besucher:innen zu verzeichnen. POLITIK & KOMMUNIKATION richtet sich an Leser:innen, die im politischen Umfeld arbeiten: Fachleute aus der Politik und dem PR-Bereich sollen über Trends in der Politik und Kommunikation informiert werden. Herausgegeben wird POLITIK & KOMMUNIKATION von der Quadriga-Medien-GmbH, ein Unternehmen, das sich auf Kommunikation und Public Relations spezialisiert hat. Die Quadriga-Medien-GmbH gibt verschiedene Special-Interest-Magazine heraus und veranstaltet Seminare sowie eigene berufsbegleitende Studiengänge zum Thema Kommunikation und Public Relations.

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„Wahlalter senken? Diese Pro- und Contra-Argumente gibt es“

Polyas, 04.06.2020 - Peter Schraeder

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Der Journalist Peter Schraeder fasst in seinem Beitrag für den Blog der POLYAS GmbH zusammen, welche unterschiedlichen Regelungen zum Wahlalter derzeit national und international gelten.

  • In Deutschland liegt das Mindestwahlalter für Bundestagswahlen bei 18 Jahren. In einigen Bundesländern dürfen bei Landtagswahlen aber bereits Jugendliche an die Wahlurnen: So liegt in Brandenburg, Bremen, Hamburg und Schleswig-Holstein das aktive Wahlrecht bei 16. Bei Kommunalwahlen gibt es derzeit sogar nur noch fünf Bundesländer, die am Wählen ab 18 Jahren festhalten.
  • Auch innerhalb der EU gibt es einige Länder, die das Wahlalter bereits abgesenkt haben. Im Jahr 2007 führte Österreich als erstes Land bundesweite Wahlen ab 16 ein. 2018 folgte Malta. „In beiden Ländern waren Jugendliche ab 16 Jahren somit auch bei der Europawahl 2019 wahlberechtigt“, so Schraeder. Bei Regionalwahlen seien Jugendliche ab 16 auch in Estland und Schottland wahlberechtigt.
  • „Im weltweiten Vergleich liegt das Wahlalter meistens bei 18 oder 20 Jahren“, gibt der Autor an. In einigen lateinamerikanischen Staaten wie Brasilien, Ecuador, Nicaragua, Argentinien und Kuba liege es jedoch bei 16, im Iran sogar bei 15. Auf den Seychellen, in Osttimor und dem Sudan sei die Stimmabgabe mit 17 Jahren erlaubt.

Anmerkungen der Redaktion

Peter Schraeder ist freier Journalist und Online-Redakteur für das Unternehmen POLYAS. Schraeder hat im Bachelor Fachjournalistik Geschichte studiert und in Berlin einen Master in Public History absolviert. Während seines Masters hat Schraeder mehrere journalistische Praktika absolviert: unter anderem bei den WESTFÄLISCHEN NACHRICHTEN und dem SPD-nahen VORWÄRTS-Verlag. Seit 2015 schreibt Schraeder als freier Journalist für diverse Medien: darunter die SPD-Parteizeitung VORWÄRTS, der TAGESSPIEGEL und ZEITGESCHICHTE-ONLINE. Seit 2017 ist Schraeder Online-Redakteur bei POLYAS.

POLYAS ist ein Online-Tool mit dem man Online-Wahlen und Live-Votings erstellen kann. Über POLYAS werden beispielsweise Wahlen des VR-NetWorld-Konzerns, dem Internetdienstleister der Volksbanken Raiffeisenbanken oder auch diverse Universitätswahlen durchgeführt. Auch Armin Laschet ist beim virtuellen Parteitag der CDU 2021 über POLYAS zum Vorsitzenden der CDU gewählt worden. POLYAS betreibt außerdem einen Webblog zu den Themen Wahlen und Veranstaltungsmanagement.

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„Visionen der Nachhaltigkeit“

WirtschaftsWoche, 03.10.2021 - Karl-Heinz Paqué

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Die letzte Bundestagswahl hat bewiesen: FDP und Grüne sind bei Erstwähler:innen besonders beliebt. In seinem Gastbeitrag für die WIRTSCHAFTSWOCHE geht der Vorsitzende der FDP-nahen Friedrich-Naumann-Stiftung, Karl-Heinz Paqué, der Frage nach, woran das liegt.

Da die junge Generation nach Zukunftsvisionen strebe, überrasche es nicht, dass die Nachhaltigkeit für junge Wähler:innen von überragender Bedeutung sei. Deshalb hält Paqué es auch für folgerichtig, dass die Grünen bei Erstwähler:innen gut abschneiden. Immerhin erkläre die Partei sich bereit, „den Menschen heute und morgen hohe Lasten und große Beschränkungen aufzuerlegen, um übermorgen und danach noch gut leben zu können“.

Dass auch die FDP deutliche Zugewinne erzielte, habe dagegen viele überrascht. Aber es leuchtet ein, meint Paqué. Denn auch das Programm der Liberalen habe sich mehr denn je zu einem Programm der Nachhaltigkeit entwickelt – wenn auch mit anderen politischen Instrumenten: „Setzen die Grünen auf staatliche Lenkung, entscheiden sich die Liberalen für möglichst viel Freiheit bei der Neuordnung der Rahmenbedingungen, eine Art reformierte Marktwirtschaft“, so der Autor.

Laut Paqué entwerfen beide Parteien Wege in die Zukunft – und genau das mache den Unterschied: „Grüne und FDP liefern auf die großen Herausforderungen ernsthafte Antworten, über die sich streiten lässt – und das ist doch viel mehr als die ausweichenden Manöver der Parteien im restlichen politischen Spektrum“, urteilt er. Daher finde die junge Generation die grünen und gelben Parteiprogramme auch „interessanter als das, was andere Parteien zu bieten haben“. 

Anmerkungen der Redaktion

Karl-Heinz Paqué ist Professor für Volkswirtschaft an der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg, Vorsitzender der FDP-nahen Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit und Politiker der FDP. Von 2002 bis 2006 ist Paqué Finanzminister in Sachsen-Anhalt gewesen. Paqué hat Volkswirtschaftslehre in Saarbrücken, Kiel und der kanadischen University of British Columbia studiert. Paqué hat in Kiel zum Thema „Philanthropie und Steuerpolitik: Eine ökonomische Analyse der Förderung privater Wohltätigkeit“ promoviert und sich später ebenfalls in Kiel habilitiert. 1996 ist er als Professor für Volkswirtschaft an die Universität Magdeburg berufen worden. Diese Anstellung ruhte von 2002 bis 2008, aufgrund seines Amtes als Finanzminister.

Die WIRTSCHAFTSWOCHE ist eine seit 1926 bestehende überregionale Wochenzeitung mit Sitz in Düsseldorf, deren verkaufte Auflage zuletzt bei etwa 99.500 lag (2/2021). Sie erscheint im Handelsblatt Verlag, der mit dem HANDELSBLATT eine weitere renommierte Wirtschaftszeitung herausgibt. In ihrer Ausrichtung gilt die Zeitung als wirtschaftsliberal. Die WIRTSCHAFTSWOCHE gehört zu den Pflichtblättern an den Börsen in Düsseldorf und Frankfurt und erfährt Aufmerksamkeit vor allem über ihre Berichterstattung mit Rankings, etwa zu Hochschulen oder Städten. Der Vermarkter Iq Media zeichnet die Hauptzielgruppe der WIRTSCHAFTSWOCHE als männlich, mittelständisch und überdurchschnittlich wohlhabend.