Zwei Personen nutzen ihre Smartphones. App-Symbole im Hintergrund

Hintergrund: Demokratie und digitale Öffentlichkeit

Innerhalb von nur rund 20 Jahren haben sich Kommunikation und Medien enorm verändert. Digitale Dienste wie Suchmaschinen und soziale Netzwerke sind für viele Menschen wichtiger als Fernsehnachrichten und Tageszeitungen.

Sie bieten viel Potenzial für unser demokratisches Miteinander. Doch im Vordergrund stehen meist ernste Probleme wie Desinformation und gesellschaftliche Spaltung. Was kennzeichnet die digitale Öffentlichkeit, und warum sind Dienste wie soziale Netzwerke wichtig für die Demokratie?

tl;dr* - Das Wichtigste, ganz kurz

Worum geht es?

  • Unsere Kommunikation hat sich durch die Digitalisierung enorm verändert.

  • Informationen aus unterschiedlichsten Quellen stehen nebeneinander.

  • Alle können Informationen veröffentlichen und auf andere reagieren („Many-to-many“-Prinzip).

Was hat das mit Demokratie zu tun?

  • Medien sind wichtig für die Meinungsbildung und Kontrolle über Regierungen.

  • Digitale Plattformen können es erleichtern, sich zu informieren, zu organisieren und zusammenzuarbeiten.

  • Doch soziale Netzwerke polarisieren und verbreiten Hass und Falschinformationen.

  • Mögliche Auswege sind die Regulierung von Plattformen und ein Design im Sinne der Gesellschaft.

*tl;dr steht für „too long, didn’t read” („zu lang, habe ich nicht gelesen“)

Was bedeutet Digitalisierung?

„Die Digitalisierung“: von ihr ist sehr häufig die Rede. Der Begriff hat mehrere Bedeutungen. Er wird dafür verwendet, um die tiefgreifenden Veränderungen in Wirtschaft, Technik und Gesellschaft zusammenzufassen, die mit der Verbreitung von vernetzter Informationstechnologie (IT) einhergehen.

Im Job und bei der alltäglichen Kommunikation sind diese Veränderungen besonders intensiv spürbar. Unser Leben ist nicht mehr vorstellbar ohne Internet, soziale Netzwerke, Messenger-Apps oder computergesteuerte Werkzeuge und Maschinen. Doch die Digitalisierung verändert viele weitere Lebensbereiche (mehr in den Informationen zur politischen Bildung). Die Folgen der Digitalisierung sind so umfassend, dass sie oft als Umwälzung, Revolution oder digitale Transformation bezeichnet werden.

Ursprünglich steht der Begriff "Digitalisierung" für einen technischen Vorgang: die Umwandlung von Informationen – zum Beispiel von Texten oder Bildern – in ein computerlesbares Format. Oft wird es auch Digitalisierung genannt, wenn Vorgänge in Unternehmen oder in Behörden umgestellt werden auf Software- beziehungsweise computergestützte Prozesse (mehr zum Begriff Digitalisierung beim Bayerischen Forschungsinstitut für Digitale Transformation).

Technik und ihre Folgen

Neue Technologien lösen unterschiedliche Erwartungen aus. Schlagzeilen machen oft übertriebene Einschätzungen, ob optimistisch („Hype“) oder besonders kritisch. In den Medien finden sich immer wieder Überschriften wie „Die Digitalisierung vernichtet Arbeitsplätze“, „Schnelles Internet schafft Jobs“, „Digital macht schlau“ oder „Smartphones machen krank und dumm“. Die Folgen einer Technologie ergeben sich jedoch nicht automatisch aus ihren technischen Eigenschaften. Es kommt darauf an, wie wir damit umgehen. Oft wird kritisiert, dass große Konzerne („Big Tech“) ihre Dienste rein nach ihren wirtschaftlichen Interessen gestalten würden. Demnach gefährden zum Beispiel populistische Botschaften und Fake News, die in sozialen Netzwerken kursieren, den gesellschaftlichen Zusammenhalt, während die Anbieter mit jedem Klick Geld verdienen.

Grundsätzlich haben wir aber durchaus Handlungsspielraum, um den digitalen Wandel zu gestalten – zum Beispiel durch politische beziehungsweise rechtliche Vorgaben oder durch unser Verhalten als Nutzerinnen und Nutzer (mehr zu den Handlungsspielräumen: Informationen zur politischen Bildung).

Was kennzeichnet die digitale Öffentlichkeit?

Wie wir uns informieren und miteinander kommunizieren, hat sich durch die Digitalisierung stark verändert. Heute haben wir über das Internet jederzeit direkten Zugang zu einer riesigen Informationsvielfalt. Soziale Netzwerke, Video-Plattformen, Blogs und andere Dienste ermöglichen es uns, uns mit anderen zu vernetzen und selbst Informationen zu veröffentlichen.

Zuvor waren Fernsehen, Radio und Tageszeitungen die wichtigsten Leitmedien. Sie alle sind klassische Massenmedien. Ihre Inhalte werden zentral von Redaktionen produziert und an ein Massenpublikum versendet. Die Leserinnen und Leser einer Zeitung bekommen dasselbe zu lesen, und sie sind ein weitgehend passives Publikum. Diese Form der Kommunikation wird auch mit „One-to-many“ („Eins-zu-eins“) beschrieben.

Die digitale Öffentlichkeit ist dagegen geprägt von „Many-to-many“-Kommunikation („Viele-zu-vielen“). Wir sind es gewöhnt, jederzeit Informationen aus den verschiedensten Quellen zu beziehen – und darauf zu reagieren beziehungsweise unsere eigenen Beiträge zu veröffentlichen (mehr zum Wandel der Öffentlichkeit aus Sicht der Kommunikationswissenschaft).

#nofilter: Von Influencer:innen bis hin zu "alternativen Medien"

Plattformen wie YouTube oder Instagram ermöglichen es sogenannten Influencerinnen und Influencern, enorme Reichweiten zu erzielen – unabhängig von traditionellen Medienorganisationen wie Sendern oder Verlagen und ohne journalistischen Hintergrund. Der Begriff Influencer:in wird vom englischen Wort "to influence" (beeinflussen) abgeleitet und bedeutet soviel wie Meinungsmacher:in. Einige beschäftigen sich gelegentlich mit Politik. Schlagzeilen macht dabei insbesondere der YouTuber Rezo, zuletzt vor der Bundestagswahl 2021. Das ist jedoch die Ausnahme, meist liefert Rezo Unterhaltung. Ähnlich halten es andere bekannte YouTuber wie LeFloid oder Julien Bam. Es gibt aber auch Influencer/-innen, bei denen Politik und Wissen im Mittelpunkt stehen. Dazu gehören Tilo Jung („Jung & Naiv“) oder MrWissen2Go.

Teilweise vermischen sich die Welt der Web-Medien und die der traditionellen Massenmedien. So ist MrWissen2Go Teil des Online-Medienangebots „funk“ von ARD und ZDF. Auf YouTube kann man das jedoch leicht übersehen. Dort stehen die Videos gleichberechtigt neben allen anderen. 

Zur enormen Vielfalt des Online-Medienangebots gehören Kanäle, die sich selbst als „alternative Medien“ bezeichnen. Sie verstehen sich als kritische Gegenstimme insbesondere zum öffentlich-rechtlichen Rundfunk oder zu den großen Tageszeitungen. Zentraler Gegenstand dieser alternativen Medien sind Themen und Meinungen, die angeblich von anderen ignoriert werden. „Alternative Medien“ bezeichnen etablierte Medien wie Tageszeitungen und Fernsehsender oft als „Mainstream-Medien“, die angeblich nur einer politisch erwünschten Linie folgen. In sogenannten alternativen Medien finden sich teilweise Verschwörungsmythen. Diese Informationskanäle spielen eine zentrale Rolle für die sogenannte Querdenker-Bewegung, die gegen die Corona-Schutzmaßnahmen protestiert – oft auf der Grundlage von Spekulationen und Randmeinungen (mehr dazu: Untersuchung der Uni Münster).

Was hat Öffentlichkeit mit Demokratie zu tun?

Welche Informationen wir beziehen und wie wir miteinander kommunizieren, ist grundlegend wichtig für das gesellschaftliche Miteinander und die Demokratie. Um uns eine Meinung bilden zu können und Entscheidungen zu treffen, zum Beispiel bei Wahlen, brauchen wir Informationen. Auch der Austausch mit anderen Menschen ist für die Meinungsbildung wichtig.

Medien ermöglichen den öffentlichen Austausch von Informationen und Meinungen. Für eine Demokratie ist es wichtig, dass sie die Vielfalt der Meinungen widerspiegeln. Medien stellen außerdem Transparenz her und ermöglichen Kontrolle über Regierungen oder andere staatliche Einrichtungen.

Digitale Medien haben grundsätzlich viel Potenzial für eine demokratische Öffentlichkeit. Sie können es erleichtern, sich zu informieren, sich auszutauschen sowie sich zu organisieren und mit anderen zusammenzuarbeiten. Eine Enquete-Kommission des Deutschen Bundestags hat sich von 2010 bis 2013 mit den Chancen und Herausforderungen einer digital vernetzten Demokratie auseinandergesetzt. Zum Zwischenbericht Demokratie und Staat der Enquete-Kommission Internet und digitale Gesellschaft

Beispiele: Wieviel Demokratie steckt in digitalen Medien?

#metoo

Das Schlagwort steht für eine Bewegung gegen sexualisierte Übergriffe und Gewalt. Ursprünglich ist #metoo ein Hashtag – ein Stichwort, unter dem Betroffene in sozialen Netzwerken über eigene Erfahrungen berichteten. Es steht für den englischen Ausdruck "me too", deutsch: "ich auch". Die Diskussion darüber sorgte Ende 2017 für weltweites Aufsehen. Anlass war das Bekanntwerden von Übergriffen durch den US-amerikanischen Filmproduzenten Harvey Weinstein (Überblick zum Weinstein-Prozess und #metoo bei zdf.de).

Arabischer Frühling

Ende 2010 begann eine Protestbewegung in der arabischen Welt, die sich gegen die autoritären Regierungen richtete. Facebook, Twitter und YouTube spielten dabei eine entscheidende Rolle, denn sie ermöglichten die Mobilisierung. In den meisten Ländern scheiterten die Proteste. Soziale Medien wurden in der Folge schärfer kontrolliert, teilweise wurden Aktivistinnen und Aktivisten wegen ihrer Beiträge im Netz verfolgt (mehr im Beitrag von Deutschlandfunkkultur).

Digitale Bürgerbeteiligung

Viele Fachleute versprechen sich bessere Beteiligungsmöglichkeiten an politischen Prozessen durch digitale Plattformen, zum Beispiel Abstimmungs- und Wahlverfahren. Zeitweise gab es mehr Aufmerksamkeit für diese Möglichkeiten, unter anderem anlässlich der Erfolge der Piratenpartei. Sie zog ab 2011 in mehrere Landesparlamente ein und experimentierte mit dem Konzept der „Liquid Democracy („flüssige Demokratie“). Eine Internetplattform ermöglichte den Mitgliedern, bei verschiedensten Themen entweder selbst mitzudiskutieren und zu -entscheiden oder ihre Stimme zu delegieren – eine Kombination aus repräsentativer und direkter Demokratie.  

Die Idee hat sich in der Politik bisher nicht durchgesetzt. Und das Beispiel der italienischen 5-Sterne-Bewegung zeigt, dass sie Risiken birgt. Die Bewegung versteht sich als basisdemokratisch und nutzt für die digitale Mitbestimmung eine Plattform namens Rousseau. Doch diese sei unter Kontrolle der Parteiführung, das Stimmverhalten der Mitglieder werde überwacht, und es gebe Mängel bei IT-Sicherheit und Datenschutz, so die Kritik (mehr dazu bei heise.de). 

Etabliert haben sich dagegen Online-Beteiligungsverfahren in Kommunen. Zu ihnen zählen unter anderem die Beteiligung an der Stadtentwickung oder Bürgerhaushalte, bei denen Bürgerinnen und Bürger im Internet über die Verteilung von Finanzmitteln entscheiden (mehr dazu in unserem Special Online-Bürgerbeteiligung).

Mehr über die „flüssige Demokratie“:

Was läuft schief?

Wenn es um die Beziehungen zwischen digitalen Medien und Demokratie geht, stehen seit einigen Jahren einige ernste Probleme im Vordergrund. Dazu gehören die Verbreitung von Falschinformationen („Fake News“) und Manipulation, die zunehmende Polarisierung der Öffentlichkeit sowie Hassbotschaften („Hate Speech“).

Es wird kritisiert, dass die sozialen Netzwerke in ihrer heute üblichen Form die Polarisierung fördern. Denn dort werden zugespitzte Botschaften belohnt, indem sie mehr Reaktionen hervorrufen und größere Reichweite bekommen. Hintergrund sind die Geschäftsmodelle der Anbieter. Diese finanzieren sich durch Werbung. Je aktiver die Nutzerinnen und Nutzer der Plattformen sind und je mehr Zeit sie dort verbringen, desto mehr Geld können die Unternehmen verdienen.

Dagegen ist es nicht im Interesse der Unternehmen, Inhalte zu kontrollieren und zum Beispiel zu verhindern, dass sich Falschnachrichten viral verbreiten. Das unterscheidet sie von klassischen Massenmedien, wo in den Redaktionen journalistische Grundsätze gelten wie zum Beispiel die Pflicht, wahrheitsgemäß zu berichten und Informationen sorgfältig zu prüfen. So hat Facebook-Gründer Marc Zuckerberg mehrfach betont, Facebook sei kein Medienunternehmen. (zum Beispiel in einer Anhörung 2018 vor dem US-Kongress, siehe Bericht von CNBC)

Wenn sich immer wieder neue, ungeprüfte Informationen und zugespitzte Meinungen in der digitalen Öffentlichkeit viral verbreiten, ist das nicht im Sinne der Demokratie. Der öffentliche Austausch wird immer schneller und immer flacher, Reflexion und ausgewogene Analysen werden schwieriger.

Regulierung und ethisches Design: Wie wir Auswege finden können

Soziale Netzwerke wären keine „Gefahr für die Demokratie“ (siehe tagesschau.de über den Cambridge Analytica-Skandal 2018), wenn wir sie nicht begeistert nutzen würden. Aber es liegt nicht nur an den Nutzerinnen und Nutzern, wenn sich dort zum Beispiel Fake News und Hassbotschaften verbreiten. Fachleute sprechen von einem Dreieck von Wechselwirkungen zwischen Technik und Gestaltung, dem Verhalten der Nutzerinnen und Nutzer sowie der Gesellschaft. (mehr zum sogenannten Frankfurt-Dreieck bei der Gesellschaft für Informatik)

So ist Technik beziehungsweise Software gestaltbar. Das Interaktionsdesign einer Social Media-App zum Beispiel kann angepasst werden. Es ist gut vorstellbar, ein soziales Netzwerk mit Funktionen auszustatten, welche die Verbreitung von Fake News bremsen. Nutzerinnen und Nutzer wiederum sind grundsätzlich frei in ihren Entscheidungen. Wissen über Fake News kann dazu beitragen, dass diese in sozialen Netzwerken kritischer mit Informationen umgehen. Gesellschaft und Politik schließlich sind gegenüber Fehlentwicklungen bei digitalen Plattformen nicht wehrlos ausgesetzt. Sie können Rahmenbedingungen setzen, angelehnt an den Bereich der traditionellen Massenmedien. 

Es gibt eine Reihe von politischen Initiativen zur Regulierung digitaler Plattformen wie das sogenannte Netzwerkdurchsetzungsgesetz (Infos und Gesetzestext beim Bundesjustizministerium). Es verpflichtet die Anbieter, gegen Hasskriminalität und andere strafbare Inhalte vorzugehen. Zudem wird zunehmend über ethisches Software-Design und eine nachhaltige Digitalisierung diskutiert. Dabei geht es darum, wie Digital-Unternehmen Verantwortung für ihre Plattformen übernehmen können und wie digitale Dienste im Sinne der Gesellschaft gestaltet werden können. (mehr über „digitale Ethik“ bei der Bundeszentrale für politische Bildung)