Corona-„Spaziergänge“ in NRW: Legitimer Widerstand oder Nährboden für Extremismus?

14.01.2022 - Themenbereiche: Demokratie, Gesellschaft, Rechtsextremismus
Eine Abbildung des Coronavirus

Kurzfassung

Es ist wohl nicht das, was man im Allgemeinen unter einem „Winterspaziergang“ versteht: In Minden-Lübbecke zogen in der vergangenen Woche rund 70 „Spaziergänger:innen“ vor das Privathaus der Landrätin, um gegen die COVID-19-Maßnahmen zu demonstrieren. Sie wurden von der Polizei gestoppt. Doch das Phänomen der vermeintlich spontanen Protestzüge hält inzwischen Ordnungshütende in ganz NRW in Atem: Ob in Düsseldorf oder Bielefeld, Wesel oder Olsberg – landesweit ziehen Menschen durch die Straßen, um ihrem Ärger Luft zu machen. Was genau sie fordern, lässt sich derweil kaum auf einen gemeinsamen Nenner bringen: keine Schulschließungen, kein 2G, keine Impfpflicht – die Motive unterscheiden sich genauso wie die Hintergründe der Teilnehmenden.

Rechtsextreme versuchen, sich die Corona-Proteste zunutze zu machen"

Bislang blieb es bei den Protestzügen in NRW weitgehend friedlich. Doch neben missachteten Infektionsschutzauflagen befürchten Kritiker:innen der „Spaziergänge“, dass sich immer mehr Rechtsradikale unter die wütende Menge mischen. So warnt etwa Michael Mertens, der Landesvorsitzende der Gewerkschaft der Polizei, in der RHEINISCHEN POST: „Rechtsextreme versuchen, sich die Corona-Proteste zunutze zu machen." Zudem kritisieren die Behörden, dass die Protestzüge vielfach nicht angemeldet seien. „Immer mehr Demos passieren unangemeldet und werden verharmlosend als Spaziergänge deklariert“, warnte NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) in der WESTDEUTSCHEN ALLGEMEINEN ZEITUNG (WAZ), der inzwischen alle Polizeibehörden im Land anwies, die „Spaziergänge“ als normale Demonstrationen zu behandeln – mit Anmeldung.

Unter den friedlichen Protestierenden sät die Kritik neuen Frust: „Sicher sind Menschen dabei, die aus Enttäuschung eine relativ radikale Meinung haben. Aber alle unter uns über einen Kamm zu scheren, ist nicht richtig“, zitiert der SAUERLANDKURIER eine Teilnehmerin des „Spaziergangs“, der in der vergangenen Woche friedlich durch die Sunderner Innenstadt zog. Auch als Verstoß gegen das Versammlungsrecht betrachten die Demonstrierenden ihre mehr oder weniger spontanen Zusammenkünfte nicht: „Spazieren gehen“ sei ja schließlich erlaubt.

Ist es ein legitimer Widerstand, der sich auf den Straßen in NRW regt? Oder ist eine kritische Haltung gegenüber den sogenannten Corona-„Spaziergängen“ angebracht?

Acht Perspektiven

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„Corona-Demo in Hagen: Die Wut einer normalen Bürgerin“

Westfalenpost, 30.12.2021 - Laura Handke

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Die Perspektive in 30 Sekunden

Die Redakteurin Laura Handke besuchte für ihre Berichterstattung einen „Spaziergang“ der sogenannten „Freiheitsliebenden Selbstdenker“ in Hagen. „Das lässt mich als Hagener Bürgerin wütend und kopfschüttelnd zurück“, kommentiert sie das Erlebte anschließend in der Tageszeitung WESTFALENPOST.

Dass die Protestierenden trotz aller zu beklagenden Todesfällen und Langzeitfolgen noch immer „das große Ganze“ anzweifeln, entbehrt aus Handkes Sicht jeglicher Logik: „Diese Menschen haben wirklich nichts kapiert“, wettert sie. Nicht nur, dass sie selbst als einzige Maskenträgerin angeschaut worden sei, „wie ein Alien“. Auch über die von „Jubel und Applaus“ begleiteten Lautsprecherdurchsagen zeigt die Beobachterin sich fassungslos: „Es wird dazu aufgerufen, gegen Corona-Regeln zu verstoßen“ – und sich nicht „zu einer Impfung zwingen zu lassen“, zitiert sie. „Und man solle bloß keine Angst vor diesem kleinen, unbedeutendem Virus haben, dass uns ja erst seit zwei Jahren beschäftigt“, empört sich die dreifach geimpfte Redakteurin.

Zwar könne man über einzelne Maßnahmen streiten, räumt Handke ein. „Aber wenn dann jemand die Pandemie überhaupt und die Sinnigkeit der Impfungen in Frage stellt, muss er sich auch den Vorwurf gefallen lassen, dass er dadurch das Leben anderer gefährdet“, findet sie. „Alle müssen an einem Strang ziehen, um diese Pandemie endlich in den Griff zu bekommen.“

Anmerkungen der Redaktion

Laura Handke ist Redakteurin in der Stadtredaktion der WESTFALENPOST in Hagen. Sie beschäftigt sich in ihren Artikeln hauptsächlich mit dem Thema COVID-19. Für die WESTFALENPOST schreibt Handke seit 2018. Zuvor hat sie 10 Monate als Volontärin bei der WESTFALENPOST gearbeitet und war Praktikantin in der Online-Redaktion von Caregaroo, ein Start-up zur Vermittlung von Kinderbetreuung.

Die WESTFALENPOST ist eine südwestfälische regionale Tageszeitung, die von einer Zentralredaktion in Hagen bespielt wird. Herausgegeben wird die Zeitung von der Westfalenpost GmbH & Co Verlags-KG, die der Funke Mediengruppe gehört. Die Funke-Mediengruppe ist ein Medienkonzern mit Sitz in Essen, der verschiedene Zeitungen und Zeitschriften herausgibt, größtenteils im Ruhrgebiet. Chefredakteur der WESTFALENPOST ist Jost Lübben, der zugleich auch Chefredakteur der WESTFÄLISCHEN RUNDSCHAU ist. Lübben ist außerdem Teil der Jury des Deutschen Journalistenpreises. Die Auflage der WESTFALENPOST wird nur gemeinsam mit anderen Publikationen der Funke-Mediengruppe wie beispielsweise der WAZ oder der NEUEN RUHR ZEITUNG veröffentlicht. Die verkaufte Auflage der Funke-Publikationen lag im 3. Quartal 2021 bei rund 412.000 Exemplaren.

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„„Es geht um eine Drohkulisse““

Westfalenspiegel, 06.01.2022 - Andreas Zick, Annette Kiehl

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Die Perspektive in 30 Sekunden

Der Bielefelder Konfliktforscher Andreas Zick sieht in den sogenannten „Spaziergängen“ einen vermeintlichen Nährboden für Extremismus. Das beweise auch der Protestzug vor das Privathaus der Landrätin im Kreis Minden-Lübbecke: „Hier sieht man, dass es nicht um eine politische Meinungsäußerung geht, sondern um eine Drohkulisse“, warnt Zick im Interview mit Redakteurin Annette Kiehl für die Zeitschrift WESTFALENSPIEGEL.

Immer wieder werde bei den meist unangemeldeten Protestzügen deutlich, dass die Teilnehmenden zwar vorgeben, für Demokratie und Freiheit zu spazieren – selbst aber „rücksichtsloses Verhalten“ zeigen, indem sie etwa Infektionsschutzregeln missachten. „Es geht ihnen offenbar nur darum, ihr eigenes Verständnis von Freiheit durchzusetzen“, so Zick. Dazu sei die Pandemie eine Situation großer gesellschaftlicher Verunsicherung: „In der Konfliktforschung haben wir bereits im Sommer 2020 einen Einbruch der Solidarität und eine Radikalisierung von Corona-Leugnern und Kritikern der Maßnahmen beobachtet“, argumentiert er.

Sozialen Medien komme dabei eine zentrale Rolle zu: In Forschungen sei auch dort „eine verbreitete unterschwellige Zustimmung zu radikalen Ansichten“ zu erkennen. Für umso wichtiger hält Zick es, dass sich die Gewalt nicht in einem Dunkelfeld abspielt. „Wir brauchen genaue Analysen der radikalen Tendenzen, um Konzepte dagegen zu entwickeln“ – etwa Kampagnen gegen Verschwörungserzählungen oder Beratungsangebote für Kritiker:innen und deren Angehörige.

Anmerkungen der Redaktion

Andreas Zick ist ein deutscher Sozialpsychologe und Professor für Sozialisation und Konfliktforschung an der Universität Bielefeld. Zick hat Psychologie und evangelische Theologie an der Ruhr-Universität Bochum studiert und hat später in Marburg promoviert. Nach mehreren Vertretungsprofessuren in Dresden und Jena erhielt er 2008 den Ruf auf die Professur für Sozialisation und Konfliktforschung an der Universität Bielefeld. Seit 2013 ist er zudem Direktor des dortigen Instituts für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung. Zicks Forschungsschwerpunkte liegen in der Forschung zu Diskriminierung, Gewalt, Rechtsextremismus, Menschenfeindlichkeit und Vorurteilen. Neben seiner universitären Anstellung ist Zick außerdem in der Amadeu Antonio Stiftung aktiv gewesen. Die Amadeu Antonio Stiftung setzt sich gegen Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus ein.

Annette Kiehl ist Redakteurin beim Ardey-Verlag, dessen Verlagsarbeit sich hauptsächlich auf die Herausgabe des WESTFALENSPIEGELS konzentriert. Sie hat Journalismus an der Technischen Universität Dortmund und im Auslandssemester an der Middlesex University London studiert. Während ihres Studiums hat sie als Redakteurin beim WESTFÄLISCHEN ANZEIGER gearbeitet. Nach knapp eineinhalb Jahren als Pressesprecherin beim britischen Generalkonsulat in Düsseldorf hat sie zunächst knapp vier Jahre für WESTFALEN HEUTE geschrieben, bis sie schließlich 2014 zum Ardey-Verlag gewechselt ist.

Der WESTFALENSPIEGEL ist eine Kulturzeitschrift, die hauptsächlich über Kultur-Themen aus Westfalen berichtet. Die Zeitschrift wird vom Ardey-Verlag herausgegeben. Der Ardey-Verlag ist ein Regionalverlag für den Raum Westfalen-Lippe und ist eigens für den Druck des WESTFALENSPIEGELS gegründet worden. Als Gründungsmitglieder beteiligt waren unter anderem die Sozialforschungsstelle der Universität Münster, der Westfälische Heimatbund und der Verlag der WESTDEUTSCHEN ALLGEMEINEN ZEITUNG (WAZ). Heute gehört der Ardey-Verlag dem Landschaftsverband Westfalen-Lippe, der dem Heimatministerium des Landes Nordrhein-Westfalen unterstellt ist. Der WESTFALENSPIEGEL wird daher zu Teilen aus der Kulturförderung des Landes NRW und zu Teilen aus Werbeerlösen finanziert. Die verbreitete Auflage liegt laut eigenen Angaben bei rund 13.500 Exemplaren. Die Daten sind allerdings nicht durch die Informationsgemeinschaft zur Verbreitung von Werbeträgern bestätigt.

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„Der Staat muss mehr Härte zeigen gegen radikale Impfgegner“

Der Tagesspiegel, 07.01.2022 - Frank Jansen

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Der Staat darf nicht tatenlos zusehen, wenn Demonstrierende auf sogenannten „Spaziergängen“ den Aufstand proben und dabei gegen Schutzmaßnahmen verstoßen, findet der Reporter Frank Jansen. Es sei höchste Zeit, die „Regeln des Rechtsstaats“ durchzusetzen: „Die Fanatiker müssen gestoppt werden“, appelliert er in der Tageszeitung DER TAGESSPIEGEL.

„Beinahe täglich brüskieren Zehntausende Impfgegner mit unangemeldeten ‚Spaziergängen‘ den Staat“, kritisiert Jansen. Demonstriert werde ohne Maske, ohne Abstandsregeln und oft auch ohne Ausweis – um sich der Feststellung ihrer Personalien zu entziehen. Diesem „Stresstest für die Demokratie“ gelte es sich zu stellen: „Entschlossen, mit mehr Härte“, fordert Jansen. Dass Niedersachsens Innenminister Boris Pistorius (SPD) etwa angeregt habe, das Tragen von Masken per Allgemeinverfügung zur Pflicht bei Demonstrationen zu erklären, sei nicht nur richtig, sondern auch als „Signal an andere Bundesländer“ zu verstehen.

Das jedoch könne nur ein erster Schritt sein: „Laufen die Impfgegner weiter ohne Maske, ohne Abstand und ohne die Demonstration angemeldet zu haben, sollte die Polizei auch empfindlichere Maßnahmen nicht scheuen“, findet Jansen. Dazu gehöre es auch, Protestierende notfalls festzuhalten, „bis Name und Adresse jedes Teilnehmers und jeder Teilnehmerin aufgenommen wurde und Anzeigen geschrieben sind“.

Anmerkungen der Redaktion

Frank Jansen ist Journalist, Publizist und seit 1990 für den TAGESSPIEGEL tätig. Der studierte Politikwissenschaftler beschäftigt sich hauptsächlich mit Rechtsextremismus, Ostdeutschland und islamistischem Terrorismus. Er schreibt unter anderem auch für das Dossier Rechtsextremismus der Bundeszentrale für politische Bildung, DIE ZEIT und CICERO.

DER TAGESSPIEGEL ist eine 1945 gegründete Tageszeitung aus Berlin. Er hat mit 107.000 Exemplaren (3/2021) die höchste Auflage unter den Berliner Abonnementzeitungen und wird im Unterschied zur BERLINER ZEITUNG traditionell vor allem in den westlichen Bezirken der Stadt gelesen, da die Mauer die Verbreitung der Zeitung auf Westberlin beschränkte. Seit 2014 erhält der TAGESSPIEGEL besondere Aufmerksamkeit durch den Checkpoint Newsletter, der täglich aus Berlins Politik, Wirtschaft und Gesellschaft berichtet. EUROTOPICS beschreibt die Blattlinie der Zeitung als liberal. Der TAGESSPIEGEL wurde lange Zeit den regionalen Zeitungen zugerechnet, verfolgt seit einigen Jahren jedoch verstärkt eine überregionale Ausrichtung. Die Printauflage bleibt jedoch stark regional dominiert.

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„Lasst sie spazieren“

Süddeutsche Zeitung, 04.01.2022 - Jens Schneider

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Jens Schneider warnt davor, die „Spaziergänge“ zu „dämonisieren, als führten sie zwangsläufig in die Düsternis“. Zwar gebe es gute Gründe, wachsam zu sein. „Aber es ist wohl an der Zeit, sich bewusst zu machen, dass hier im Grundsatz lebendige Demokratie zum Ausdruck kommt“, kommentiert der Berlin-Korrespondent in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG (SZ).

Immerhin fuße eine Demokratie auch darauf, „gerade die Rechte jener zu achten, die einem fremd sind“, gibt Schneider zu bedenken. Dazu sei es seit einigen Jahren geradezu „zu einer Mode geworden“, mehr Offenheit in Debatten einzufordern. „Diese Appelle werden aber schnell wieder vergessen, wenn einem der Widersacher so gar nicht passt“, moniert Schneider. Die aktuellen COVID-19-Proteste seien dabei ein „geradezu exemplarischer Testfall für die Frage, was die Demokratie aushalten und würdigen sollte“. Der Politik diene der Widerstand immerhin als „Frühwarnsystem“ – „so wie es Spaziergänge dieser Art schon früher oft waren“.

Diese aber gleich als „Massenbewegung“ hochzustilisieren, hält Schneider für falsch – denn „Demos mit ein paar Hundert Leuten gab es bundesweit gerade vor Corona jeden Tag irgendwo“, räumt er ein. Die „Spaziergänge“ seien Ausdruck einer Minderheit, die jedoch mit ihren Sorgen und Rechten dazugehört. „Hinschauen, hinhören, unterscheiden – darum geht es“, plädiert Schneider. 

Anmerkungen der Redaktion

Jens Schneider ist Redakteur bei der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG (SZ). Schneider berichtet schwerpunktmäßig über die AfD und über die Parlamentsgeschäfte in Berlin. Für die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG ist er seit 1991 aktiv: zunächst fünf Jahre als Auslandsredakteur im Balkan, dann als Korrespondent für Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen und später als Korrespondent im Hauptstadtbüro der SZ. Seit 2014 ist er als Korrespondent für Berlin und Brandenburg tätig.

Die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG (SZ) ist eine deutsche überregionale Tageszeitung aus München. Sie erscheint seit 1945 als Nachfolger der Münchener Neusten Nachrichten. Seit 1947 wird sie von der „Süddeutschen Verlags GmbH“ produziert und ist besonders durch ihre „Seite Drei-Reportagen“ und die kritische Glosse „Streiflicht“ bekannt. Mit einer Auflage von zuletzt 300.000 (3/2021) ist sie in Deutschland nach der BILD die zweitmeist verkaufte deutsche Tageszeitung, auch wenn ihre Auflage insgesamt abnimmt. Die Blattlinie der Zeitung gilt als linksliberal. Zusammen mit dem WDR und dem NDR hat die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG einen investigativen Rechercheverband, der zahlreiche investigative Recherchen veröffentlicht hat, u.a. zu Steuerschlupflöchern und über die Ibiza-Affäre um den damaligen FPÖ-Vorsitzenden Strache. Für die Aufklärung über die Panama Papers erhielten SZ-Journalist:innen 2017 einen Pulitzer-Preis für investigative Recherche.

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„Kommentar: Tägliche Demo fürs Impfen“

WDR, 04.01.2022 - Irene Geuer

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Der Hörfunkjournalistin Irene Geuer ringen die sogenannten „Spaziergänge“ allenfalls ein müdes Lächeln ab: „130.000 Menschen haben sich an einem Tag impfen lassen. Was sind da die paar ‚People-chen‘, die gegen das Impfen protestieren?“, kommentiert sie im WESTDEUTSCHEN RUNDFUNK (WDR).

Natürlich sei es „lästig“, dass die Polizei wegen der Demonstrierenden „Überstunden machen muss“. An dem Erfolg der Impfkampagne könne der Widerstand aber nicht mehr rütteln. Für das eigentliche Problem hält Geuer es, dass so viele Menschen über das Impfen – „über diese große Errungenschaft in der Medizin“ – viel zu wenig wissen. „Da müssen wir an den Schulen dringend nachjustieren“, plädiert sie. Denn ohne die Vakzine gehe auch von Krankheiten wie den Pocken, Kinderlähmung oder Diphterie noch heute eine Gefahr aus.

„Ich schaue auf die, die das verstanden haben und gesellschaftlich Solidarität zeigen“, so Geuer. Und jeden Tag freue sie sich über die Zahl der Neu-Geimpften in ihrer Corona-App. Allein auf diese Fortschritte gelte es jetzt zu schauen: „Die Gegner haben in ihrem Protest keine Aufmerksamkeit verdient, sondern allerhöchstens Mitleid“, mahnt Geuer.

Anmerkungen der Redaktion

Irene Geuer ist freiberufliche Journalistin, Autorin und Moderatorin aus Köln. Sie hat Ethnologie, Politikwissenschaften und Spanisch in Köln studiert und als Moderatorin für diverse Sendungen in öffentlich-rechtlichen Sendern gearbeitet. Geuer ist auch als Coach tätig und gibt Seminare zu Kreativem Schreiben. Ehrenamtlich arbeitet sie außerdem als Deutschtrainerin für Geflüchtete.

Der WDR ist die größte der neun Landesrundfunkanstalten der ARD. Er entstand 1956, als sich der NWDR in den NDR und den WDR aufteilte. Die Sendeanstalt hat sechs Radioprogramme und einen Fernsehsender, zu dessen bekanntesten Programmen unter anderem das Politmagazin „Monitor“, die „Sportschau“ oder das Kinderangebot „Die Sendung mit der Maus“ gehören. Laut eigenen Angaben ist der Sender nach Anzahl der Beschäftigten das zweitgrößte Medienunternehmen Europas hinter der BBC. Laut der „Media-Analyse 2021“ erreicht der Fernsehsender des WDR in Deutschland täglich rund 8 Millionen Zuschauer:innen, der Radiosender erreicht rund 11 Millionen Zuhörer:innen. Der Webauftritt des WDR hatte im Dezember 2021 laut Similarweb rund 17 Millionen Besuche zu verzeichnen.

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„Weshalb man radikale Impfgegner nicht verurteilen sollte“

Salonkolumnisten, 06.01.2022 - Julien Reitzenstein

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Aus Sicht des Historikers Julien Reitzenstein greift es zu kurz, Demonstrierende zum Feindbild zu erklären und ihre „oftmals unwissenschaftlichen und unlogischen Sichtweisen zu verhöhnen“. Auf dem Blog SALONKOLUMNISTEN fordert er vielmehr eine politische Debatte über die Rolle der sozialen Medien: Nach seinem Dafürhalten tragen diese einen entscheidenden Anteil daran, dass sich immer mehr Menschen radikalisieren.

In seinem Beitrag skizziert Reitzenstein eine Social-Media-Parallelgesellschaft, von der er glaubt, dass sie immer mehr Zweifelnde in ihren Bann zieht. Denn wer eine Maßnahme der Regierung in den sozialen Medien kritisiere, gerate dort schnell in Kontakt mit extremeren Gruppen und Milieus: „Die Algorithmen ziehen die Nutzer immer weiter in einen Kreis, in dem eine Meinung dominiert und andere Meinungen allenfalls als Feindbild erscheinen.“ Wer etwa die Impfung positiv bewerte, aber die Impfpflicht ablehne, der treffe in sozialen Medien schnell Menschen, die auch die Impfstoffe kritisieren. „[D]ann welche, die zum aktiven Kampf gegen Impfungen aufrufen und am Ende befindet man sich in Gesellschaft von Nutzern, die überzeugt sind, die Juden – alternativ die Außerirdischen – hätten Covid erfunden, um die (…) Menschheit zu versklaven“, überspitzt Reitzenstein.

Um diesem Sog etwas entgegenzusetzen, gelte es, unmissverständlich zu analysieren und zu diskutieren, welche Mechanismen und Algorithmen die Radikalisierung der jeweiligen Lager auslösen. Mit dem Finger auf die „Spaziergänger:innen“ zu zeigen, löse das Problem nicht. Eher im Gegenteil – denn die Demonstrierenden seien in dem Glauben, „dass ihre Haltung vernunftgeleitet ist und auf unbestreitbaren Tatsachen beruht“. Der daraus resultierende­ Druck führe dann nur zu mehr Gewalt.

Anmerkungen der Redaktion

Julien Reitzenstein ist ein deutscher Historiker und Autor. Zurzeit lehrt Reitzenstein an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf. Reitzenstein hat Geschichte studiert und auch im Fach Geschichte promoviert. Reitzensteins Monografie über die sogenannte Straßburger Schädelsammlung, die von den Nationalsozialisten angelegt worden ist, wurde überwiegend positiv rezipiert. So urteilte beispielsweise der Historiker Wolfgang Benz: „Seriöse Wissenschaft – das zeigt Reitzenstein – kann Augen öffnen.“ Reitzenstein ist außerdem Initiator des Wissenschaftsvereins „Geschichte und Zukunft“, der die wissenschaftliche Forschung und Publikationen zur Auseinandersetzung mit völkischem Gedankengut unter nationalsozialistischer Herrschaft fördert. Reitzenstein ist ferner als Publizist aktiv. Seine Zeitungsartikel sind in diversen Publikationen erschienen, darunter die JÜDISCHE ALLGEMEINE, der CICERO, die WELT oder auch das MANAGER MAGAZIN.

SALONKOLUMNISTEN ist ein 2016 gegründeter Gemeinschaftsblog, der durch ein Redaktionskollektiv geleitet wird. Als verbindendes Element der, nach eigenen Angaben, „politisch nicht festgelegten“ Autorenschaft wird die „Verteidigung der offenen Zivilgesellschaften inner- und außerhalb Deutschlands“ angegeben. Die FAZ schreibt über den BLOG lobend: SALONKOLUMNISTEN seien „eine weltanschaulich weit gefasste Reaktion auf den Ansturm der Vereinfacher und Populisten“. Der Blog RUHRBARONE charakterisiert die Grundhaltung des Blogs als „anti-autoritär“ und „weitgehend liberal“. Seit 2019 stellt die Bundeszentrale für politische Bildung die SALONKOLUMNISTEN in ihrer Sicherheitspolitischen Presseschau vor. Die Sicherheitspolitische Presseschau stellt eine Linkliste zusammen zu den Folgen von Terrorismus und verschiedenen Aspekten der internationalen Sicherheitspolitik.

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„Die Denkpest geht um“

Der Spiegel, 05.01.2022 - Sascha Lobo

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Die Perspektive in 30 Sekunden

Den Publizisten Sascha Lobo treibt angesichts der zunehmenden Proteste gegen die COVID-19-Maßnahmen die Frage um, wie sich so viele Deutsche radikalisieren konnten. In seiner SPIEGEL-Kolumne liefert er einen Erklärungsansatz: Die pandemiebedingte gesellschaftliche Verunsicherung mache die Menschen empfänglich für ein neues „Massenphänomen“: die „Denkpest“.

Lobo beschreibt die Denkpest als „Vorform und Nährboden der Verschwörungsideologie“: Man müsse an keine einzige Verschwörung glauben – und könne trotzdem die Denkpest haben. Es reiche schon, „wenn man ein derart tiefes Misstrauen entwickelt hat, dass man einfach nichts glaubt“. Genau das erkläre auch den „Millionenerfolg der Denkpest“: Sich auf das Bauchgefühl zu verlassen, „dass irgendwas ja wohl irgendwie faul sein muss“, sei für ohnehin Zweifelnde ein einfacher Weg.

Diese „unbewusste Ideologie“ beherrsche den gesamten Menschen: die Denkweise, die Wahrnehmung, das Verhalten, die Kommunikation, die soziale Interaktion. „Das Generalmisstrauen, das mit der Denkpest einhergeht, ist dann auch das Einfallstor für viele weitere Radikalisierungsprozesse“, gibt Lobo zu bedenken. Am Ende bewirke die „generalmisstrauende Denkpest“, dass man allem misstraut und sich deshalb zum Beispiel nicht impfen lässt: „Man weiß ja nie.“

Anmerkungen der Redaktion

Sascha Lobo ist Blogger, Autor und Journalist. Seine Schwerpunkte sind das Internet und die Auswirkungen von digitalen Technologien auf die Gesellschaft. Er hat zunächst eine Werbeagentur gegründet, die jedoch nach einem Jahr Insolvenz anmelden musste. Danach war er als freier Werbetexter tätig. 2005 hat Lobo den Blog RIESENUNTERNEHMEN gegründet, der mit dem Grimme Online Award ausgezeichnet wurde. Anfang 2009 hat er seinen privaten Blog SASCHALOBO gegründet. Von 2007 bis 2009 war er Mitglied des Online-Beirats der SPD. Seit 2011 schreibt er für SPIEGEL ONLINE die Kolumne „Die Mensch-Maschine“ und gehört zu den Initiator:innen der Charta der Digitalen Grundrechte der Europäischen Union, die Ende November 2016 veröffentlicht wurde. Er hat Gesellschafts- und Wirtschaftskommunikation studiert.

DER SPIEGEL ist ein deutsches Nachrichtenmagazin, das 1947 von Rudolf Augstein gegründet worden und zuletzt (3/21) in einer Auflage von knapp 696.000 Exemplaren erschienen ist. DER SPIEGEL zählt zu den deutschsprachigen Leitmedien: Er prägt die gesellschaftliche Debatte und Öffentlichkeit. In den Jahren 2019 und 2020 war das Magazin das meistzitierte Medium in Deutschland. Eine besondere Rolle im Magazin nimmt bis heute der investigative Journalismus ein. 1963 führten eine solche Recherche und die sogenannte SPIEGEL-Affäre dazu, dass der damalige Verteidigungsminister Franz Josef Strauß sein Amt räumen musste. DER SPIEGEL wird traditionell als eher linksliberales Medium gesehen, auch in Abgrenzung zu den anderen großen deutschen Nachrichtenmagazinen, dem FOCUS und dem STERN. Bereits Gründer Rudolf Augstein verortete sein Magazin „im Zweifel links“. 1994 wurde der dem SPIEGEL zugehörige, aber redaktionell unabhängige Online-Nachrichtendienst SPIEGEL ONLINE gegründet. Seit dem 8. Januar 2020 heißt auch das Online-Portal DER SPIEGEL, nachdem die Redaktionen der beiden Medien 2019 zusammengelegt wurden. Dennoch ist das Online-Portal immer noch rechtlich und wirtschaftlich unabhängig, da es von einer Tochtergesellschaft betrieben wird. DER SPIEGEL (online) zählt zu den fünf meistbesuchten Nachrichten-Webseiten in Deutschland. 2018 wurde bekannt, dass der langjährige Mitarbeiter Claas Relotius wesentliche Inhalte von (teils preisgekrönten) SPIEGEL-Reportagen erfunden hatte. Hiernach reichte Relotius seine Kündigung ein. Das Blatt sprach von „einem Tiefpunkt in der 70-jährigen Geschichte des SPIEGEL“.

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„Was gilt rechtlich für Corona-"Spaziergänge"?“

ZDF, 05.01.2022 - Christoph Schneider

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Teilnehmende der sogenannten Corona-„Spaziergänge“ legitimieren ihre Protestzüge mit der grundgesetzlich verankerten Versammlungsfreiheit. Wie die Rechtslage sich genau darstellt, hat der Rechtsexperte Christoph Schneider auf ZDF.DE zusammengetragen.

Mit der Versammlungsfreiheit gewährt Artikel 8 des Grundgesetzes allen Deutschen das Recht, sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu versammeln. Im zweiten Absatz des Artikels werden durch das Versammlungsgesetz aber gewisse Grenzen gesetzt: Für geplante Zusammenkünfte unter freiem Himmel sieht dieses nämlich eine Anmeldepflicht vor. Ein unangemeldeter „Spaziergang“ darf demnach nur dann stattfinden, wenn es sich dabei um eine spontane Versammlung handelt.

In Ausnahmefällen kann eine Versammlung auch verboten werden – etwa, wenn Gefahr für die öffentliche Sicherheit besteht. Zunächst muss das Risiko aber durch Auflagen minimiert werden: etwa durch die Festlegung von Mindestabständen oder eine Maskenpflicht. Da vorab nur schwer zu beweisen ist, dass eine Versammlung nicht friedlich verlaufen wird, können auch die „Spaziergänge“ im Regelfall nicht verboten werden. „Doch wenn Auflagen nicht eingehalten werden, kann durchgegriffen werden“, erklärt Schneider.

Anmerkungen der Redaktion

Christoph Schneider ist Mitarbeiter der ZDF-Redaktion Recht und Justiz. Christoph Schneider berichtet für das ZDF hauptsächlich über Strafprozesse und anderweitige Gerichtsurteile. Außerdem ist er des Öfteren als Justiz-Experte in der Nachrichtensendung „ZDFheute“ anzutreffen.

ZDF.DE ist die Onlinepräsenz des öffentlich-rechtlichen ZWEITEN DEUTSCHEN FERNSEHENS (ZDF). Das ZDF ist eine der größten Sendeanstalten in Europa und hat ihren Sitz in der rheinland-pfälzischen Landeshauptstadt Mainz. Als Teil des öffentlich-rechtlichen Rundfunks finanziert sich der Sender vor allem über den Rundfunkbeitrag und ist per Programmauftrag dazu verpflichtet, objektiv und ausgewogen zu berichten. Der Einfluss der ZDF-Aufsichtsgremien (Fernsehrat, Verwaltungsrat), die hochrangig politisch besetzt sind, gilt als stark. Nach einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts 2014 darf im Verwaltungsrat maximal ein Drittel der Mitglieder „staatsnah“ besetzt sein, derzeit sind das unter anderem die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) und der bayerische Ministerpräsident Markus Söder (CSU). Laut dem Institut für Medien- und Kommunikationspolitik orientiert sich der Sender medienpolitisch an der britischen BBC und setzt verstärkt auf eine Präsenz im Internet. Die dauerhafte Herausforderung des ZDF ist seit Jahren dennoch die Bindung jüngerer Publikumsschichten.