Ein Desinfektionshandapparat der Gestapo

Wie ein „Alltägliches“ Gebrauchswerkzeug zum Machtmittel der Gestapo wurde: El-DE-Haus in Köln

Der Desinfektionshandapparat verweist auf die katastrophalen Bedingungen in den überfüllten Zellen der Gestapozentrale in Köln während des Zweiten Weltkriegs. Im Keller des EL-DE-Hauses hatte die Geheime Staatspolizei tausende Menschen eingesperrt und in „verschärften Vernehmungen“ gefoltert. In diesem Haus organisierte die Gestapo die Überwachung, Deportation und Ermordung tausender Kölnerinnen und Kölner.

2001 machte Werner Jung, heute Leiter des NS-Dokumentationszentrums der Stadt Köln, bei Aufräumarbeiten für die geplante Neugestaltung der Gedenkstätte einen überraschenden und zugleich bemerkenswerten Fund: Viele Jahre unentdeckt stand unter einem Treppenaufgang ein Gegenstand, der nur indirekt auf die Nutzung der Räume als Gefängniszellen während der NS-Zeit verweist. Es handelt sich um ein etwa 50 Zentimeter hohes, metallenes Gerät mit einem Druckventil und einer Messanzeige der Firma „Mentor“. Es ließ sich ermitteln, dass es sich um einen Desinfektionshandapparat handelt. Er ist ein Zeugnis von den unwürdigen Haftbedingungen im Untersuchungsge-fängnis, das die Gestapo auch für Folter und Verbrechen nutzte.

Mit dem Apparat wurden die Zellen im Gestapohausgefängnis desinfiziert. Er sollte die durch katastrophale Haftbedingungen bewusst in Kauf genommene Seuchengefahr bannen. Denn in der Endphase des Krieges waren die Zellen extrem überfüllt. Die Gestapo selbst sprach von einer zehnfachen Überbelegung. Zehn, 15 und mehr Personen in einer Einzelzelle von etwas mehr als fünf Quadratmetern waren keine Seltenheit. Die hygienischen Bedingungen waren entsprechend unmenschlich. Seuchengefahr entstand schnell. Als nach Bombenschäden Renovierungen notwendig wurden, hatte die Gestapo 1943 im Wasch- und Toilettenbereich daher eine Dusche zur Desinfektion eingebaut. Der Handapparat wurde ergänzend dazu eingesetzt.

Seit 1935 nutzte die Kölner Gestapo das EL-DE-Haus. Das zentral gelegene Gebäude ist nach den Initialen seines Erbauers Leopold Dahmen benannt und war ursprünglich als Wohn- und Geschäftshaus geplant. Dahmen war katholischer Goldwaren- und Uhrengroßhändler mit einem Büro im angrenzenden Nebenhaus. Noch vor der Fertigstellung beschlagnahmte die Kölner Gestapo den Neubau.

Bis kurz vor Kriegsende folterten die Gestapobeamten und Wachleute hunderte Menschen im Keller ihrer Dienststelle in „verschärften Vernehmungen“, wie sie es nannten. Die meisten Häftlinge waren Kriegsgefangene und Zwangsarbeiter. Auch gegen Widerstandskämpfer ging die Gestapo vor. Unter anderem nahmen sie unangepasste Jugend-liche aus Köln und aus dem Umland ins Visier, die sich selbst Edelweißpiraten nannten.

Heute ist der Desinfektionshandapparat an dem Platz zu finden, an dem er entdeckt wurde: hinter einem Gitter neben der Treppe zur Elisenstraße als Teil der Gedenkstätte Gestapogefängnis.
Wer diesen Ort, das ehemalige Gestapogefängnis, heute betritt, bekommt noch immer ein beklemmendes Gefühl beim Blick auf die kahlen Wände und in die engen Zellen. Hier verweisen bis in die Gegenwart zahlreiche Inschriften und Zeichnungen der Häftlinge auf ihr Leben und Leiden. Namen und Herkunft, Protest und Widerstandsgeist, Hoffnung und Sehnsucht, Haft- und Lebensbedingungen, Folter und Verhör, auch Abschiedswor-te können die Besucherinnen und Besucher noch heute von den Wänden ablesen.

Viele Häftlinge schrieben Botschaften aus der Gewissheit, nie wieder ihre Angehörigen zu sehen und ihre Freiheit zu gewinnen, oder sie zeichneten einfach Figuren, Landschaften und Tiere. Sie ritzten ihre Gedanken und Sorgen mit Nägeln in die Wand und verwendeten Kohle oder Lippenstift. Die Wände wurden 1943 überstrichen und so sind heute noch um die 1800 Inschriften zu erkennen, die zwischen Ende 1943 und Kriegsende 1945 entstanden. Manche Skizzen sind nur noch zu erahnen. Sie verdeutlichen auch die europäische Dimension der nationalsozialistischen Verfolgung: Die 600 In-schriften in kyrillischer Schrift stammen von Russen und Ukrainern, weitere 300 sind in Französisch, Niederländisch, Polnisch, Englisch oder Spanisch geschrieben.

Dass die Inschriften weitgehend erhalten blieben, ist vor allem dem Engagement von Kölner Bürgerinnen und Bürgern zu verdanken. Der Rat der Stadt Köln beschloss 1979 die Einrichtung einer Gedenkstätte und zudem die Gründung des NS-Dokumentationszentrums.

Das ehemalige Gestapogefängnis im Keller bildet als Gedenkstätte den Kern des heutigen NS-Dokumentationszentrums. Als bundesweit größte Einrichtung seiner Art in kommunaler Trägerschaft ist das Zentrum nicht nur Gedenkstätte, sondern auch Forschungsinstitut und Bildungsort gleichermaßen für das Gedenken an NS-Opfer und zur Geschichte Kölns im Nationalsozialismus.

Dieser doppelte Auftrag spiegelt sich auch den Besucherinnen und Besuchern des Do-kumentationszentrums im Gebäude. Neben der Dauerausstellung zur Geschichte Kölns im Nationalsozialismus steht insbesondere in den Kellerräumen als Ort des Leidens das Erinnern an die ehemaligen Häftlinge und NS-Opfer im Mittelpunkt. Zwar ist die Mehrheit der Häftlinge, die die Botschaften an die Zellenwände schrieben, namentlich nicht bekannt. Doch in den vergangenen Jahren gelang es den Historikerinnen und Historikern des NS-Dokumentationszentrums, die Lebenswege einiger Häftlinge zu erforschen und den geschriebenen Gedanken an der Wand so ein Gesicht zu geben.

Auch die Gestapo als eine zentrale Organisation bei der Verfolgung von Andersdenken-den oder Ausgegrenzten rückt schließlich in den Fokus des NS-Dokumentationszentrums. Neben der Frage nach ihrer formalen Verantwortung für tau-sendfaches Unrecht in Köln thematisiert die Dauerausstellung auch die Machtmittel der Gestapo, Werdegänge einzelner Täter oder das dichte Netz der Verfolgungsbehörden um das Gestapogefängnis herum.

Solche Blickwinkel auf das Leben von Verfolgten und auf das Handeln der Täter spiegeln sich eng angebunden an die Hausgeschichte in Objekten wie dem Desinfektionshandapparat. Unterschiedliche Perspektiven oder wiederentdeckte historische Gegenstände und schließlich jüngste Erkenntnisse zur Geschichte Kölns zwischen 1933 und 1945 lernen Besucherinnen und Besucher der Dauerausstellung „Köln im Nationalsozialismus“ seit der Neueröffnung 1997 kennen. Die Dauerausstellung zeigt das gesamtstädtische Leben in der NS-Zeit und widerlegt die weitverbreitete Vorstellung, im liberalen und katholischen Köln habe der Nationalsozialismus nicht richtig Fuß fassen können, als einen selbstgefälligen Mythos. Außerdem gehört seit 2013 der Innenhof des Gebäudes zur Gedenkstätte, in dem die Gestapo allein in der Endphase des Zweiten Weltkriegs mehr als 400 Menschen hinrichtete.

Das NS-Dokumentationszentrum nutzt seine historischen Gegenstände aktiv für die museumspädagogische Arbeit. Im Geschichtslabor in der zweiten Etage des Gebäudes können die meist jungen Besucherinnen und Besucher anhand von Objekten selbstforschend unterschiedliche Spuren zur Geschichte Jugendlicher in der NS-Zeit verfolgen. Ausgehend von Objekten an der Decke und Schränken an den Wänden lassen sich unterschiedliche historische Spuren mit Zeitzeugeninterviews verbinden. Auch wenn spielerische Elemente gezielt zum Einsatz kommen, geht es dabei doch um ernste Themen: Jüdische Jugend, begeisterte oder unangepasste Jugend im Nationalsozialismus, aber auch gegenwärtiger Rassismus werden in Gruppen diskutiert. Das Geschichts- und Demokratielabor nutzt auch die im NS-DOK angesiedelte Info- und Bildungsstelle gegen Rechtsextremismus (ibs), die mit ihrem Beratungsangebot für alle Bevölkerungsgruppen demokratische Kultur vor Ort fördert.

Mit rund 90.000 Gästen ist das NS-Dokumentationszentrum die meistbesuchte Gedenk-stätte Nordrhein-Westfalens. In den letzten fünfzehn Jahren hat sich die Zahl der Gäste mehr als verdreifacht. Entsprechend ambitioniert sind die Pläne für die Zukunft. Gerade erst beschloss der Rat der Stadt Köln fast einstimmig, das NS-Dokumentationszentrum zu einem Haus für Erinnern und Demokratie weiterzuentwickeln. Das NS-DOK kann zukünftig auch das dritte und vierte Obergeschoss im EL-DE-Haus nutzen und wird dann endlich der alleinige Nutzer des EL-DE-Hauses sein. In den neuen Bereichen werden moderne Angebote zur Demokratieförderung entwickelt und die Bildungsangebote verstärkt. Unter anderem entstehen der Erlebnisort „Tristan da Cunha – Abenteuer Demokratie auf einer Insel“, drei „Erzählcafés“ für Nachbesprechungen und vertiefende Arbeit für die zahlreichen im Haus geführten Gruppen sowie ein Junges Museum, in dem sich Kinder, Jugendliche und Familien mit Fragen zur NS-Zeit auseinandersetzen.

Weitere Informationen: www.nsdok.de