Zeit zu gehen oder zu bleiben? Debatte um Kirchenaustritte in NRW

16.12.2021 - Themenbereiche: Nordrhein-Westfalen, Religion
Kölner Dom, hell erleuchtet, vor der Rheinkulisse bei Nacht

Kurzfassung

Süßer die Glocken nie klingen? Weihnachten hin oder her: Die einstigen „Volkskirchen“ haben schon bessere Zeiten hinter sich. Zu viel Amtsmissbrauch, zu großer Reformstau, zu hohe Kirchensteuern – die Vorwürfe reichen deutlich weiter als der Blick von der Kölner Domspitze. Das zeigt sich vor allem in sinkenden Mitgliederzahlen. Laut Jahresstatistik der Deutschen Bischofskonferenz und der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) gehörten im Jahr 2020 zwar noch 54 Prozent der deutschen Bevölkerung den christlichen Kirchen an. Doch die Mitgliederzahlen purzeln: Laut Medienberichten werden bis zum Jahresende mehr als 20.000 Kölner und Kölnerinnen aus der katholischen und evangelischen Kirche ausgetreten sein – das sind doppelt so viele wie im bisherigen „Rekordjahr“ 2019.

Weder „typisch kölsch“ noch „typisch katholisch“

In der Domstadt wird der Mitgliederschwund unter anderem auf die Vertrauenskrise rund um Kardinal Rainer Maria Woelki zurückgeführt: Diesem wird vorgeworfen, die sexuellen Übergriffe zweier in seiner Gemeinde tätigen Pfarrer vertuscht zu haben. Dass dieses Problem aber weder „typisch kölsch“ noch „typisch katholisch“ ist, beweisen ähnliche Vorfälle in anderen Gemeinden. In Lüdenscheid etwa sorgten im August 2020 Missbrauchsfälle in einer evangelischen Jugendgruppe für Aufsehen: Über vier Jahrzehnte lang soll sich ein ehrenamtlicher Mitarbeiter an mehr als 20 Jungen vergriffen haben. Doch diese bekanntgewordenen Fälle betrachten viele nur als Spitze des Eisbergs.

Während immer mehr Christ:innen vom Glauben abzufallen scheinen, werden andere nicht müde, den gesellschaftlichen Stellenwert der Amtskirchen zu verteidigen – darunter auch NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU): „Ich glaube, unsere Gesellschaft profitiert von einer Stimme, die in anderen Horizonten denkt und das Handeln an unverrückbaren, weil unveräußerlichen Positionen, ausrichtet“, sagte der bekennende Katholik jüngst in einem Interview mit dem Magazin NEUE MITTE. Auch die Politikwissenschaftlerin Carolin Hillenbrand, die an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster eine Studie zu den gesellschaftlichen Auswirkungen der COVID-19-Pandemie durchführte, fand heraus, dass mehr als 50 Prozent der Befragten in Krisenzeiten Trost, Hoffnung und Kraft aus ihrem Glauben schöpfen. 

Haben die Kirchen noch eine Chance verdient? Oder ist es angesichts der Vertrauenskrise vielmehr der richtige Zeitpunkt aus der Kirche auszutreten?

Acht Perspektiven

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„Sie sind da. Noch“

Süddeutsche Zeitung, 14.07.2021 - Annette Zoch

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Die Perspektive in 30 Sekunden

Die Redakteurin Annette Zoch sagt der Kirche eine düstere Zukunft voraus. Sie glaubt nicht, dass sich der Mitgliederschwund der Kirchen noch aufhalten lässt. Zwar sei der soziale Beitrag, den sie durch den Betrieb von Krankenhäusern, Kindergärten und Altenheimen leiste, groß. Dennoch entfremde sich die Gesellschaft zunehmend von ihr: „Für das eigene Leben hat die Kirche immer weniger Relevanz“, kommentiert sie in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG.

Zoch glaubt dabei keineswegs, dass es meistens großer Zorn sei, der die Menschen aus der Kirche treibt. Schuld sei vielmehr „eine schleichende Entwöhnung“. Die Wissenschaft beschreibe das Phänomen, dass die gesellschaftliche Relevanz der Kirchen sinke, als „Traditionsabbruch“. Dieser setze eine Abwärtsspirale in Gang: „[D]ie Ausgetretenen werden ihre Kinder nicht mehr taufen lassen und die ihre Kinder nicht mehr.“ So verliere die Kirche zusehends an Bedeutung.

Dass die Kirchenglocken zu Beginn der Pandemie allabendlich im ganzen Land läuteten, um zu demonstrieren „wir sind noch da", stimmt Zoch skeptisch: „Ja, die Kirchen sind noch da, aber wie lange noch?“

Anmerkungen der Redaktion

Annette Zoch ist Redakteurin für den Themenbereich Innenpolitik bei der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG (SZ). Sie hat in München Kommunikations- und Politikwissenschaft sowie Amerikanistik studiert und die Deutsche Journalistenschule absolviert. Vor ihrer Zeit bei der SZ ist Zoch von 2005 bis 2014 bei der ebenfalls in München ansässigen ABENDZEITUNG aktiv gewesen. Seit 2014 schreibt Zoch im Ressort Innenpolitik für die SZ.

Die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG (SZ) ist eine deutsche überregionale Tageszeitung aus München. Sie erscheint seit 1945 als Nachfolger der Münchener Neusten Nachrichten. Seit 1947 wird sie von der „Süddeutschen Verlags GmbH“ produziert und ist besonders durch ihre „Seite Drei-Reportagen“ und die kritische Glosse „Streiflicht“ bekannt. Mit einer verkauften Auflage von zuletzt 300.000 Exemplaren (3/2021) ist sie in Deutschland nach der BILD die zweitmeist verkaufte deutsche Tageszeitung – auch wenn ihre Auflage insgesamt abnimmt. Die Blattlinie der Zeitung gilt als linksliberal. Zusammen mit dem WDR und dem NDR hat die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG einen investigativen Rechercheverband, der zahlreiche investigative Recherchen veröffentlicht hat, u.a. zu Steuerschlupflöchern und über die Ibiza-Affäre um den damaligen FPÖ-Vorsitzenden Strache. Für die Aufklärung über die Panama Papers erhielten SZ-Journalist:innen 2017 einen Pulitzer-Preis für investigative Recherche.

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„Meinung: Katholische Kirche hat ihr Vertrauen verspielt“

Deutsche Welle, 18.03.2021 - Melina Grundmann

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Die Perspektive in 30 Sekunden

Für Melina Grundmann beweist der Fall Woelki, dass innerhalb des „Systems Kirche“ zu viel unter den Tisch gekehrt wird. Mit seinem Verhalten habe der Kardinal der gesamten katholischen Kirche in Deutschland geschadet: „Dass Mitgliederzahlen schwinden ist zwar nichts neues, doch der Umgang des Erzbistums Köln mit der Aufklärung seiner Missbrauchsfälle hat diese Entwicklung gerade zu befeuert“, schreibt die Redakteurin in ihrem Kommentar für den Auslandsrundfunk DEUTSCHE WELLE.

Dass Woelki noch zu Beginn seiner Amtszeit „mit großen Worten“ versprach, im Bistum für Aufklärung zu sorgen, betrachtet Grundmann als blanken Hohn. Denn mit der Geheimhaltung eines Gutachtens, das er als „nicht gerichtsfest“ einstufte, habe er bewiesen, dass seine Antrittsversprechen nur leere Worte waren: „Er hat sich selbst dadurch unglaubwürdig gemacht, dass er erst eine radikale Aufklärung versprach und dann ein Gutachten verheimlichte“, prangert Grundmann an.

Immerhin sei das zweite Gutachten inzwischen „mit einem großen Wumms“ veröffentlicht worden – und auch mit personellen Konsequenzen für die Beschuldigten. Was nun folgen müsse, sei eine unabhängige, schonungslose Aufarbeitung in allen Bistümern und Ordensgemeinschaften. „Das ist die Kirche den Betroffenen, sich selbst und auch der Öffentlichkeit schuldig“, findet Grundmann. Trotzdem komme das alles viel zu spät. „Der Schaden ist längst riesengroß, das Vertrauen in die Kirche ist zerstört und wird sich so schnell auch nicht wiederherstellen lassen.“

Anmerkungen der Redaktion

Melina Grundmann ist Redakteurin bei der DEUTSCHEN WELLE. Sie hat im Bachelor Angewandte Literatur- und Kulturwissenschaften sowie Journalistik an der Technischen Universität in Dortmund studiert und daraufhin einen Master in Literatur und Medienpraxis in Essen absolviert. Noch während ihres Studiums ist sie journalistisch tätig gewesen: als Redaktions- und Sendungsassistentin beim WDR, bei den RUHR-NACHRICHTEN und als freie Autorin für den SWR. Nach einem Volontariat bei FUNK sowie dem ARD-Hörfunk-Studio in New York ist sie schließlich im September 2017 zur DEUTSCHEN WELLE gewechselt, für die sie zunächst zwei Jahre als Volontärin schrieb. Seit 2019 ist sie Vollzeit-Redakteurin bei der DEUTSCHEN WELLE.

Die DEUTSCHE WELLE ist der Auslandsrundfunk der Bundesrepublik Deutschland. Er wird aus Bundesmitteln finanziert und ist Mitglied der ARD. Die DEUTSCHE WELLE produziert Online-, Fernseh- und Radiobeiträge und sendet in rund 30 Sprachen. Damit ist sie einer der Träger der auswärtigen Kulturpolitik der Bundesrepublik Deutschland. Die Inhalte der Programme haben einen Schwerpunkt auf Nachrichten, Dokumentationen und Kulturberichterstattung. Die DEUTSCHE WELLE sorgte im Frühjahr 2020 für Schlagzeilen, nachdem die TAGEZEITUNG (TAZ) einige Schilderungen von Mitarbeiter:innen veröffentlicht hat. Sie berichteten von einem schlechten Arbeitsklima, von Rassismus, Mobbing und systematischer Unterdrückung von Kritik.

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„Ohne Gläubige kann man nicht Kirche sein“

Tagesschau.de, 23.02.2021 - Anja Würzberg

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Die Perspektive in 30 Sekunden

Aus Sicht der NDR-Programmleiterin Anja Würzberg ist es nicht verwunderlich, dass immer mehr Menschen aus der Kirche austreten. Das liege nicht zuletzt an der mangelnden Reformbereitschaft der deutschen Bischöfe: Weder die Missbrauchsvorwürfe noch die von katholischen Frauen initiierte Kirchenstreik-Bewegung Maria 2.0 habe die hochrangigen Geistlichen bislang zu einem klaren Kurswechsel bewegt, kritisiert sie in ihrem Kommentar auf TAGESSCHAU.DE.

Dass die Ämter „den Ansturm der frustrierten Katholikinnen und Katholiken nicht mehr bewältigen“ können, sei da wenig verwunderlich. Laut Würzberg sehen die Menschen eine „erkaltete und versteinerte katholische Kirche“ – unfähig, mit denen ins Gespräch zu kommen, die unter ihr leiden. Dabei mache sich an der Kirchenbasis längst Aufbruchsstimmung breit: Neben den „wütenden Frauen“ gebe es inzwischen auch die „wackeren Priester in den Gemeinden, die sich für ihre Kirche in Grund und Boden schämen“. „Und die Bischöfe? Unfähig zur echten Auseinandersetzung“, wettert Würzberg.

Eine gnadenlose Kirche fordert Gnade“, beschreibt die Autorin. Doch damit werde die katholische Kirche nicht mehr weit kommen. Denn die Geduld vieler Christinnen und Christen sei am Ende. „Und wenn das letzte Austrittformular abgeheftet ist, werden auch die Bischöfe merken, dass man ohne Gläubige nicht Kirche sein kann“, schließt Würzberg.

 

Anmerkungen der Redaktion

Anja Würzberg ist Leiterin des crossmedialen Programmbereichs Kultur beim NORDDEUTSCHEN RUNDFUNK (NDR). Sie ist außerdem Dozentin am Institut für Kultur- und Medienmanagement an der Hochschule für Musik und Theater in Hamburg und Mitglied der Auswahlkommission der Studienstiftung des Deutschen Volkes. Würzberg hat evangelische Theologie sowie Journalismus studiert und arbeitet seit 2006 für den NDR. Dort ist sie zunächst Referatsleiterin des Intendanten gewesen, bevor sie nach einem Jahr als Studiengangsleiterin des Studiengangs „Journalismus“ an der Hamburg Media School 2009 als Redakteurin wieder beim NDR angefangen hat. 2020 ist Würzberg Programmchefin von NDR-Kultur geworden, seit 2021 ist sie Leiterin des crossmedialen Programmbereichs Kultur.

Das Online-Nachrichtenportal TAGESSCHAU.DE wurde 1996 veröffentlicht und diente zunächst als begleitendes Infoportal zur gleichnamigen Nachrichtensendung der ARD und anderer Nachrichtenangebote von ARD AKTUELL. Heute ist TAGESSCHAU.DE eine der meist aufgerufenen Informationsplattformen, eine Nachrichten-App und ein eigenständiges Medienangebot. Laut eigenen Angaben verzeichnet die Seite etwa 157 Millionen Seitenaufrufe pro Monat. Die Redaktionsleitung hat Juliane Leopold inne, die auch Chefredakteurin Digitales bei ARD-Aktuell ist. Seit 2017 ist über die Website auch das Onlineportal FAKTENFINDER aufrufbar, das Falschinformationen sammelt und einordnet.

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„Ein feste Burg ist unser Gott …“

Futur2, 01.07.2021 - Gundula Gause

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Die Perspektive in 30 Sekunden

Noch ist es für die Kirchen nicht zu spät, das Ruder rumzureißen, macht die Journalistin und ZDF-Moderatorin Gundula Gause deutlich. Wichtig sei es jetzt, alle Kraft „in den Aufbruch zu stecken“. Hierzu lädt sie in der Zeitschrift FUTUR2 zu einem „Gedankenexperiment“ ein, mit dem es in vier Schritten gelingen könne, wieder „eine positive Wahrnehmung von Kirchen, Gott und Glauben zu erreichen“.

  1. Erstens hält Gause es für längst überfällig, die Gemeinsamkeiten zwischen katholischer und evangelischer Kirche stärker zu betonen. „Die bestehenden Sklerosen in den Köpfen vor allem derer, die in Machtstrukturen denken, müssen überwunden werden – nicht irgendwann – sondern jetzt!“, moniert sie.
  2. Zweitens findet Gause es unabdingbar, Laien stärker in Macht- und Entscheidungsstrukturen einzubeziehen. Dazu brauche es möglichst kleine Gremien, in denen Kleriker eine moderierende Rolle einnehmen.
  3. Drittens müsse die christliche Botschaft den Kommunikationsformen unserer Zeit angepasst werden. „Die Kirchen brauchen eine Art Verkündigung 2.0. – und das nicht kleckernd, sondern klotzend!“, plädiert Gause.
  4. Zuletzt brauche es, um damit zu „überleben“, eine „Kraft zu radikaler Anpassung“: organisatorisch, finanziell und personell. Dass sowohl das Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK) als auch die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) seit diesem Jahr von Frauen angeführt werden, stimmt Gause hoffnungsvoll. Sie glaubt, dass EKD-Ratspräsidentin Annette Kurschus und ZdK-Präsidentin Irme Stetter-Karp „neue Akzente setzen, neu hinsehen und neue Wege einschlagen“ werden. „Vielleicht schaffen ja Frauen, was Männer über Jahrhunderte ‚verbockt‘ haben“, scherzt die Journalistin.

Anmerkungen der Redaktion

Gundula Gause ist eine deutsche Nachrichtenmoderatorin, die hauptsächlich im HEUTE-JOURNAL anzutreffen ist. Das HEUTE-JOURNAL ist das Nachrichtenmagazin des ZDF und wird meist um 21:45 Uhr ausgestrahlt. Gause hat Politikwissenschaft, Mittlere und Neuere Geschichte sowie Publizistik studiert. Seit 1989 moderiert sie beim ZDF: zunächst als Nachrichtensprecherin von HEUTE und als Moderatorin im ZDF-MORGENMAGAZIN. Seit 1993 moderiert sie im HEUTE-JOURNAL. Gause ist bekennende Protestantin. So schrieb sie beispielsweise im evangelischen Magazin CHRISMON: „Mein Gott ist der Gott der Nächstenliebe. Wende ich mich an ihn, weiß ich, dass ich mich an einen verzeihenden Gott wende, und das tröstet.“ Sie wünsche sich außerdem einen „neuen Martin Luther“, „der angesichts der äußeren und inneren Bedrohungen des Christentums mit globaler Kraft das Gemeinsame in der Lage ist zu betonen, damit es jenseits aller Differenzierungen in Glaube, Liturgie und Kirchenstrukturen tatsächlich zu einer heiligen christlichen Kirche kommen könnte, wie es im Glaubensbekenntnis der Protestanten heißt.“

FUTUR2 ist eine christliche Online-Zeitschrift. Herausgegeben wird FUTUR2 vom FUTUR 2 e.V., der 2014 zunächst als „Verein Strategie und Entwicklung in Kirche und Gesellschaft e.V.“ gegründet worden ist. Der Verein möchte laut eigener Aussage christliche Mitglieder miteinander vernetzen und einen Dialog darüber führen, wie christliche Werte auch in der Zukunft in der Gesellschaft Bestand haben können. Vorsitzender des Vereins und Herausgeber der Zeitschrift ist der katholische Theologe, Diplom-Psychologe sowie approbierter Psychotherapeut Valentin Dessoy. Dessoy ist außerdem Geschäftsführer einer Coaching- und Consulting-Firma in Mainz. Vize-Vorsitzende des FUTUR 2 e.V. ist die Unternehmensberaterin Ursula Hahnmann, die beispielsweise Kirchen strategisch berät. Finanziert wird FUTUR2 einerseits durch Mitgliedsbeiträge des FUTUR 2 e.V., andererseits durch das Erzbistum Köln und die Strategie-Agentur XIQIT, die verschiedene christliche Projekte unterstützt: so beispielsweise auch die Aktion „kleine Söckchen, warme Füße“, des Aachener Caritas-Verbands.

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„Die Kirche ist kein Fitnessstudio“

Frankfurter Allgemeine Zeitung, 14.07.2021 - Reinhard Müller

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Die Perspektive in 30 Sekunden

Der Journalist Reinhard Müller hält nichts von der Kritik an der mangelnden Relevanz der Kirche. Im Gegenteil: Die Kirche sei mit ihren Glaubenssätzen unvergänglich. „Ihre Kraft gründet auf in mehr als zweitausend Jahren bewährten Weisheiten, die vielen in größter Not geholfen haben und immer noch aktuell sind“, konstatiert er in seinem Kommentar für die FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG (FAZ).

Müller ist überzeugt, dass die Kirche damit eine wichtige gesellschaftliche Funktion erfüllt: „Unzählige leisten durch Wort und Tat jeden Tag in und für die Kirche einen Beitrag für eine bessere Welt“, lobt Müller. Mit der Kirchensteuer „für eine gute Sache wenig Geld“ zu zahlen, sei demnach alles andere als verwerflich. Für Menschen, die „eine schwache Predigt oder einen Missbrauchsskandal“ zum Anlass nehmen, „um Steuern zu sparen“, hat er dagegen nicht viel übrig: „Wie armselig ist das!“, schimpft Müller.

Aus seiner Sicht braucht es keine Unternehmensberatung, um festzustellen, dass die Marke „Kirche“ allein durch ihre Kernbotschaft attraktiv genug sei. „Die Kirche ist kein Fitnessstudio“, überspitzt Müller. In ihrem Kern sei sie weder von Steuern noch von Mitgliederzahlen abhängig. „Was aber ist der Mensch ohne Glaube?“

Anmerkungen der Redaktion

Reinhard Müller ist ein deutscher Jurist und Journalist. Seit 1998 ist er Teil der Redaktion der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG (FAZ) und dort verantwortlich für rechtspolitische Themen und Innenpolitik. Seit Juli 2012 ist Müller zudem verantwortlicher Redakteur für die Rubrik „Zeitgeschehen“. In verschiedenen FAZ-Artikeln wendet sich Müller gegen die Eheöffnung für gleichgeschlechtliche Paare und ein gemeinschaftliches Adoptionsrecht für homosexuelle Paare. Außerdem hält er die Einräumung der doppelten Staatsangehörigkeit für eine „Politik, der jedes Gefühl für Staat und Nation, für Sinn und Form völlig abgeht“.

Die FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG (FAZ) ist eine deutsche überregionale Tageszeitung. Sie ist 1949 gegründet worden und wird zu den deutschen Leitmedien gezählt. Dies sind Medien, die einen besonderen Einfluss auf die öffentliche Meinung und auf andere Massenmedien ausüben. Laut Eigenangabe steht sie „für den Erhalt und die Stärkung der demokratischen Ordnung und der Sozialen Marktwirtschaft in Deutschland“. Die FAZ gilt als liberal-konservatives Blatt. THE EUROPEAN schreibt über die „drei Gesichter“ der FAZ: Sie habe einen eher konservativen, staatstragenden Politikteil, ein linksliberales Feuilleton und einen liberalen Wirtschaftsteil. Die verkaufte Auflage der Zeitung lag zusammen mit der FRANKFURTER ALLGEMEINEN SONNTAGSZEITUNG im dritten Quartal 2021 bei etwa 399.000 Exemplaren. Laut der Arbeitsgemeinschaft Online-Forschung (AGOF) hatte der Webauftritt der FAZ, FAZ.NET, im August 2021 rund 16 Millionen Besucher:innen zu verzeichnen.

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„Kommen spirituelle Menschen besser durch Krisen?“

Jetzt, 27.04.2021 - Isabelle Noth, Kevin Frese

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Die Perspektive in 30 Sekunden

Die Christin, Religionspsychologin und Pfarrerin Isabelle Noth rechnet der Kirchenzugehörigkeit gerade in Krisenzeiten stärkende Kräfte zu. „Religiös-spirituelle Gruppierungen ermöglichen Menschen, Bindungen einzugehen, in ein Beziehungsnetz zu treten und sich dazugehörig zu fühlen“, argumentiert sie im Interview mit Kevin Frese, Autor des Onlinemagazins JETZT von der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG.

Laut Noth können kirchliche Rituale im Krisenalltag ein Anker sein: „Der Sonntagsgottesdienst zum Beispiel ist für viele nach wie vor ein Treffpunkt, um nicht alleine, sondern eingebettet zu sein in eine Gemeinschaft.“ Dass Religiosität in Krisen Halt bietet, werde auch durch empirische Studien belegt. „Es ist demnach so, dass religiös und spirituell aktive Menschen im Durchschnitt offensichtlich resilienter, also widerstandsfähiger, sind und über bessere Bewältigungsstrategien verfügen“, so Noth.

Das mache sich auch in der COVID-19-Pandemie bemerkbar. Wenn etwa eine Person leide, weil sie nicht ins Büro gehen kann, setze ein gelebter Glaube der Einsamkeit etwas entgegen: „Wenn diese Person Zugang zu einer lebendigen Glaubenspraxis hat […], vielleicht betet und gewisse Rituale kennt, biblische Geschichten liest und sie auf sich wirken lässt, dann fördert das ihr Selbstwertempfinden“, argumentiert die Pfarrerin.

Anmerkungen der Redaktion

Isabelle Noth ist Professorin für Seelsorge, Religionspsychologie und Religionspädagogik am Institut für Praktische Theologie der Universität Bern. Geboren in den USA, hat Noth ihre schulische und universitäre Ausbildung in der Schweiz und in Deutschland absolviert. Sie hat evangelische Theologie in Bern, Berlin und Tübingen studiert, eine Ausbildung zur Gefängnisseelsorgerin absolviert und ist ordinierte Pfarrerin in der evangelischen Kirche. Neben ihrer Arbeit als Pfarrerin in verschiedenen Schweizer Gemeinden und Seelsorgerin in der Justizvollzugsanstalt Thorberg im Schweizer Kanton Bern hat sie noch ein Psychologiestudium absolviert. Seit 2012 ist sie Professorin an der Universität Bern.

Kevin Frese ist freier Journalist und schreibt für das Onlinemagazin JETZT der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG sowie für das Hip-Hop-Magazin ALL GOOD. Nachdem Frese zunächst eine Ausbildung zum Informatikkaufmann absolviert hat, hat er als freier Journalist für die HHV-Handels GmbH geschrieben, ein deutscher Online-Shop für Musik-Equipment. Später hat Frese im Bachelor Journalismus und Public Relations sowie Kommunikationswissenschaft im Master studiert. Seit 2020 schreibt er regelmäßig für JETZT und seit 2021 für ALL GOOD.

JETZT ist ein Onlinemagazin, das von der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG (SZ) betrieben wird. Ursprünglich startete JETZT 1993 als Print-Beilage der SZ. Nachdem die gedruckte Ausgabe des Magazins in der SZ eingestellt wurde, entstand eine Online-Community, die sich 2015 zum jetzigen Magazin umformte. Die Zielgruppe sind „Millenials“ und Menschen zwischen 18 und 30 Jahren. JETZT schreibt laut Eigenangaben besonders über feministische, queere und Antidiskriminierungsthemen. Oft bekommen Aktivist:innen eine Stimme, die sich für andere Menschen einsetzen. JETZT kooperiert außerdem mit anderen Blogs, z.B. DAS BIBER oder KLEINERDREI. Laut Similarweb hatte JETZT.DE im November 2021 rund 2,82 Millionen Besuche zu verzeichnen.

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„Wie Menschen ihren Glauben ohne Kirche leben wollen“

Katholisch.de, 13.07.2021 - Christoph Paul Hartmann

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Die Perspektive in 30 Sekunden

Immer mehr Menschen wenden sich von der Kirche ab – doch längst nicht alle von ihnen haben auch den Glauben verloren. Um zu verstehen, wie Glaube ohne Kirche aussehen kann, hat der Redakteur Christoph Paul Hartmann für das Internetportal KATHOLISCH.DE mit Christinnen und Christen gesprochen, die aus der Kirche ausgetreten sind.

Eine von ihnen ist die ehemalige Kantorin Doris Bauer, die nicht mehr das Gefühl hatte, dass die Kirche ihre eigenen Grundsätze wirklich lebt. Ausgewählte Gottesdienste besucht Bauer heute trotzdem noch – etwa von der Kirchenstreik-Bewegung Maria 2.0. „Wer sagt, dass ein Kirchengebäude nur Eigentum der Amtskirche ist?", argumentiert sie. Daneben lebt Bauer ihren Glauben auch in neuen Formaten aus: Sie besucht die Treffen einer neuen geistlichen Gemeinschaft und nimmt an einem Projekt des evangelischen Bildungswerks teil.

Der Redakteur sprach auch mit Claudia Mönius, die sich aus ganz anderen Gründen von der Kirche abwandte. Nachdem sie als Kind Opfer von Missbrauch in der Kirche wurde und später austrat, fand sie nach einigen Jahren zur Kirche zurück – bis zum letzten Jahr: „Für Glaubenserfahrungen braucht man keinen Vermittler, der da vorne vorturnt“, findet Mönius heute. Sie habe andere Rituale gefunden – etwa das „Sonnengebet“, das das christliche Gebet mit Anleihen aus dem Yoga verbinde. Daneben gründete sie einen Lesekreis, in dem Mitglieder sich über ihren Glauben austauschen. 

KATHOLISCH.DE-Redakteur Hartmann fällt nach Beschäftigung mit dem Thema auf, dass zahlreiche der neuen Glaubensformate zwar auf christlichen Ansätzen wurzeln. Daneben seien aber auch Einflüsse aus anderen Kulturen oder geistlichen Gemeinschaften zu erkennen. „Es werden also Ansätze aus der kirchlichen Sphäre für eine von der Kirche gelöste Spiritualität genutzt“, resümiert der Redakteur.

Anmerkungen der Redaktion

Christoph Paul Hartmann ist Redakteur bei KATHOLISCH.DE. Er hat in Leipzig Kommunikations- und Medienwissenschaften studiert und hat anschließend eine Journalismus-Ausbildung an der katholischen Journalistenschule ifp absolviert. Er hat für mehrere Radiosender wie beispielsweise das Kölner DOMRADIO, den DEUTSCHLANDFUNK oder den Leipziger Sender MEPHISTO 97.6 gearbeitet. Seit 2019 schreibt Hartmann als Redakteur für KATHOLISCH.DE. Er ist außerdem Autor des Buches „Hemmel un Ähd – Unterhaltsame Spaziergänge durch Düsseldorfs Kultur und Geschichte“.

KATHOLISCH.DE ist das offizielle Internetportal der römisch-katholischen Kirche in Deutschland. Die Redaktion berichtet im Auftrag der Deutschen Bischofskonferenz. Sie hat ihren Sitz in Bonn. Online ging die Seite 2004. Die Redaktion informiert über die katholische Kirche sowie den christlichen Glauben aktuell und multimedial. Sie arbeitet mit den 27 deutschen Bistümern und weiteren Kirchen-Institutionen zusammen. KATHOLISCH.DE richtet sich nach eigenen Angaben gezielt an Christen und Menschen katholischen Glaubens.

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„Diese Regeln gelten bei Weihnachtsgottesdiensten“

Rheinische Post, 13.12.2021 - Christian Schwerdtfeger

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Die Perspektive in 30 Sekunden

Nach aktuellem Stand werden die katholischen und evangelischen Weihnachtsgottesdienste in Nordrhein-Westfalen trotz des hohen Infektionsgeschehens stattfinden. Welche Regeln dabei voraussichtlich gelten, hat der Chefreporter Christian Schwerdtfeger für die Tageszeitung RHEINISCHE POST zusammengetragen.

Nach Aussage des Katholischen Büros in NRW seien die Pfarreien angehalten, für Gottesdienste mit hoher Nachfrage eine 2G- oder 3G-Regel zu verhängen. In Randzeiten sollen aber auch Messen ohne Zugangsbeschränkungen stattfinden. Für diese seien dann nur die „üblichen Maßgaben“ einzuhalten: Masken und Abstand. Gleichzeitig müsse eine begrenzte Anzahl an Sitzplätzen eingehalten werden. Damit niemand umsonst komme, werde für stärker besuchte Messen um vorherige Anmeldung gebeten.

Die Evangelische Kirche im Rheinland warte zunächst noch das Ende der aktuellen Coronaschutzverordnung ab – denn diese gilt bis zum 21. Dezember 2021. Laut Schwerdtfeger bitten einige evangelische Gemeinden aber auch jetzt schon um Anmeldungen für die Gottesdienste am Heiligen Abend und weisen etwa auf die 3G-Regel hin. Nach jetzigem Stand könne in den Weihnachtsgottesdiensten auch gemeinsam gesungen werden – „allerdings nur mit Maske“.

Anmerkungen der Redaktion

Christian Schwerdtfeger ist Journalist, Chefreporter und der Leiter des Reporter:innenteams der RHEINISCHEN POST. Der studierte Geschichts- und Medienwissenschaftler hat bei der Zeitung ein Online-Volontariat absolviert und anschließend für die Lokalredaktionen Moers und Duisburg gearbeitet. Das Reporter:innenteam leitet er seit 2020. Schwerdtfeger selbst berichtet hauptsächlich über Nordrhein-Westfalen: Schwerpunkt seiner Berichterstattung ist die Polizei und Sicherheitspolitik NRWs.

Die RHEINISCHE POST ist eine regionale Tageszeitung, die zur „Rheinische Post Mediengruppe“ gehört. Der Schwerpunkt der Berichterstattung liegt auf Nordrhein-Westfalen. Die Zeitung wurde 1946 gegründet und hat ihren Hauptsitz in Düsseldorf. Chefredakteur ist Moritz Döbler. Laut einem Ranking der Agentur pressrelations im Jahr 2018 gehört die RHEINISCHE POST zu den meistzitierten Regionalzeitungen Deutschlands. Die verkaufte Auflage lag im dritten Quartal 2021 bei rund 253.000 Exemplaren. Das entspricht einem Minus von 36,9 Prozent seit 1998.