Sorge um den energieintensiven Wirtschaftsstandort NRW: Braucht es einen Industriestrompreis?

22.09.2023 - Themenbereiche: Nordrhein-Westfalen, Politik, Wirtschaft
Strommast und Stromleitungen vor abendlichem Himmel

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Kurzfassung

Angesichts der hohen Konzentration an energieintensiven Branchen wie Stahl, Chemie, Glas und Papier setzt der angespannte Energiemarkt den Wirtschaftsstandort NRW besonders unter Druck. Heimische Unternehmen mit hohem Strombedarf sehen ihre Wettbewerbsfähigkeit zusehends in Gefahr: „Ohne Industriestrompreis geht uns die Puste aus“, warnte etwa der Vorstandsvorsitzende des Duisburger Stahlkonzerns thyssenkrupp Steel Europe, Bernhard Osburg, in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG (FAZ).

NRW-Regierung fordert Bundesregierung zum Handeln auf

Auch aus den Reihen der NRW-Regierung werden die Rufe nach einem Industriestrompreis immer lauter. Im Frühjahr hatte Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) das auch als Brückenstrompreis bezeichnete Konzept ins Gespräch gebracht, um energieintensiven Branchen bis 2030 einen bezahlbaren Strompreis zu sichern. Inzwischen appelliert auch NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) an die Ampelregierung, „dieses klare Signal für den Industriestandort zu senden“. Rückendeckung bekommt er von seiner Stellvertreterin Mona Neubaur (Grüne), die sich vom Industriestrompreis eine „ökologische Lenkungswirkung“ verspricht.

Doch die Berliner Ampelkoalition ist gespalten: Allen Bemühungen des Wirtschaftsministeriums zum Trotz lehnen Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) den Industriestrompreis ab. Während Lindner durch den Markteingriff etwa eine Wettbewerbsverzerrung fürchtet, begründet der Bundeskanzler seine Skepsis unter anderem mit offenen Finanzierungsfragen. „Wie könnten wir es rechtfertigen, dass Unternehmen, die riesige Gewinne machen, von dem Steuerzahler und der Steuerzahlerin subventioniert werden und Deutschland sich dafür stark verschuldet?“, räumte Scholz in der WELT AM SONNTAG ein.

Sollte der Staat energieintensiven Branchen dennoch unter die Arme greifen? Braucht der Wirtschaftsstandort NRW einen Industriestrompreis?

Acht Perspektiven

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„Baut die Brücke beim Strompreis!“

Wirtschaftswoche (WIWO), 31.08.2023 - Florian Güßgen

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Die Perspektive in 30 Sekunden

„Baut die Brücke beim Strompreis!“, fordert der Chefreporter Florian Güßgen. Er ist überzeugt, dass es den Industriestrompreis braucht, um die Zeit zu überstehen, bis genug erneuerbare Energien die Strompreise endlich senken. „Er ebnet der Transformation den Weg“, schreibt Güßgen in der Wochenzeitung WIRTSCHAFTSWOCHE (WIWO).

Die energieintensive Branche dürfe nicht länger mit den hohen Stromkosten allein gelassen werden. „[I]n der gegenwärtig real existierenden Unordnungspolitik, in der sich wirtschaftliche Pole global neu ausrichten, ist Pragmatismus nötig, um das Land wettbewerbs- und zukunftsfähig zu machen“, appelliert Güßgen. Er hält es für fahrlässig, sich dem Industriestrompreis zu verwehren – weil wichtige Grundstoff- und Zukunftsindustrien dadurch ins Ausland abzuwandern drohen.

Inzwischen seien die vergleichsweise hohen deutschen Strompreise zu einem Symbol einer „scheinbaren Gleichgültigkeit“ der Regierung geworden, der unterstellt werde, „Abwanderung mit einem Schulterzucken zu quittieren“. Daher sieht Güßgen in dem Industriestrompreis ein überfälliges Aufbruchssignal: „Wir schalten nicht nur Atomkraftwerke ab und erzwingen Klimaneutralität, sondern wir beantworten auch die Frage aller Fragen in den Branchen: Wie sollen wir den Strom bezahlen?“

Anmerkungen der Redaktion

Florian Güßgen ist Journalist und seit 2021 Chefreporter für Unternehmen bei der WIRTSCHAFTSWOCHE (WIWO). Güßgen hat Politik, Geschichte und VWL studiert und wurde mit einer Arbeit über europäische Außenpolitik promoviert. Er hat ein Volontariat bei der britischen Tageszeitung FINANCIAL TIMES absolviert und sechs Jahre lang für den STERN geschrieben. Sein Schwerpunkt war für lange Zeit die Digitalwirtschaft.

Die WIRTSCHAFTSWOCHE ist eine seit 1926 bestehende überregionale Wochenzeitung mit Sitz in Düsseldorf, deren verkaufte Auflage zuletzt bei gut 90.000 lag (IVW Q2/2023). Sie erscheint im Handelsblatt Verlag, der mit dem HANDELSBLATT eine weitere renommierte Wirtschaftszeitung herausgibt. In ihrer Ausrichtung gilt die Zeitung als wirtschaftsliberal. Die WIRTSCHAFTSWOCHE gehört zu den Pflichtblättern an den Börsen in Düsseldorf und Frankfurt und erfährt Aufmerksamkeit vor allem über ihre Berichterstattung mit Rankings, etwa zu Hochschulen oder Städten. Der Vermarkter Iq Media zeichnet die Hauptzielgruppe der WIRTSCHAFTSWOCHE als männlich, mittelständisch und überdurchschnittlich wohlhabend.

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„Warum der Brückenstrompreis vertretbar ist“

Handelsblatt, 05.09.2023 - Sebastian Dullien, Michael Hüther, Jens Südekum

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Die Perspektive in 30 Sekunden

Unternehmen, die im internationalen Wettbewerb stehen, sind auf verlässliche und günstigere Energiekonditionen angewiesen, plädieren die Ökonomen Sebastian Dullien, Michael Hüther und Jens Südekum. „Das Problem hoher und unvorhersehbarer Strompreise in Deutschland, besonders für die energieintensiven Branchen, ist unbestritten“, mahnen die Ökonomen in der Wirtschaftszeitung HANDELSBLATT.

Dringend notwendige Innovationen seien maßgeblich von wettbewerbsfähigen Strompreisen abhängig. Hier sehen die Gastautoren den Staat in der Pflicht: „[S]o nimmt die Politik den Investoren jenes Risiko ab, das sie durch die Versäumnisse und Fehlentscheidungen der letzten Jahre zu verantworten hat.“ Daher müsse Berlin den Industriestrompreis zügig beschließen – nur so seien energieintensive Unternehmen in kommenden Jahren vor Preisspitzen geschützt.

Nach ihrer Einschätzung stehe keineswegs zu befürchten, dass sich der Industriestrompreis als Dauersubvention entpuppt: Sobald der Ausbau der Erneuerbaren fortgeschritten sei und sich dies im Börsenstrompreis niederschlage, werde die Subvention sich von allein erübrigen. „Mit einem Brückenstrompreis nimmt die Politik sich selbst ernst und wettet glaubwürdig auf die Umsetzung der eigenen Versprechen für den Ausbau günstiger Stromproduktion und der Übertragungsnetze.“

Anmerkungen der Redaktion

Sebastian Dullien ist Volkswirt, Professor und Institutsdirektor bei der Hans-Böckler-Stiftung. Die Hans-Böckler-Stiftung steht dem Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) nahe. Dullien hat internationale Ökonomie und VWL an drei Universitäten studiert, darunter die Ruhr-Universität Bochum, die Freie Universität Berlin und die französische Universität Paris-Dauphine. Nach seinem VWL-Diplom hat er als Leitartikel-Redakteur bei der FINANCIAL TIMES gearbeitet, bis er 2003 promovierte. Nach mehreren Jahren als Wirtschaftspolitikredakteur trat er 2011 der Denkfabrik European Council on Foreign Relations bei. Seit 2007 ist er Professor für Allgemeine Volkswirtschaftslehre an der HTW Berlin. Zudem wurde er 2019 wissenschaftlicher Direktor des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung der Hans-Böckler-Stiftung.

Michael Hüther ist Ökonom und seit 2004 Direktor des INSTITUTS DER DEUTSCHEN WIRTSCHAFT. Hüther ist Mitglied in verschiedenen Gremien und Vereinen, unter anderem der Ludwig-Erhard-Stiftung oder der Atlantik-Brücke. Hüther ist Honorarprofessor für Volkswirtschaftspolitik an der European Business School. Er hat Wirtschaftswissenschaften und Mittlere sowie Neuere Geschichte in Gießen studiert und später in den Wirtschaftswissenschaften promoviert. Von 1995 bis 1999 war er Mitglied der fünf Wirtschaftsweisen der Bundesrepublik, die die gesamtwirtschaftliche Entwicklung als Sachverständigenrat begutachten. Zuvor war er vier Jahre lang Wissenschaftlicher Mitarbeiter des Rates. Nach fünf Jahren als Chef der DekaBank in Frankfurt wurde er 2004 Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft in Köln.

Jens Südekum ist Professor für Internationale Volkwirtschaftslehre am Düsseldorfer Institut für Wettbewerbsökonomie (DICE) an der Heinrich-Heine-Universität. Außerdem ist er Mitglied im Wissenschaftlichen Beirat des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie (BMWi). Er wurde 2017 im Ranking der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG (FAZ) zu einem der 100 einflussreichsten Ökonomen Deutschlands gewählt.

Das HANDELSBLATT ist die auflagenstärkste deutschsprachige Wirtschafts- und Finanzzeitung. Sie wird zu den Leitmedien gezählt, also zu denen, die einen besonderen Einfluss auf die öffentliche Meinung und auf andere Massenmedien ausüben. Sie erschien erstmals 1946 mit der Auflage der britischen Militärbehörden, das „friedliche Zusammenspiel von Arbeit und Kapital“ journalistisch im Einklang zu halten. Die Blattlinie des HANDELSBLATTS wird üblicherweise als wirtschaftsliberal angesehen. Das HANDELSBLATT finanziert sich durch Abonnements, Printverkäufe und Werbung. Es hat zwei Online-Bezahl-Modelle: „Premium“ und „Premium Plus“ und hostet außerdem Live-Events in Form von Tagungen, Trainings und Konferenzen. Die verkaufte Auflage des HANDELSBLATT liegt bei knapp 128.000 Exemplaren (IVW Q2/2023) und ist damit geringer als im vorigen Quartal.

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„Deutschland muss jetzt neu durchstarten“

Die Zeit, 08.09.2023 - Isabella Weber

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Die Perspektive in 30 Sekunden

„Deutschland muss jetzt neu durchstarten“, konstatiert die Ökonomin Isabella Weber. Mit Blick auf diverse Krisen wie Rezession, Klimawandel, Pandemie und geopolitische Spannungen hält sie es für notwendig, alte Denkweisen auf den Prüfstand zu stellen – und eine umfassende Investitionsagenda zu beschließen. „Ein Industriestrompreis ist darin unverzichtbar, aber nur ein Baustein“, kommentiert sie in ihrem Gastbeitrag in der Wochenzeitung DIE ZEIT.

Grundlegend für eine umfassende staatliche Investitionspolitik sei zunächst das Ausbrechen aus einem dogmatischen Umgang mit der Schuldenbremse. Denn diese hindere Deutschland derzeit daran, seinen Wohlstand zu sichern. Stattdessen brauche es staatliche Hilfen, die Marktakteure gezielt zu notwendigen Investitionen mobilisieren. So müsse auch der Industriestrompreis an Bedingungen geknüpft werden – etwa an Standortverpflichtungen oder klar definierte Klimaziele. Es gelte sicherzustellen, „dass energieintensive Unternehmen am deutschen Standort Pioniere der Energieeffizienz und der Emissionsreduktion sind“.

Daher plädiert Weber für das Prinzip „Fördern und Fordern“: Einerseits müsse das Überleben der deutschen Standorte durch den Industriestrompreis gesichert werden. „[A]ndererseits werden wirkmächtige Hebel eingesetzt, um nicht den Status quo zu zementieren, sondern um Innovation und Preisstabilisierung zu erreichen“, skizziert sie. Auf diese Weise könne die industrielle Basis erhalten und transformiert werden: „Für die deutsche Wirtschaft sind die energieintensiven Unternehmen und die verarbeitende Industrie traditionell das Rückgrat“, unterstreicht Weber.

Anmerkungen der Redaktion

Isabella Weber ist eine Ökonomin und Wirtschaftsprofessorin, die in den USA an der University of Massachusetts Amherst forscht und lehrt. Sie leitet die Chinaforschung am Political Economy Research Institute und ist Autorin des Buches „How China escaped shock therapy: The market reform debate“. Weber hat Politikwissenschaft an der Freien Universität Berlin und Wirtschaftswissenschaften an der New School in New York City studiert. Daraufhin promovierte sie in Cambridge und wurde schließlich als unbefristete Dozentin an die University of London berufen. Diese verließ sie wiederum 2019, um eine Assistenzprofessur an der University of Massachusetts anzutreten. Weber sorgte 2021 mit ihrer These für Aufsehen, staatliche Preiskontrollen könnten einen Beitrag zur Inflationskontrolle leisten. Später, im Jahr 2022, brachte sie auch den Vorschlag eines Gaspreisdeckels in die Debatte um den Umgang mit erhöhten Gaspreisen ein.

DIE ZEIT ist die größte deutsche Wochenzeitung und hat ihren Sitz in Hamburg. DIE ZEIT erscheint seit 1946 und wurde von ihren ersten beiden Chefredakteuren Ernst Samhaber und Richard Küngel zunächst als rechts-konservatives Blatt ausgelegt. Erst in den 1960er Jahren wurde die Wochenzeitung durch Marion Gräfin Dönhoff und den langjährigen Chefredakteur Theo Sommer als liberales Medium ausgerichtet. Dönhoff prägte DIE ZEIT bis 2002 und hat sie von 1968 bis 1972 herausgegeben, ab 1983 gemeinsam mit Altkanzler Helmut Schmidt (SPD). In gesellschaftspolitischen Fragen gilt DIE ZEIT als grundsätzlich (links-)liberal, hat allerdings auch viele Gastbeiträge aus dem gesamten Meinungsspektrum oder stellt Beiträge mit gegensätzlichen Meinungen gegenüber. Der NDR urteilt, DIE ZEIT gelte als „Blatt der Akademiker und Intellektuellen“ – und sei damit durchaus erfolgreich. Tatsächlich gehört DIE ZEIT zu den wenigen deutschsprachigen Printmedien, die seit der Digitalisierung an Auflage gewonnen haben. Zuletzt lag diese bei rund 619.000 Exemplaren (IVW Q2/2023).

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„Industriestrom wäre teuer und ungerecht“

Westdeutscher Rundfunk (WDR), 25.08.2023 - Wolfgang Otto

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Die Perspektive in 30 Sekunden

Der Korrespondent Wolfgang Otto findet es falsch, die energieintensive Industrie in NRW mit Milliarden-Hilfen aus der Staatskasse zu unterstützen. Alle anderen komme der Industriestrompreis nämlich teuer zu stehen: „[D]er große Rest wird die Begünstigung der Wenigen bezahlen müssen“, kommentiert der Diplom-Volkswirt im WESTDEUTSCHEN RUNDFUNK (WDR).

Aus guten Gründen seien kleinere Unternehmen sowie die Handwerkerschaft bisher gegen den Industriestrompreis. „Es klingt absurd, aber gerade diejenigen, die vergleichsweise wenig Strom verbrauchen, sollen den industriellen Großverbrauchern unter die Arme greifen“, so der Journalist. Zwar vermittele NRW-Wirtschaftsministerin Mona Neubaur (Grüne) den Eindruck, mit dem Wirtschaftsstabilisierungsfonds (WSF) stehe das nötige Geld zur Verfügung. Aber ganz so einfach sei das nicht, meint Otto: „Ja, es ist da – als Kredit von der Bank, für den alle Steuerzahler aufkommen müssen.“  

Zudem verzögere der Industriestrompreis die Energiewende. Die künstlich gesenkten Preise nähmen Druck von den Industriebetrieben, auf Sonne, Wind und Wasserstoff umzusteigen. „Besser wäre es deshalb das Geld in Projekte zum Ausbau der Sonnen- und Windkraft zu stecken. Da werden die Milliarden dringend gebraucht“, so der Kommentator.

Anmerkungen der Redaktion

Wolfgang Otto ist Radio-Korrespondent für NRW-Landespolitik beim WESTDEUTSCHEN RUNDFUNK (WDR). Er hat Volkswirtschaftslehre in Köln studiert und eine Ausbildung zum Fachjournalisten für Wirtschaft und Politik an der Kölner Journalistenschule absolviert. Für den WDR arbeitet Otto seit 1993: unter anderem als Korrespondent in New York, Amman, Berlin und Brüssel. Vor seiner Zeit als Radio-Korrespondent war er Leiter der Hörfunk-Wirtschaftsredaktion des WDR in Köln. Radio-Korrespondent für NRW-Landespolitik ist Otto seit 2015.

Der WESTDEUTSCHE RUNDFUNK (WDR) ist die größte der neun Landesrundfunkanstalten der ARD. Er entstand 1956, als sich der NWDR in den NDR und den WDR aufteilte. Die Sendeanstalt hat sechs Radioprogramme und einen Fernsehsender, zu dessen bekanntesten Programmen unter anderem das Politmagazin „Monitor“, die „Sportschau“ oder das Kinderangebot „Die Sendung mit der Maus“ gehören. Laut eigenen Angaben ist der Sender nach Anzahl der Beschäftigten das zweitgrößte Medienunternehmen Europas hinter der BBC. Laut der „Media-Analyse 2022“ erreichen alle Radiosender des WDR zusammen rund 8 Millionen Zuhörer:innen jeden Tag. Der Webauftritt des WDR hatte im Juli 2023 laut Similarweb rund 15,3 Millionen Besuche zu verzeichnen.

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„‚Es braucht ein neues Steuersystem‘“

Tageszeitung (TAZ), 29.08.2023 - Marcel Fratzscher, Simon Poelchau

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Die Perspektive in 30 Sekunden

Der Ökonom Marcel Fratzscher hält Entlastungen von Unternehmen wie den Industriestrompreis für den falschen Weg. „Sie zementieren alte Strukturen und verhindern Wettbewerb“, betont der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) im Gespräch mit Redakteur Simon Poelchau von der TAGESZEITUNG (TAZ).

Nach Fratzschers Analyse muss die Struktur der deutschen Volkswirtschaft grundlegend verändert werden. „Viele große deutsche Industriekonzerne haben in den vergangenen Jahren die Transformation verschlafen“, unterstreicht er. Ein staatlich subventionierter Strompreis führe lediglich dazu, dass dringend notwendige Transformationsprozesse weiter auf der Strecke bleiben. Zudem werde das Geld so „mit der Gießkanne verteilt“. Sinnvoller seien gezielte Hilfen – etwa für Forschung und Entwicklung. Denn es gehe darum, Prozesse neu und effizienter zu gestalten: „Ansonsten ist es lediglich eine Umverteilung, die die Transformation bremst.“

Zweifelsohne sei die Industrie wichtig in Deutschland. „Zur Transformation gehört aber auch, dass mehr Unternehmen als üblich aus Deutschland verschwinden werden“, räumt der DIW-Chef ein. Doch genau das sei notwendig, damit neue Ideen, neue Produkte und neue Unternehmen entstehen können. „Das bedeutet Transformation“, so Fratzscher. Auch um Arbeitsplätze macht er sich keine Sorgen: „Wir haben ein Problem mit Fachkräftemangel – nicht mit Arbeitslosigkeit.“

Anmerkungen der Redaktion

Marcel Fratzscher ist Ökonom und Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW). Er ist außerdem Professor für Makroökonomie an der Humboldt-Universität zu Berlin. Zuvor hat er für die Europäische Zentralbank gearbeitet und dort auch die Abteilung International Policy Analysis geleitet. Diese ist dafür zuständig, Politikpositionen der Europäischen Zentralbank über internationale Themen zu formulieren. 2016 wurde er in der FAZ-Rangliste der einflussreichsten Ökonomen in Deutschland in den Top 10 gelistet. Im Kampf gegen die wachsende Vermögensungleichheit in Deutschland wirbt Fratzscher für eine Änderung bestehender Erbschaftsgesetze.

Simon Poelchau ist Journalist, Redakteur und Wirtschaftsexperte. Seit Juli 2023 schreibt er für die TAZ im Ressort Wirtschaft und Umwelt mit Fokus auf Ökonomie. Zuvor war er Wirtschaftsredakteur bei der linken Tageszeitung ND (ehemals: NEUES DEUTSCHLAND). Dort schrieb er hauptsächlich Analysen über Banken und die Ursachen der europäischen Finanzkrise, verfasste aber auch Kommentare zu gesellschaftlichen Themen und berichtete über das Handeln der Gewerkschaften. Poelchau publizierte zudem für die Linkspartei-nahe Rosa-Luxemburg-Stiftung. Er hat Philosophie und Volkswirtschaft an der Freien Universität in Berlin studiert.

Die TAGESZEITUNG (TAZ) ist eine überregionale deutsche Tageszeitung. Sie wurde 1978 als alternative, selbstverwaltete Zeitung gegründet – unter anderem vom Grünen-Politiker Hans-Christian Ströbele. Die Zeitung hat sich besonders in ihrer Anfangszeit an Linke, Studierende, Grüne und die Hausbesetzer-Bewegung gerichtet. Erklärtes Ziel der TAZ ist es seither, eine Gegenöffentlichkeit zu schaffen. Sie gehört heute zu den zehn größten überregionalen Tageszeitungen in Deutschland, mit einer verkauften Auflage von rund 42.000 Exemplaren (2/2023). Nach eigenen Angaben verzeichnet die Webseite TAZ.DE bis zu 14 Millionen Zugriffe monatlich (1/2023). Das Goethe-Institut verortet die TAZ als „grün-linkes“ Blatt und betont besonders die oft sehr kritische Berichterstattung der Zeitung. Eurotopics sieht die TAZ als linkes Medium und stellt die gestaffelte Preisgestaltung und die Entscheidung gegen Online-Bezahlschranken als Besonderheiten der Zeitung heraus. Die TAZ wird genossenschaftlich herausgegeben, jährlich findet eine Generalversammlung statt, an der jedes der zuletzt (2022) rund 22.000 Mitglieder teilnehmen kann. Die Chefredaktion teilen sich Barbara Junge, Ulrike Winkelmann und Katrin Gottschalk.

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„Industriestrompreisbremse ist unnötig kompliziert“

Heise Online, 01.09.2023 - Gregor Honsel

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Die Perspektive in 30 Sekunden

Der Industriestrompreis ist unnötig kompliziert, beklagt der Redakteur Gregor Honsel. Schon der jetzige Strompreis sei ein „Sammelsurium“ von Ausnahmen, Sonderfällen und Ad-Hoc-Lösungen, die längst abgewählte Regierungen irgendwann einmal eingeführt haben. „Doch statt mit solchen Sonderregelungen aufzuräumen, soll mit der Industriestrompreisbremse jetzt noch ein weiteres kompliziertes Instrument hinzukommen“, kritisiert Honsel auf der Nachrichten-Website HEISE ONLINE.

Bei genauem Hinsehen entpuppe der Strommarkt sich bereits als höchst verworrenes Konstrukt. „Wenn es irgendwo finanziell zwickte, wurde einfach eine neue Abgabe erhoben“, überspitzt Honsel. Als „bizarres“ Beispiel verweist er unter anderem auf die §19-NEV-Umlage, die 2012 für Unternehmen als Anreiz eingeführt wurde, das Netz zu entlasten. Die Umlage erlaube es energieintensiven Unternehmen, unter bestimmten Voraussetzungen reduzierte Netzentgelte zu beantragen. Gleichzeitig werde der Netzbetreiber für die niedrigeren Entgelte entschädigt – was wiederum auf alle Verbraucher:innen umgelegt werde. Das sei „symptomatisch für den ganzen Verordnungs-Verhau“, findet Honsel.

Auch der Industriestrompreis werde voraussichtlich an Bedingungen geknüpft, die nachgewiesen und kontrolliert werden müssen. „Wieder ein Stück Bürokratie mehr“, befürchtet der Redakteur. Dabei gäbe es aus seiner Sicht ein viel einfacheres Mittel: die Steuern auf den Strom für alle senken. Dadurch werde auch der Preisabstand zwischen Strom und fossilen Brennstoffen größer – was etwa E-Autos und Wärmepumpen attraktiver mache. Doch auch hier setze die Regierung wieder auf „Pflästerchen“: etwa auf Kaufprämien für E-Autos.

Anmerkungen der Redaktion

Gregor Honsel ist Redakteur für „Technology Review“ beim IT- und Computermagazin HEISE. Seine journalistische Karriere begann er beim BORKENER VOLKSBLATT. Danach schrieb er als Online-Redakteur unter anderem für die Universität Köln und die WIRTSCHAFTSWOCHE. Nach knapp drei Jahren als PR-Manager für eine Telekommunikationsfirma wechselte Honsel zum Heise-Verlag.

HEISE ONLINE ist das Webangebot des Heise-Verlags und eines der reichweitenstärksten Angebote für IT- und Computer-Themen. Eine eigene Redaktion verfasst Artikel und umfassende Recherchen zu aktuellen Themenkomplexen. Schwerpunktmäßig berichtet HEISE ONLINE über Technik- und Computerthemen, aber auch über die gesellschaftlichen und politischen Auswirkungen und Hintergründe der Technologien. In der separaten Rubrik HEISE Autos werden außerdem fachspezifische Beiträge über Pkws veröffentlicht. Zu den weiteren Angeboten von HEISE gehören z. B. das C'T MAGAZIN und TELEPOLIS. Im August 2023 hatte HEISE ONLINE laut Similarweb rund 16 Millionen Besuche zu verzeichnen.

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„Industriestrompreis: Was spricht dafür und was dagegen?“

Bayerischer Rundfunk (BR), 18.09.2023 - Johannes Lenz

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Die Perspektive in 30 Sekunden

Mit dem Industriestrompreis sollen Deutsche Industrieunternehmen zeitlich begrenzt von einem gedeckelten Strompreis profitieren. Der Wirtschaftsredakteur Johannes Lenz erläutert im BAYERISCHEN RUNDFUNK (BR), was hinter der Idee steckt – und wer für die Kosten aufkommen könnte.

Der Industriestrompreis zielt darauf ab, energieintensiven Unternehmen für eine begrenzte Zeit einen niedrigen Strompreis zu garantieren. „Es geht also darum, eine Übergangszeit zu überbrücken, bis genug grüne Energie zur Verfügung steht“, so Lenz. Darum wird in der politischen Debatte auch von einem Brückenstrompreis gesprochen.

Zu den Industriezweigen, die besonders viel Energie benötigen, zählt Lenz im Wesentlichen Stahl, Aluminium, Chemie, Kupfer, Glas, Papier und Zement. „Fast die Hälfte des in Deutschland verbrauchten Stroms geht auf ihr Konto“, verdeutlicht er. Gleichzeitig stehe die energieintensive Branche am Beginn ganzer Wertschöpfungsketten und solle daher besonders geschützt werden.

Nach welchen Kriterien der Industriestrompreis greifen soll, sei noch nicht geklärt. Unter anderem werde diskutiert, nur Unternehmen zu unterstützen, die die Leitlinien der EU-Kommission für staatliche Klima-, Umweltschutz- und Energiebeihilfen (KUEBLL) erfüllen. „Im Konzept des Wirtschaftsministeriums vom Mai 2023 stehen außerdem Tarif- und Standorttreue als Voraussetzungen“, ergänzt Lenz.

Unklar sei derzeit auch, wer die Subvention finanzieren soll. Hier stehe etwa der Klima- und Transformationsfonds (KTF) mit einem Umfang von 15 Milliarden Euro zur Debatte. „Liegt der Preis an der Strombörse in Leipzig über einem bestimmten Betrag, (…) dann könnte mit Geld aus diesem Fonds der Rest bezahlt werden“, so Lenz. Die Differenz zwischen dem gedeckelten und dem tatsächlichen Strompreis werde dann indirekt von den Steuerzahlenden finanziert.

Anmerkungen der Redaktion

Johannes Lenz ist Autor in der BR-Wirtschaftsredaktion. Hier produziert er Inhalte für den Webauftritt des BAYERISCHEN RUNDFUNKS, für das Hörfunk- sowie das TV-Programm. Daneben moderiert Lenz die Wirtschaftsnachrichten für das Informationsradio BR24 und koordiniert Fernsehbeiträge als Chef vom Dienst. Er hat in München und Madrid Geografie und Volkswirtschaft studiert und ein Volontariat beim BAYERISCHEN RUNDFUNK absolviert.

Der BAYERISCHE RUNDFUNK (BR) ist die Landesrundfunkanstalt des Freistaats Bayern. Er ist Mitglied der ARD, zählt zu den öffentlich-rechtlichen Sendern und ist verpflichtet, unabhängig vom Staat und privaten Interessengruppen zu berichten. Der BAYERISCHE RUNDFUNK unterhält neben den Kultursendern BR KLASSIK, BAYERN 1, BAYERN 2 und BAYERN 3 unter anderem den Nachrichtensender BR24 und den Jugendsender PULS. Seit dem 01. Februar 2021 ist Dr. Katja Wildermuth die Intendantin des BR. Sie übernahm den Posten von Ulrich Wilhelm. Der BAYERISCHE RUNDFUNK betreibt unter anderem die BR KULTURBÜHNE, ein digitales Angebot, das während der Corona-Pandemie ins Leben gerufen wurde. Die Idee war, Künstlerinnen und Künstlern trotz des Lockdowns eine Bühne zu geben; also Theateraufführungen, Konzerte und Lesungen auf der BR KULTURBÜHNE live zu streamen. Seither betreibt die BR KULTURBÜHNE außerdem Kultur- und Medienberichterstattung. Dem BR wurde vereinzelt vorgeworfen, nicht dauerhaft politisch unabhängig zu berichten: So durfte beispielsweise der jetzige bayrische Ministerpräsident Markus Söder (CSU) 2015 in der Vorabendsendung „Dahoam is dahoam“ unwidersprochen das Parteiprogramm der CSU loben.

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„Ist deutscher Industriestrom wirklich am teuersten?“

Tagesschau.de, 11.08.2023 - Martin Polansky

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Die Perspektive in 30 Sekunden

Die deutschen Strompreise gelten als besonders hoch – auch im internationalen Vergleich. Wo steht Deutschland tatsächlich bei den Industriestrompreisen? Diese Frage beantwortet ARD-Hauptstadtstudio-Korrespondent Martin Polansky auf dem Online-Nachrichtenportal TAGESSCHAU.DE.

Demnach konnte der deutsche Industriestrompreis sich noch immer nicht vollständig von der Energiekrise erholen, die im Jahr 2021 durch den russischen Angriff auf die Ukraine ausgelöst wurde: „Mit Steuern und Umlagen rangierte der Preis im Jahr 2021 bei gut 21 Cent pro Kilowattstunde; 26,5 Cent sind es im bisherigen Jahresschnitt 2023“, so Polansky. Damit entspreche Deutschland etwa dem Durchschnitt der EU: So seien die Strompreise in Ländern wie Dänemark, Italien oder Belgien zwar erheblich höher. Gleichzeitig müsse die Industrie etwa in Polen, Portugal oder Frankreich weniger für Energie bezahlen. Im globalen Vergleich koste Industriestrom in Deutschland und Europa deutlich mehr als etwa in den USA, Kanada und Japan.

Jedoch mache der Strommarkt es nicht leicht, genaue Vergleiche zu ziehen – denn der Industriestrompreis setze sich aus vielen Komponenten zusammen: etwa aus Großhandelspreisen, Netzkosten, Steuern und Umlagen. Laut des Beitrags profitieren vor allem große energieintensive Unternehmen häufig von Sonderregelungen und besseren Vertragskonditionen mit Versorgungsunternehmen. Öffentlich zugängliche Zahlen seien aber häufig anhand von Durchschnittswerten berechnet. Auch variiere die Situation nach Branche, Unternehmensgröße und individuellen Vereinbarungen. „Was die politische Debatte über einen Industriestrompreis nicht gerade erleichtert“, so der Autor.

Anmerkungen der Redaktion

Martin Polansky arbeitet für den RBB als Korrespondent im ARD-Hauptstadtstudio. Von dort berichtet er unter anderem für die TAGESSCHAU. Seine Fachgebiete liegen im Bereich Verkehr, Wirtschaft, Klima, Umwelt und Finanzen sowie dem Bundespräsidenten, der FDP und SPD. Polansky war auch schon als ARD-Hörfunkkorrespondent für Mexiko und Mittelamerika zuständig.

Das Online-Nachrichtenportal TAGESSCHAU.DE wurde 1996 veröffentlicht und diente zunächst als begleitendes Infoportal zur gleichnamigen Nachrichtensendung der ARD und anderer Nachrichtenangebote von ARD AKTUELL. Heute ist TAGESSCHAU.DE eine der meist aufgerufenen Informationsplattformen, eine Nachrichten-App und ein eigenständiges Medienangebot. Laut eigenen Angaben verzeichnet die Seite etwa 157 Millionen Seitenaufrufe pro Monat. Im Jahr 2022 betrug die Einschaltquote täglich 10,1 Millionen und war damit die meistgesehene Nachrichtensendung Deutschlands. Die Redaktionsleitung hat Juliane Leopold inne, die auch Chefredakteurin Digitales bei ARD-Aktuell ist. Seit 2017 ist über die Website auch das Onlineportal FAKTENFINDER aufrufbar, das Falschinformationen sammelt und einordnet.