Das Modell der ehemaligen Synagoge Drensteinfurt

Äußerer Anlass für die „Rettung“ der Synagoge war die umstrittene Aufnahme des Gebäudes in die Denkmalliste. Ein offener Brief des evangelischen Pastors und ein Bürgerantrag des Gesprächskreises der evangelischen Kirchengemeinde Drensteinfurt hatten schließlich Erfolg.

Anfang 1985 beschloss der Rat der Stadt Drensteinfurt, das Gebäude anzukaufen und zu restaurieren. Das Westfälische Amt für Denkmalspflege befürwortete 1984 die Einstufung der Synagoge als Denkmal. Nach einem langen Rechtsstreit mit dem Käufer der Synagoge, der diese 1984 erworben hatte, wurde die Stadt Drensteinfurt 1988 Eigentümerin des Gebäudes. Allerdings war 1987 die Brüstung der Frauenempore von Unbekannten abgebaut und gestohlen worden. Die Forschungsergebnisse, die Sabine Omland aus dem Bericht der überlebenden ehemaligen Drensteinfurter Jüdin Herta Herschcowitsch geb. Salomon, aus dem Aktenstudium und Zeitzeugenberichten gewonnen hatte, wurden teilweise in der Tagespresse veröffentlicht. Sie weckten bei den Drensteinfurter Bürgern das Interesse an der Geschichte der ehemaligen jüdischen Einwohner und ihrer Synagoge. Im Jahr 1990 gründeten Mitglieder des Gesprächskreises den „Förderverein Alte Synagoge Drensteinfurt“. Er machte es sich zur Aufgabe, ein Nutzungskonzept für die ehemalige Synagoge zu entwerfen und die Stadt bei seiner Umsetzung inhaltlich und organisatorisch zu unterstützen: Führungen, Vorträge, Ausstellungen, Kontakte zu ehemaligen jüdischen Mitbürgern, Aufarbeitung ihrer Geschichte. 1990 begann die Außensanierung des Gebäudes. Durch die „sanfte“ Restaurierung konnte das bisherige Erscheinungsbild erhalten werden. Bei der Innensanierung wurden alle Farbschichten sorgfältig abgetragen, um den Originalzustand im Jahr der Erbauung zu rekonstruieren. Erst 1992 stellte sich heraus, dass die Synagoge nicht 1874, wie bisher angenommen, sondern schon 1872 erbaut worden war. Die Wiedereröffnung der ehemaligen Synagoge fand am 9. November 1992, also 120 Jahre nach ihrer Einweihung, statt. 1995 wurde der gesamte Bereich um die einstige Synagoge in eine Denkmalbereichssatzung aufgenommen, um die für eine Landsynagoge typische Umgebungsbebauung zu erhalten.

Die Anfänge der jüdischen Gemeinde, die bis 1941 bestand, gehen auf das Jahr 1811 zurück. 1814 wohnten 14 „jüdische Glaubensgenossen“ in Drensteinfurt. Die 5 Schulkinder besuchten die katholische Schule und wurden durch einen Privatlehrer in ihrem Glauben unterrichtet. Zum Synagogengottesdienst mussten sie nach Herbern oder Sendenhorst gehen. Mindestens seit 1826 gab es einen jüdischen Friedhof vor den Toren der Stadt neben einer ehemaligen Hinrichtungsstelle, dem „Galgenplacken“, gelegen. Ab 1847 gehörten die Drensteinfurter Juden als Untergemeinde zur Hauptgemeinde Werne. Die inzwischen 38 Personen umfassende Drensteinfurter Judenschaft erbaute 1872 eine eigene Synagoge. Malchen Reinhaus, die Frau des verstorbenen Synagogenvorstehers Leser Reinhaus, hatte 1870 ein Gartengrundstück hinter der katholischen Kirche gekauft, das sie der jüdischen Gemeinde für den Bau des Bethauses zur Verfügung stellte. Zur Finanzierung der Synagoge waren die Drensteinfurter Juden auf Spenden ihrer Glaubensgenossen in der Provinz Westfalen angewiesen. 

Die Wohnungen der Drensteinfurter Juden waren über das ganze Stadtgebiet verteilt. Sie verdienten ihren Lebensunterhalt als Metzger oder Händler. Die Familie Reinhaus führte ein Manufakturgeschäft an der Mühlenstraße. Es ging später durch Heirat in den Besitz von Siegfried Terhoch über. Die Familie Samuel besaß einen Fleischerladen an der Hammer Straße. Mehrere junge Männer der Familien Terhoch und Reinhaus nahmen am 1. Weltkrieg teil und wurden im Kriegslazarett Drensteinfurt behandelt. Johanna Samuel verlor ihren Mann Gustav Levy noch im letzten Kriegsjahr. Die volle gesellschaftliche Anerkennung blieb den Juden aber auch jetzt noch versagt, so etwa 1913 die Mitgliedschaft im Bürgerschützenverein. Im privaten Bereich und weniger traditionsbewussten Vereinen (Rennverein, Junggesellenschützenverein) fanden sie dennoch Freundschaft und Anerkennung.

Mit der nationalsozialistischen Herrschaft begannen auch in Drensteinfurt ab 1933 Ausgrenzung und Verfolgung der jüdischen Mitbürger, die mit dem Reichspogrom einen schrecklichen Höhepunkt fanden. SA- und SS-Leute überfielen am 9. November 1938 fast alle jüdischen Familien in ihren Häusern, misshandelten sie schwer und trieben sie in die Synagoge, wo sie einen „Gottesdienst“ abzuhalten hatten. Das Innere der Synagoge wurde verwüstet. Die Thorarollen wurden geschändet, die Bänke und der Thoraschrein zerschlagen, die Kultgegenstände entwendet. Das Gebäude wurde jedoch wegen der dichten Umgebungsbebauung nicht angezündet. Die verwundeten jüdischen Männer flüchteten in das Krankenhaus, wo sie Dr. Ludwig Metzger ärztlich behandelte und vor der Einlieferung in ein Gefängnis bewahrte. Anfang Dezember wanderten 15 Mitglieder der Familien Terhoch nach Uruguay aus. Die in Drensteinfurt verbliebenen jüdischen Bürger waren einer zunehmenden Unterdrückung ausgesetzt. 1939 musste Siegmund Salomon in Vertretung der jüdischen Gemeinde die Synagoge verkaufen. Die Käuferin nutzte das Gebäude vorwiegend als Lagerraum und sorgte für seine Instandhaltung. Am 10. Dezember wurden die letzten zehn noch in Drensteinfurt lebenden Juden nach Münster gebracht und von dort am 13. Dezember nach Riga deportiert. Mit Ausnahme von Herta Salomon kamen alle in den NS-Lagern um. Sie wanderte mit ihrem Mann 1949 nach der Gründung des Staates Israel aus. Werner Terhoch, der 1938 mit seinen Eltern emigriert war, und sein Cousin Herbert Klaus Terhoch besuchten 1991 bzw. 1998 ihre alte Heimatstadt. Günther Terhoch, Bruder von Herbert Klaus, kehrt 2001 mit seiner Frau nach Drensteinfurt zurück.

Nach dem Urteil des Westfälischen Denkmalsamts hat der gut erhaltene Synagogeninnenraum „einen so hohen Seltenheitswert“, dass er anderen bedeutenden Kulturdenkmälern an die Seite zu stellen sei. Beim Eintreten in die ehemalige Synagoge überrascht die helle Farbigkeit des Raumes, der in den originalen Pastelltönen und Dekors ausgemalt wurde. Die 1938 zerstörte Einrichtung wurde nicht ersetzt. So unterstreicht die Leere des ehemaligen Betsaals den Charakter des Gebäudes als Mahnmal und zeigt deutlich die schlichte Architektur der selten gut erhaltenen Landsynagoge. Selbst die Frauenempore mit ihrem gewundenen Treppenaufgang und die Fensterrahmungen sind original erhalten.

Unter der Empore sind Dokumente zur Geschichte des Hauses und der jüdischen Gemeindemitglieder ausgestellt: eine Handzeichnung von Herta Herschcowitsch (1988), die den Gebetsraum vor der Verwüstung zeigt; der Vertrag über den Kauf des Synagogengrundstücks durch Malchen Reinhaus (1870); 2 Tafeln mit Porträts und Lebensdaten der jüdischen Bürger, die 1939 emigrierten oder 1941 deportiert wurden; eine Vitrine mit Büchern aus dem Besitz der Terhochs, die von ihren Freunden gerettet wurden; ein Modell des Synagogeninnenraums mit der ursprünglichen Einrichtung, das Schüler der Realschule Drensteinfurt angefertigt haben. Da die Synagoge Teil des historischen Stadtrundgangs Drensteinfurt ist, informiert eine Tafel außen neben dem Eingang über die Geschichte des Hauses. Die hebräische Inschrift im Türbogen lässt die Bestimmung des schlichten Gebäudes als jüdisches Bethaus erkennen. 

Das Kulturamt der Stadt Drensteinfurt und der Förderverein organisieren zum Teil gemeinsam Veranstaltungen: Lesungen, Filmvorführungen, Ausstellungen, Vorträge und Konzerte für einen kleineren Hörerkreis und in kleiner Besetzung. Der Förderverein arbeitet mit den hiesigen Schulen zusammen. Neben Führungen für einzelne Klassen werden Projekte mit den Schülern durchgeführt wie etwa die Erarbeitung von Biografien Drensteinfurter Juden im Zusammenhang der Verlegung von Stolpersteinen. Ein weiteres Projekt war die Beteiligung einer Grundschulklasse am Geschichtswettbewerb der Körber-Stiftung, die vom Förderverein beratend begleitet wurde. Hinweise für die mögliche Auswertung oder Vorbereitung einer Synagogenführung stehen den Lehrern mit der „Didaktischen Handreichung“ zur Verfügung.  

Bei der Durchführung kultureller Veranstaltungen ist die Zusammenarbeit mit anderen Vereinen oder Institutionen von Bedeutung. Kunstausstellungen werden gemeinsam mit dem Drensteinfurter Kunstverein geplant, Vorträge zu theologischen Themen in Kooperation mit der kath. Kirchengemeinde St. Regina durchgeführt und beim jährlichen Gedenken an die Deportation der Drensteinfurter Juden Schüler der weiterführenden Schulen in Drensteinfurt beteiligt. Der 9. November, der 10. Dezember und die Woche der Brüderlichkeit haben sich inzwischen als feststehende Termine für Veranstaltungen in und um die Synagoge etabliert. Zusätzlich zu den angemeldeten Führungen finden am „Tag des Offenen Denkmals“ Synagogenführungen und im Sommerhalbjahr Stadtrundgänge zum jüdischen Friedhof sowie zu den ehemaligen Wohnstätten der jüdischen Bürger in Drensteinfurt statt.

Weitere Informationen: www.heimatverein-drensteinfurt.de