Das Ölgemälde von Anatol Herzfeld

Polizeiverbrechen im Zweiten Weltkrieg: Villa ten Hompel in Münster

Ein Objekt, das stellvertretend für die Forschung und Bildung in der Villa ten Hompel steht. Die historische Schuld der Polizei am Holocaust verarbeitet Anatol Herzfeld, jahrzehntelang Verkehrspolizist und zugleich Meisterschüler von Joseph Beuys an der Kunstakademie Düsseldorf, in diesem Gemälde. Seit 2015 präsentiert es der Münstersche Geschichtsort Villa ten Hompel der Öffentlichkeit in seiner Dauerausstellung „Geschichte – Gewalt – Gewissen“.

Das Bild ruft beim Betrachter bzw. bei der Betrachterin eine starke emotionale Wirkung hervor. Im Zentrum steht ein deutscher Polizist, an der grünen Farbe der Uniform als Angehöriger der Ordnungspolizei erkennbar, der mit einer Pistole einen Zivilisten hinrichtet. Im Moment der Erschießung ist das Gesicht des Opfers ausdruckslos, wogegen die kantigen Züge des Polizisten kalt und brutal wirken. Das Werk gibt sowohl dem Opfer als auch dem Täter ein Gesicht. Damit steht das Kunstwerk stellvertretend für den Erinnerungsauftrag des Geschichtsorts.

Im Hintergrund steht eine Gruppe von drei Männern, von denen zwei in ein Gespräch verwickelt sind und ein anderer dahinter sich mit der Hand in der Tasche abwendet. Sie verdeutlichen: Neben dem Täter sind weitere Menschen als teilnahmslose oder gar schweigend zustimmende Zeugen an dem Verbrechen beteiligt. Die Hinrichtung scheint für sie zum Alltag geworden zu sein. Ein weiterer Polizist wendet sich womöglich bewusst von der Erschießung ab. Statt zuzuschauen oder gar zu schießen, wählt er die historisch belegte Möglichkeit, sich zu entziehen. Die Interpretation liegt letztlich im Auge des Betrachters.

Solche Entscheidungsräume der Polizisten im Gemälde Anatol Herzfelds weisen den Weg in die Dauerausstellung „Geschichte – Gewalt – Gewissen“ der Villa ten Hompel: Der Geschichtsort der Stadt Münster zeigt eindrücklich, welche Handlungsmöglichkeiten die Täter im Holocaust hatten, und welche dramatischen Folgen sich daraus für die Verfolgten ergaben. Die Forschungen in der Villa ten Hompel belegen, dass deutsche Polizisten für eine Mehrheit der im Holocaust getöteten Menschen eine direkte Verantwortung tragen. Die Erschießungen von mehr als 33.000 Jüdinnen und Juden durch SS, Wehrmacht und Polizei im September 1941 in der Schlucht von Babij Jar bei Kiew belegen diese historische Schuld. Und auch Polizisten aus dem Rheinland und aus Westfalen waren an diesem Verbrechen beteiligt. Anatol wählte jenen Tatort als Motiv stellvertretend für die Beteiligung der Polizei am Holocaust.

Das Kunstwerk verweist auf eine zentrale Frage der Dauerausstellung im Geschichtsort Villa ten Hompel: Warum beteiligten sich Polizisten, die bis 1933 noch die demokratische Ordnung schützten, bereitwillig am millionenfachen Mord im nationalsozialistisch besetzten Europa? Weniger direkter Zwang und vielmehr subtiler Druck, materielle Anreize oder ideologische Schulungen und schließlich innere Überzeugungen motivierten die Täter, sich bereitwillig am Morden zu beteiligen. Die Dauerausstellung im Geschichtsort Villa ten Hompel nimmt bei der Suche nach Ursachen für diese Verbrechen gegen die Menschheit sowohl die Perspektive der Täter als auch der Opfer ein.

Fest steht: Ohne die Einheiten der uniformierten Ordnungspolizei hätte das NS-Regime seinen Ausbeutungs- und Vernichtungskrieg nicht führen können. Die Dienststelle des Befehlshabers der Ordnungspolizei im Wehrkreis VI in der Villa ten Hompel bildete seit 1940 Polizeitruppen aus dem Rheinland und aus Westfalen für diese Tätigkeiten militärisch und weltanschaulich aus. Im „auswärtigen Einsatz“ waren diese Einheiten gemein-sam mit anderen staatlichen Organisationen wie der Wehrmacht oder Verwaltungsbehörden systematisch an völkerrechtswidrigen Aktionen und Massenmorden beteiligt. Sie unterdrückten und verfolgten die einheimische Bevölkerung. Polizisten übernahmen die Kontrolle der Ghettos und deportierten hunderttausende Menschen in die Gaskammern der Vernichtungslager. Durch Erschießungen töteten Polizisten mehr als 600.000 Juden, Sinti und Roma und weitere vom NS-Staat definierte Gegner und Opfergruppen. Diese historische Verantwortung der Polizei benennt der Geschichtsort Villa ten Hompel ein-deutig: 62% - das ist der Anteil der Holocaustopfer, der indirekt oder direkt durch uniformierte Polizeieinheiten ermordet oder unwiderruflich in den Tod beispielsweise in die Gaskammern der Vernichtungslager deportiert wurde.

In der Nachkriegszeit kamen Polizisten und führende Repräsentanten des NS-Regimes in der Region in die Villa ten Hompel, um sich vor einem Entnazifizierungsausschuss auf ihre Tauglichkeit für die neue Demokratie überprüfen zu lassen. Als Sitz des Dezernats für Wiedergutmachung im Regierungsbezirk Münster mussten in den 1950er Jahren auch NS-Verfolgte aus der Stadt und ihrer Umgebung in die Villa ten Hompel kommen, wenn sie eine Entschädigung beantragen wollten. Damit rückt die Perspektive der Opfer in den Mittelpunkt des heutigen Geschichtsorts: Wie kann man die Ermordung von An-gehörigen wiedergutmachen? Wieviel Geld konnte ein Verfolgter für einen Tag KZ-Haft fordern?

Durch aktive Erinnerungsarbeit ehemaliger Polizisten und mangelndes Interesse in weiten Teilen der deutschen Gesellschaft war die Verantwortung von Polizisten für den nationalsozialistischen Völkermord nach 1945 lange Zeit kein Thema. Viele Polizisten sahen sich als Verführte oder gar als Opfer der NS-Diktatur. Seit den 1990er Jahren boomt die Aufarbeitung geradezu und die neuere Täterforschung nimmt verschiedenste staatliche wie gesellschaftliche Akteure in den Blick. Neben den SS-Verbrecher aus den KZ-Wachmannschaften rückten weitere Formen von Täterschaft und Tatmotiven in den Fokus. Auch der Geschichtsort Villa ten Hompel hat seinen Ursprung in dieser erweiterten Forschungsperspektive. Schließlich veranlassten diese Diskussionen auch die Polizei dazu, sich mit ihrer belasteten Vergangenheit auseinanderzusetzen.

Ein Besuch der Ausstellung „Transparenz und Schatten. Düsseldorfer Polizisten zwischen Demokratie und Diktatur“ im Polizeipräsidium Düsseldorf erschütterte den Künstler und Polizisten Anatol Herzfeld. Zurück in seinem Atelier auf der Künstlerinsel Hombroich griff er am Karfreitag 2008 seine Eindrücke auf: Ikonische historische Bildmotive von Er-schießungen übertrug Anatol auf die Massenverbrechen vom Tatort Babij Jar und komponierte die Szene um. Laut Kunstexperten gehört das Gemälde zu den ausdrucksstärksten Bildern des Künstlers. Er hat es dann Klaus Dönecke im Polizeipräsidium Düsseldorf als Anerkennung für seine beharrliche erinnerungskulturelle Arbeit geschenkt, der es wiederum dem Förderverein der Villa ten Hompel zunächst ausgeliehen und schließlich als Schenkung überlassen hat.

Das Gemälde Anatols steht am Ende der Dauerausstellung „Geschichte – Gewalt – Gewissen“ und bezieht sich – das verdeutlicht auch die rückseitige Beschriftung des Künstlers – eindeutig auf diese mehrtägigen Mordtaten in der Schlucht von Babij Jar. Der Geschichtsort möchte ausdrücklich auch ein Ort für Reflektion und Gegenwartsbezüge sein. Trotz aller Impulse bleibt es letztlich der gegenwärtigen Gesellschaft selbst überlassen, wie sie mit ihrer Geschichte umgeht. Hier möchte die Villa ten Hompel mit ihrer Dokumentations- und Vermittlungsarbeit sich selbst und das Kunstwerk verorten. Denn auf der Suche nach Tatmotiven stoßen Forscherinnen und Forscher an Grenzen: „Wo Worte des Historikers aufhören, da fängt die Kunst an“.

Seit 1999 bietet der heutige Geschichtsort Villa ten Hompel in Münster – ehemalige Fabrikantenvilla, Sitz der Ordnungspolizei im Nationalsozialismus, Ort der Entnazifizierung und Dezernat für Wiedergutmachung im Nachkriegsdeutschland – Raum für die Auseinandersetzung mit geschichtlichen und aktuellen Themen zwischen Erinnerungskultur und Demokratieförderung am historischen Ort. Dazu gehören Bildungsangebote, öffentliche Vorträge, Tagungen, Kulturveranstaltungen, pädagogische Programme für verschiedene Alters- und Zielgruppen ebenso wie eine umfangreiche Forschungsarbeit.

Weitere Informationen: www.stadt-muenster.de/villa-ten-hompel