NRW diskutiert: Ist ein Energie-Embargo gegen Russland jetzt angebracht?

15.04.2022 - Themenbereiche: Internationale Politik, Konflikte (inkl. Terrorismus), Wirtschaft
Eine brennende Gasflamme von einem Gasherd

Kurzfassung

Die Bilder mutmaßlicher Kriegsverbrechen durch die russische Armee in Butscha, nahe der ukrainischen Hauptstadt Kiew, haben eine ganz neue Dynamik in die Forderung nach einem Energie-Embargo gegen Russland gebracht. Ein Energie-Embargo würde den Stopp aller Öl- und Gaslieferungen aus Russland bedeuten. Bisher sträubt sich die Bundesregierung gegen ein solches Energie-Embargo: „Das würde dazu führen, dass ganze Energiezweige ihre Tätigkeit einstellen müssen“, gab Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) in der ARD bei Anne Will zu bedenken. Ihm pflichtet der Kölner Ökonom und Chef des Instituts der deutschen Wirtschaft, Michael Hüther, bei: „Sofort das Gas abzustellen, hieße, diese Volkswirtschaft in ein Desaster hineinzuführen“, so Hüther im Podcast WIRTSCHAFT KÖLN UNPLUGGED. Auch der amtierende NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) und sein Herausforderer Thomas Kutschaty geben sich skeptisch, was die Einführung eines Energie-Embargos angeht.

Kritik an der Haltung der Bundesregierung

Der aus dem Rheinland stammende CDU-Politiker und ehemalige Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag, Norbert Röttgen, hingegen kritisiert diese Haltung. Er fordert schon seit Ende März ein Energie-Embargo: „Die Dimension des Schreckens, der Vernichtung und Zerstörung wird immer größer werden“, so Röttgen in der AUGSBURGER ALLGEMEINEN. Um dem Einhalt zu gebieten, müsse ein Energie-Embargo her. Der Grünen-Politiker Anton Hofreiter teilt diese Auffassung im WDR: Durch den Import von Erdgas und Erdöl finanziere Deutschland den russischen Krieg mit. Dabei könne man die Importe Hofreiters Meinung nach durch Sparmaßnahmen ersetzen. Ein Gasembargo hieße nicht, dass sämtliche Gaslieferungen eingestellt würden: Derzeit kommen rund 40 Prozent der deutschen Gasimporte aus Russland. „Es geht darum, einen schweren Krieg zu beenden“, appellierte Hofreiter.

Gerade für Nordrhein-Westfalen hätte ein Energie-Embargo vermutlich gravierende Folgen: In NRW befindet sich der größte Stahlstandort Europas; hinzu kommen 16 Zementwerke, Papier- und Chemieindustrie. All diese Wirtschaftszweige sind auf Gas als Wärmelieferanten angewiesen. Ein Energie-Embargo auf russisches Gas könnte damit vergleichbare Auswirkungen wie die COVID-19-Pandemie haben: Lieferketten könnten abbrechen, weil die Vorprodukte nicht mehr produziert werden können – und zig Tausende Beschäftigte in Kurzarbeit geschickt werden. Dabei haben Krieg und COVID-19-Pandemie bereits einen starken Einfluss auf die Psyche der Bürger:innen in NRW: Viele Menschen fühlen sich ohnmächtig angesichts von Pandemie und Krieg; 76 Prozent der Menschen bereitet der Krieg in der Ukraine zusätzlich Angst.

Sollte man angesichts dieser einschneidenden Konsequenzen lieber ablassen von einem Energie-Embargo gegen Russland? Oder ist ein solches Embargo gerade jetzt – nach Bekanntwerden der Gräueltaten in Butscha – angebracht?

Sieben Perspektiven

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„Wir müssen zur Not die Gasspeicher enteignen“

Der Freitag, 17.03.2022 - Moritz Schularick, Sebastian Puschner

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Die Perspektive in 30 Sekunden

In der linken und kapitalismuskritischen Wochenzeitung DER FREITAG spricht sich der Ökonom Moritz Schularick für ein sofortiges Energie-Embargo aus. Der Professor für Makroökonomie an der Universität Bonn argumentiert im Interview mit dem Leiter des Wirtschaftsressorts, Sebastian Puschner: „Schätzungen auf Basis modernster Methoden und Studien, die es zu dem Thema gibt, kommen zum Schluss, dass das vielleicht um die drei Prozent Rückgang des Bruttoinlandprodukts kosten würde. Während Corona lag der Rückgang bei 4,5 Prozent. Eine deutliche Rezession, aber machbar, wenn es sein muss.“

Die Konsequenzen von einem Ende russischer Gaslieferungen ließen sich zudem durch kleine Maßnahmen abmildern: Durch neue Technologien, Sparen und auch ein „Abdichten der Kellertür, durch die es seit Jahren zieht“, könne man bereits einiges an Gas einsparen. Dieses Gas stünde dann weiterhin der Industrie zur Verfügung. Ein Energie-Embargo sende zusätzlich ein wichtiges Signal an die Industrie: Sie selbst müsse jetzt auch Spar-Maßnahmen ergreifen. Das könne die Industrie auch – wenn man sie nur dazu zwinge, so Schularick.

Ein sofortiges Energie-Embargo ergebe noch aus einem weiteren Grund Sinn: Denn je länger man einen Importstopp von russischem Gas verzögere, desto höher würden die Kosten letzten Endes. Es gebe derzeit die Möglichkeit, einen schnellen „Anpassungsprozess“ loszutreten. Die Gaspreise würden auch nach dem Krieg in der Ukraine auf hohem Niveau verharren, zeigt sich Schularick überzeugt. Daher müsse die Industrie schnell arbeiten, „um von russischen wie überhaupt von fossilen Energieträgern unabhängig zu werden“. Und je schneller das gelinge – desto besser.

Anmerkungen der Redaktion

Moritz Schularick ist Professor für Makroökonomie an der Universität Bonn. Schularick hatte Gastprofessuren in Cambridge, der New York University und am SciencesPo in Paris. Mit Gastbeiträgen unter anderem im GUARDIAN, in der NEW YORK TIMES oder der FAZ positioniert sich Schularick immer wieder zu wirtschaftlichen Debatten. Die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG schreibt, Schularick habe vielerorts das Images eines „VWL-Revoluzzers“, der sich „an die Fersen historischer Finanzkrisen“ hefte, um daraus Schlüsse für die Gegenwart zu ziehen. Schularick hat in Paris und London Wirtschaft studiert und anschließend an der Freien Universität Berlin promoviert. 2022 gewann Schularick den Gottfried-Wilhelm-Leibniz-Preis, einen der renommiertesten Preise für Wissenschaftler:innen weltweit. Die Gewinner erhalten 2,5 Millionen Euro für ihre Forschung.

Sebastian Puschner ist Journalist und der leitende Redakteur der Ressorts Wirtschaft und Politik bei DER FREITAG. Der studierte Politik-, Verwaltungswissenschaftler und Philosoph hat die Deutsche Journalistenschule in München besucht und zuvor unter anderem für die TAZ gearbeitet. 2014 ist er zum FREITAG gewechselt und hat dort den monatlichen Wirtschaftsteil mit aufgebaut.

DER FREITAG ist eine überregionale deutsche Wochenzeitung, die nach der Wende aus dem Ost-Berliner Sonntag, der DKP-nahen „Deutschen Volkszeitung“ und der Monatszeitschrift „Die Tat“ hervorgegangen ist. Ziel der Gründer war es damals, mit ihrer Zeitung das Zusammenwachsen der beiden deutschen Staaten zu begleiten und ein Forum für die Ost-West-Debatte zu bieten. Seit 2008 gehört DER FREITAG dem SPIEGEL-Erben Jakob Augstein. EUROTOPICS ordnet die Wochenzeitung in ihrer Grundhaltung als linksliberal ein, auch DER FREITAG wirbt selbst damit, seine „Leserschaft mit seinen Qualitäten als linksliberale Wochenzeitung“ zu begeistern. Herausgeber Augstein, sowie TAGESSPIEGEL und TAZ sprechen hingegen von einer dezidiert „linken Zeitung“. Kontrovers wurde innerhalb der Redaktion und Leserschaft die Entscheidung diskutiert, 2017 den ehemaligen CDU-Abgeordneten und umstrittenen Publizisten Jürgen Todenhöfer zum Herausgeber der Zeitung zu ernennen, was dazu geführt hat, dass er die Zeitung bereits 2018 wieder verlassen hat. DER FREITAG hatte im 4. Quartal 2021 eine verkaufte Auflage von rund 27.000 Exemplaren. Die Website des FREITAGS hatte laut Similarweb im März 2022 rund 922.000 Besuche zu verzeichnen.

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„Embargo trifft Herz der russischen Macht“

Tagesschau.de, 28.03.2022 - Janis Kluge, Till Bücker

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Die Perspektive in 30 Sekunden

„Mit einem Embargo trifft man genau ins Herz der russischen Macht“, legt sich der Russlandexperte der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin, Janis Kluge, fest. Ein Energie-Embargo sei aus außenpolitischer Sicht die ideale Sanktion gegen Russland. Denn nur mit einem Energie-Embargo treffe man den Staatshaushalt, mit dem auch das russische Militär finanziert werde. Gleichzeitig wären die Kollateralschäden für die russische Bevölkerung nicht so hoch wie bei anderem Maßnahmen, so Kluge im TAGESSCHAU-Interview mit Redakteur Till Bücker.

„Das russische Regime hat seine Macht um den Energiekomplex herum aufgebaut. Es sind Putins älteste Vertraute, die die Hebel in der Energiewirtschaft in der Hand haben“, erklärt Russland-Experte Kluge. Der derzeitige Wirtschaftseinbruch, der durch die anderen EU-Sanktionen hervorgerufen wird, sei daher erst einmal kein unmittelbares Problem für den russischen Machtapparat. Denn erstens habe Russland die teuersten Kriegsinvestitionen wie Waffen und Panzer schon getätigt: Es brauche daher nicht mehr allzu viel Geld, um den Krieg am Laufen zu halten. Zweitens werde der Militärapparat primär durch die Einkünfte aus dem Öl- und Gasgeschäft finanziert – weniger durch Steuern aus anderen Wirtschaftsbereichen. Hier spiele Putin eine Konsequenz des Kriegs in die Hände: Durch den Krieg sind die Öl- und Gaspreise stark gestiegen: Daher könnten die russischen Einkünfte aus Öl- und Gasexporten sogar noch steigen.

Ein Energie-Embargo hätte zusätzlich einen weiteren positiven Nebeneffekt: Es ließe sich gut als „Verhandlungsmasse“ benutzen. Denn ein Importstopp russischer Energie lasse sich schnell wieder aufheben, sollte Russland einem Waffenstillstand zustimmen.

Anmerkungen der Redaktion

Janis Kluge ist Wirtschaftswissenschaftler und Teil der Forschungsgruppe „Osteuropa und Eurasien“ der Stiftung Wissenschaft und Politik. Am Deutschen Institut für Internationale Politik und Sicherheit arbeitet er unter anderem an Fragen zur wirtschaftlichen Entwicklung Russlands und den angrenzenden Nachbarstaaten, zur Innenpolitik Russlands und zu Wirtschaftssanktionen. Seine wissenschaftlichen Schwerpunkte umfassen Russland und China, russische Innenpolitik, wirtschaftliche Eliten, Sanktionen und ihre Wirkung sowie die wirtschaftliche Entwicklung Russlands. Kluge hat 2017 in Wirtschaftswissenschaften an der Universität Witten/Herdecke promoviert und hatte 2016 ein Stipendium des Zentrums für Osteuropa- und internationale Studien (ZoiS). 2015 hat er als wissenschaftlicher Mitarbeiter in dem Kompetenznetz „Institutionen und institutioneller Wandel im Postsozialismus“ mitgewirkt und hatte von 2012 bis 2016 zudem Lehraufträge am Europa-Kolleg Hamburg und an der Universität Witten/Herdecke.

Till Bücker ist freier Journalist. Seit 2018 arbeitet er in der ARD-Börsenredaktion und schreibt für TAGESSCHAU.DE und DPA. Er hat Wirtschaftspolitischen Journalismus an der TU Dortmund und Economic Policy Consulting an der Ruhr-Universität in Bochum studiert. Bereits an der TU Dortmund war Bücker Redakteur vom Dienst für das Campusmagazin kurt.digital.

Das Online-Nachrichtenportal TAGESSCHAU.DE wurde 1996 veröffentlicht und diente zunächst als begleitendes Infoportal zur gleichnamigen Nachrichtensendung der ARD und anderer Nachrichtenangebote von ARD AKTUELL. Heute ist TAGESSCHAU.DE eine der meist aufgerufenen Informationsplattformen, eine Nachrichten-App und ein eigenständiges Medienangebot. Laut eigenen Angaben verzeichnet die Seite etwa 157 Millionen Seitenaufrufe pro Monat. Die Redaktionsleitung hat Juliane Leopold inne, die auch Chefredakteurin Digitales bei ARD-Aktuell ist. Seit 2017 ist über die Website auch das Onlineportal FAKTENFINDER aufrufbar, das Falschinformationen sammelt und einordnet.

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„Warum ein Importstopp für russisches Öl und Gas sinnvoll ist“

Severint, 25.03.2022 - Jan Schnellenbach

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Die Perspektive in 30 Sekunden

Auf dem liberalen Online-Blog SEVERINT wurde der Twitter-Feed des Wirtschaftsprofessors Jan Schnellenbach veröffentlicht: Der Absolvent der Bergischen Universität Wuppertal spricht sich darin für ein sofortiges Energie-Embargo gegen Russland aus. Klar könne man nicht vorhersagen, ob ein solches Embargo den Krieg in der Ukraine schnell beenden könnte. Aber, fragt der Wirtschaftsprofessor und Experte für Finanz- und Wirtschaftspolitik rhetorisch: „Haben sich die Gegner eines Embargos schonmal Gedanken gemacht, wie teuer es für die Weltwirtschaft wird, wenn der Krieg sich noch Jahre hinzieht? Welche humanitären Opfer das kosten würde?“

Es sei wichtig, dass Putin durch ein Energie-Embargo keine Devisen mehr bekomme. Denn natürlich könne der russische Diktator seine Streitkräfte auch in selbstgedruckten Rubel bezahlen. Aber, „wenn sie sich von diesen Rubeln praktisch nichts mehr kaufen können“, kämen die Streitkräfte doch ins Grübeln. Zudem seien die russischen Streitkräfte auf Importe angewiesen: Auch auf die Ausrüstung der Streitkräfte hätte ein Embargo daher großen Einfluss.

Zu guter Letzt gebe es noch ein moralisches Argument zu bedenken: Russland lasse Menschen in belagerten Gegenden verhungern und setze Phosphorbomben gegen die Bevölkerung ein. „Wollen wir mit diesem Regime noch Handel treiben?“, kommentiert Schnellenbach sarkastisch. Daher ist Schnellenbachs Forderung klar: Wir sollten alles tun, was in unserer Macht steht, um ein Ende des Kriegs herbeizuführen – oder zumindest wahrscheinlicher zu machen.

Anmerkungen der Redaktion

Jan Schnellenbach, geboren 1973, ist Wirtschaftswissenschaftler und Professor für Volkswirtschaftslehre an der Brandenburgischen Technischen Universität Cottbus-Senftenberg. Er beschäftigt sich mit Wirtschaftspolitik und Finanzwissenschaft und ist seit 2016 in der Schriftleitung des ORDO-Jahrbuchs, einer jährlich erscheinenden Fachpublikation für den Bereich Wirtschafts- und Sozialwissenschaften. Unter dem Twitter-Handle @schnellenbachj postet Schnellenbach auch oft politische Inhalte. Beispielsweise spricht er sich des Öfteren gegen ein Wählen der AfD aus. Schnellenbach ist Mitglied im Verein für Socialpolitik, der sich einsetzt für eine „evidenzbasierte Wirtschaftspolitik“. Der Verein ist die größte Professorenvereinigung im deutschsprachigen Raum Europas: Ihm gehören hauptsächlich Wirtschaftswissenschaftler:innen an.

SEVERINT ist ein Blogmagazin mit den Schwerpunkten Kultur, Technik, Genuss und lokale Nachrichten aus Bonn, das 2011 von Severin Tatarczyk gegründet wurde. Es werden verschiedene Beiträge und Artikel zu Ernährung, kulturellen Veranstaltungen und Trends in den sozialen Medien veröffentlicht, darunter gibt es eine Kategorie ,,Fakten über…“. Der Blog wird hauptsächlich von vier Autor:innen betrieben, darunter Severin Tatarczyk. Tatarczyk arbeitet als deutsch-österreichischer Projektmanager der Steuerberatungsgesellschaft XTAX. Wie sich SEVERINT finanziert, ist unklar, jedoch bietet der Blog die Möglichkeit, dass Nutzer:innen einzelne Artikel finanziell unterstützen. Auf SEVERINT bloggen neben den vier Autor:innen auch des Öfteren Politiker:innen der Grünen, der CDU/CSU, der Linken und der SPD

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„Krieg endet nicht automatisch, wenn der Westen Energie-Importe stoppt“

Kölner Stadt-Anzeiger, 05.04.2022 - Markus Decker

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Die Perspektive in 30 Sekunden

Nur, weil der Westen Russland den Geldhahn zudrehe, heiße das noch lange nicht, dass Russland auch den Krieg beenden werde, meint Markus Decker im KÖLNER STADT-ANZEIGER. Der Korrespondent des Hauptstadtbüros des REDAKTIONSNETZWERKS DEUTSCHLAND (RND) gibt zu bedenken: „Maßgeblich ist, ob ein Embargo wirkt. Das ist auch nach den Verbrechen von Butscha zu bezweifeln.“

Zwei Gründe führt Decker an für seine Skepsis gegenüber dem Sinn eines Energie-Embargos: „Russland hat für den Fall Reserven gebildet. Überdies zeigen Umfragen, dass große Teile der russischen Bevölkerung – dumm gemacht durch Propaganda oder aufgeputscht durch Nationalismus – auf Putins Seite stehen“, polemisiert Decker. Einerseits könne Russland den Krieg also durch seine Reserven auch ohne das westliche Geld aus Energieexporten weiterfinanzieren. Andererseits werde die russische Bevölkerung selbst bei einschneidenden wirtschaftlichen Folgen zu ihrem Präsidenten und dessen Machenschaften halten. Der Westen würde sich daher durch ein Energie-Embargo vor allem selbst schwächen, meint der Hauptstadtkorrespondent. Russland werde auch bei einem Energie-Embargo weitermachen wie bisher.

Decker schlägt daher eine andere Lösung vor: Jeder und Jede könne selbst einen kleinen Beitrag leisten, um den Westen unabhängiger von russischen Gaslieferungen zu machen: indem wir durch Verzicht den Gasverbrauch russischen Gases nach unten regulieren. „Wir sollten das Sparen als Training betrachten“, fordert Decker. „Die Zeiten ungebremsten Konsums sind vorüber“ – und daran könnten wir uns gleich gewöhnen.

Anmerkungen der Redaktion

Markus Decker ist Korrespondent des Hauptstadtbüros des REDAKTIONSNETZWERKS DEUTSCHLAND (RND). Außerdem ist er Autor der Bücher „Zweite Heimat“ und „Was ich dir immer schon mal sagen wollte“. Auf Twitter äußert sich Decker (@BerlinerNotizen) zum tagesaktuellen Geschehen in Deutschland. Er hat Politikwissenschaft, Soziologie und Romanistik in Münster und Marburg studiert. Bevor er zum RND kam, war er unter anderem für die MITTELDEUTSCHE ZEITUNG, den KÖLNER STADTANZEIGER, die BERLINER ZEITUNG und die FRANKFURTER RUNDSCHAU tätig. 2006 ist Decker mit dem Journalistenpreis Münsterland für einen autobiografischen Text über seine Heimatstadt ausgezeichnet worden.

Der KÖLNER STADT-ANZEIGER ist die Tageszeitung mit der höchsten Auflage im Großraum Köln. Die Zeitung erscheint täglich und gehört zur DuMont-Mediengruppe. Die DuMont-Mediengruppe ist ein Familienunternehmen, das unter anderem auch den Kölner EXPRESS herausgibt. In den letzten Jahren hat die einst einflussreiche DuMont Mediengruppe an Einfluss verloren; Medienjournalist Steffen Grimberg verglich das Familienunternehmen gar mit den „Buddenbrooks“. Die DuMont-Mediengruppe hatte viele Zeitungen in den Jahren 2013 bis 2020 verkauft. Die verkaufte Auflage des KÖLNER STADT-ANZEIGERS hat im vierten Quartal 2021 zusammen mit der KÖLNISCHEN RUNDSCHAU rund 200.000 Exemplare betragen. Wie bei den meisten anderen Zeitungen auch ist das ein deutlicher Rückgang seit dem Jahr 1990.

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„„Notfall-Plan ja, Gas-Embargo nein““

Rheinische Post, 30.03.2022 - Antje Höning

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Die Perspektive in 30 Sekunden

Die Leiterin der Wirtschaftsredaktion bei der RHEINISCHEN POST, Antje Höning, kritisiert Forderungen nach einem Energie-Embargo gegen Russland. „Man kann ein Chemiewerk oder einen Hochofen nicht mal eben herunterfahren. Daran hängen ganze Wertschöpfungsketten, die zu reißen drohen“, kommentiert die promovierte Volkswirtschaftlerin.

Mit ihrer Kritik richtet sie sich auch gezielt gegen Ökonomen wie den Bonner Wirtschaftsprofessor Moritz Schularick (siehe Pro 1 in dieser Ausgabe). Angesichts der höchsten Inflation seit 40 Jahren und angesichts steigender Energiepreise seien Forderungen nach einem Energie-Embargo fahrlässig. Auch für Politiker:innen, die solche Forderungen stellen, hat Höning kein Verständnis: „Nicht Oppositionsführer wie Friedrich Merz (…) werden es den Bürgern erklären, falls der Brotpreis sich verdoppelt oder Massen­entlassungen drohen“, kritisiert sie den CDU-Vorsitzenden Merz. Merz hatte kürzlich einen Stopp der Gaslieferungen über die Pipeline Nord-Stream-1 gefordert.

Höning lobt hingegen den deutschen Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne). Dieser spreche sich gegen einen Importstopp von russischem Gas aus – arbeite aber trotzdem an Plänen, was passiere, sollte Russland von sich aus die Lieferungen einstellen. So treffe man gute Vorbereitungen – aber keine überhasteten Entscheidungen.

Anmerkungen der Redaktion

Antje Höning ist Journalistin und leitet die Wirtschaftsredaktion der RHEINISCHEN POST. Nach ihrem Studium der Volkswirtschaftslehre hat sie zunächst an der Christian-Albrechts-Universität in Kiel promoviert. Danach war sie unter anderem drei Jahre lang Pressesprecherin und Redenschreiberin bei der Bundesagentur für Arbeit, bevor sie 2000 zur RHEINISCHEN POST wechselte. Dort leitet sie seit 2008 die Wirtschaftsredaktion. 2002 ist sie mit dem Ernst-Schneider-Preis als beste Nachwuchsjournalistin ausgezeichnet worden.

Die RHEINISCHE POST ist eine regionale Tageszeitung, die zur „Rheinische Post Mediengruppe“ gehört. Der Schwerpunkt der Berichterstattung liegt auf Nordrhein-Westfalen. Die Zeitung wurde 1946 gegründet und hat ihren Hauptsitz in Düsseldorf. Chefredakteur ist Moritz Döbler. Laut einem Ranking von KRESS.DE war die RHEINISCHE POST die zweitmeist zitierte Regionalzeitung Deutschlands. Die verkaufte Auflage lag im vierten Quartal 2021 bei rund 249.879 Exemplaren. Das entspricht einem Minus von 37,6 Prozent seit 1998. Trotzdem dominiert die RHEINISCHE POST laut ÜBERMEDIEN den Markt Düsseldorfer Lokalzeitungen und hat andere Lokalangebote weitestgehend verdrängt. Für die Berichterstattung über einen Fall mehrfacher Kindstötung in Solingen hat die RHEINISCHE POST zusammen mit der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG und der BILD eine Rüge des Presserats erhalten. Die RHEINISCHE POST hatte Chatnachrichten eines Kindes veröffentlicht.

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„„Lieber Windräder als vor einem Diktator auf den Knien herumrutschen““

Deutschlandfunk, 08.04.2022 - Reiner Priggen, Jürgen Zurheide

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Die Perspektive in 30 Sekunden

Der Grünen-Politiker und Vorstandsvorsitzende der Lobbyorganisation „Landesverband Erneuerbare Energien NRW“ (LEE NRW), Reiner Prigge, spricht sich gegen ein Energie-Embargo gegenüber Russland aus. Gleichzeitig hat er eine seiner Meinung nach bessere Alternative parat: Der Ausbau der Windenergie in NRW müsse schnell vorangetrieben werden. Für Prigge sei ein „Windrad, was sich dreht, […] eine Freude, weil da wird Energie geholt, kostenlos, da muss ich vor keinem Diktator auf den Knien herumrutschen“, gibt er im Interview mit Jürgen Zurheide vom DEUTSCHLANDFUNK zu Protokoll.

Sich jetzt auf einen Schlag unabhängig zu machen von russischem Gas hält der ehemalige Fraktionsvorsitzende der Grünen im Landtag Nordrhein-Westfalen für unrealistisch. „Der Krieg wird länger dauern und es nützt uns nichts, wenn wir von sieben Prozent Inflation aufs Doppelte oder Dreifache gehen“, prognostiziert Prigge.

Man müsse stattdessen in die Zukunft schauen: Erneuerbare Energien müssten schnell ausgebaut werden; beispielsweise mehr Solarzellen auf den Dächern und Windräder. „Und wenn sich ein modernes Windrad zweimal dreht, habe ich 100 Kilometer in der Batterie meines Elektrowagens“, rechnet Prigge vor. Statt Wirtschaft und Bevölkerung durch ein Gas-Embargo vor eine schwierige Herausforderung zu stellen, sollte man daher lieber den Ausbau erneuerbarer Energien vorantreiben.

Anmerkungen der Redaktion

Reiner Priggen ist ein deutscher Politiker (Grüne) sowie Vorstandsvorsitzender der Lobbyorganisation Landesverband Erneuerbare Energien NRW (LEE NRW). Priggen hat Maschinenwesen in Aachen studiert. Daraufhin arbeitete Priggen zunächst bei einem Maschinenbau-Unternehmen und später im Aufsichtsrat der Abfallwirtschaft GmbH in Aachen. 1984 trat Priggen den Grünen bei. Dort war er zunächst in seinem Landkreis Lippe tätig, bis er Sprecher des Landesverbandes Nordrhein-Westfalen und später stellvertretender Fraktionsvorsitzender der Grünen im Landtag Nordrhein-Westfalen wurde. Von 2000 bis 2017 ist Priggen Mitglied des Landtags Nordrhein-Westfalen gewesen. Im Dezember 2016 ist Priggen einstimmig zum neuen Präsidenten von LEE NRW gewählt worden: Die Lobbyorganisation dient vor allem dem Ausbau der Windkraftindustrie, der Solarwirtschaft und damit verbundener Unternehmen.

Jürgen Zurheide hat in Bochum und Göttingen Volkswirtschaftslehre studiert, bevor er bei der HANNOVERSCHEN ALLGEMEINEN ein Volontariat begann. 1985 hat er als landespolitischer Korrespondent für Medien wie den BERLINER TAGESSPIEGEL oder die STUTTGARTER ZEITUNG gearbeitet. Seine Schwerpunkte setzt er in der Berichterstattung über Kohle- und Strukturwandel, Innenpolitik sowie Gesundheits- und Wirtschaftsthemen. Im DEUTSCHLANDFUNK moderiert Zurheide die Sendungen „Das war der Tag“ sowie die „Informationen am Morgen“.

Der DEUTSCHLANDFUNK ist 1962 als Teil des öffentlich-rechtlichen Rundfunks gegründet worden. Er ist eines der drei bundesweiten Hörfunkprogramme des DEUTSCHLANDRADIOS und hat einen Wortanteil von 80 Prozent. Das Programm beschäftigt sich besonders tagsüber mit tagesaktuellen Geschehnissen aus Politik, Wirtschaft und Wissenschaft. In den Abendstunden liegt der programmatische Schwerpunkt auf Kulturthemen wie Musik, Hörspielen, Lesungen und entsprechenden Berichten. Der DEUTSCHLANDFUNK sendet klassisch linear, jedoch betreibt er auch eine umfangreiche Audiothek und diverse Podcasts, wo Inhalte auch nicht-linear konsumiert werden können. Laut der Mediaanalyse „ma Audio 2021“ hat der DEUTSCHLANDFUNK im Jahr 2020 täglich rund 2,2 Millionen Zuhörer:innen erreicht.

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„„Welche Folgen hätte ein Energie-Embargo für NRW?““

WDR, 05.04.2022 - Sabine Tenta

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Die Perspektive in 30 Sekunden

„Die Kurzarbeit würde explodieren, die Steuereinnahmen würden drastisch einbrechen. Die Wirtschaft könnte regelrecht implodieren“, zitiert Sabine Tenta die Vorstandsvorsitzende des Stahlkonzerns Thyssenkrupp, Martina Merz. Tenta istfreie Redakteurin im landespolitischen Ressort beim WDR und erläutert die Folgen eines Energie-Embargos für Nordrhein-Westfalen. Für mehrere Industriezweige würde ein Ende der Gasimporte aus Russland unter Umständen einen Produktionsstopp bedeuten. Ein solcher Produktionsstopp könnte wiederum in einigen Industrien zu Kurzarbeit und Arbeitslosigkeit führen – insgesamt wären wohl rund 150.000 Arbeitnehmer:innen in folgenden Industrien betroffen:

  • Die Stahlindustrie: „Der größte Stahlstandort Europas ist in Duisburg“, erklärt Tenta. 38 Prozent der deutschen Gesamtproduktion würden hier produziert – und rund 46.000 Menschen beschäftigt.
  • Die Zementindustrie: In NRW stehen 16 Zementwerke. Wie viele Menschen in NRW allein beschäftigt sind, ist allerdings nicht bekannt. In Gesamtdeutschland sind es laut Verband der Zementindustrie 7.900 Menschen in 54 Zementwerken.
  • Die Papierindustrie: Laut NRW-Wirtschaftsministerium seien hier rund 7.000 Mitarbeitende in 30 Betrieben beschäftigt.
  • Die Chemieindustrie: Hier sei NRW mit rund 93.000 Beschäftigten der bedeutendste Standort Deutschlands. Rund 42,3 Milliarden Euro Umsatz seien hier erwirtschaftet worden.

Doch nicht nur Arbeitsplätze seien durch einen möglichen Produktionsstopp gefährdet. Ein zusätzliches großes Problem seien mögliche Lieferkettenabbrüche. „Die Chemieindustrie produziert zum Beispiel Vorprodukte für die Düngemittelindustrie, an der die Lebensmittelversorgung der kommenden Jahre hängt“, zitiert Tenta Theodor Wolf vom Verband der industriellen Energie- und Kraftwirtschaft (VIK). Außerdem würde ein Embargo die Gaspreise noch einmal weiter erhöhen, so Wolf. Dabei sei es fraglich, wie weit die Betriebe, die Gas benötigen, diese Kosten weitergeben könnten. Denn die Weltmarktkonkurrenz produziere dann unter Umständen billiger.

Die Folgen seien damit offensichtlich: Kurzarbeit, ein Einbrechen der Steuereinnahmen und Abbrechen der Lieferketten. „Ein Energie-Embargo würde die NRW-Wirtschaft also sehr hart treffen“, resümiert Tenta. Immerhin treffe ein Embargo die Wirtschaft wohl nicht gänzlich unvorbereitet: Sowohl Politik als auch die Unternehmen selbst seien seit Wochen dabei, Vorbereitungen für den Worst Case zu treffen. Wie diese Vorbereitungen aussehen, ist allerdings noch nicht klar.

Anmerkungen der Redaktion

Sabine Tenta ist freie Redakteurin für Landespolitik beim WDR. Sie hat Germanistik, Philosophie und Politikwissenschaft studiert. Ihre journalistische Karriere begann zunächst bei einem Aushilfsjob bei der DEUTSCHEN WELLE. Nach ersten Erfahrungen beim KÖLNER STADT-ANZEIGER und dem WDR absolvierte sie eine Journalistenausbildung an der Deutschen Hörfunkakademie. Seitdem ist sie vor allem als Online- und Hörfunk-Journalistin tätig.

Theodor Wolf ist der Leiter Politik und Kommunikation beim Verband der Industriellen Energie- und Kraftwirtschaft (VIK). Der VIK ist ein deutscher Verband, der Interessen von Unternehmen aus der Energiewirtschaft vertritt. Überwiegend sind Betriebe aus energieintensiven Branchen wie beispielsweise der Stahl-, Papier, Zement- oder Chemieindustrie vertreten. Laut der WELT hatten die Unternehmen des VIK 2011 rund 80 Prozent des industriellen Stroms in Deutschland verbraucht.

Martina Merz ist die Vorstandsvorsitzende der Thyssenkrupp AG. Sie hat an der Berufsakademie Stuttgart Maschinenbau mit dem Schwerpunkt Fertigungstechnik studiert und zunächst 17 Jahre lang für die Robert Bosch GmbH gearbeitet: ein Automobilzulieferer und Hersteller von Industrietechnik. Nach drei Jahren bei Brose wechselte sie zunächst wieder zurück zu Bosch. Von dort wechselte sie als CEO zur Firma Chassis Brakes International, die Autobremsen herstellt. Nach drei Jahren bei der Chassis Brakes International machte sie sich als Unternehmensberaterin selbstständig, bevor sie 2019 zur Vorsitzenden des Aufsichtsrat der Thyssenkrupp AG gewählt und acht Monate später zur Vorstandsvorsitzenden berufen wurde. In der Liste „The World’s 100 Most Powerful Women” des Wirtschafts-Magazins FORBES wird Merz 2021 an 19. Stelle aufgeführt.

Der WESTDEUTSCHE RUNDFUNK (WDR) ist die größte der neun Landesrundfunkanstalten der ARD. Er entstand 1956, als sich der NWDR in den NDR und den WDR aufteilte. Die Sendeanstalt hat sechs Radioprogramme und einen Fernsehsender, zu dessen bekanntesten Programmen unter anderem das Politmagazin „Monitor“, die „Sportschau“ oder das Kinderangebot „Die Sendung mit der Maus“ gehören. Laut eigenen Angaben ist der Sender nach Anzahl der Beschäftigten das zweitgrößte Medienunternehmen Europas hinter der BBC. Laut der "Media-Analyse 2021" erreicht der Fernsehsender des WDR in Deutschland täglich rund 8 Millionen Zuschauer:innen, der Radiosender erreicht rund 11 Millionen Zuhörer:innen. Der Webauftritt des WDR hatte im Februar 2022 laut Similarweb rund 16,1 Millionen Besuche zu verzeichnen.