Die Anstecknadel erzählt

Verklärte Vergangenheit und Alte Kameraden: NS-Dokumentationszentrum Vogelsang

"Durchmesser 21 mm, emailliert, Rand schwarz, Platz weiß, Himmel rot, Burg silber, Buchstaben und Eichenlaub gold. Somit völlig neutral", so präsentierte der Organisator des "Alteburger Kreises", ein ehemaliger "Ordensjunker", im Sommer 1979 seinen vormaligen "Kameraden" in einem Rundschreiben die neue, aufwendig gestaltete Anstecknadel, welche ein weiterer Ehemaliger entworfen hatte.

Aus der Kasse ihrer Nachkriegsorganisation finanziert, sollte sie fortan bei den Treffen der alten NS-Funktionäre in feudalen Hotels unangenehme Verwechselungen, zu denen es im Jahr zuvor mit anderen Hotelgästen gekommen war, ausschließen und alternden Altnazis und "Ordensjunkern", Angehörigen und Nachfahren ein schnelles und sicheres Erkennen ermöglichen. Zugleich spiegelt die Anstecknadel Standesdünkel und Haltung der ehemaligen "Goldfasane", wie die NS-Funktionäre ob ihrer braunen Uniform bezeichnet wurden: Größe und Farben des Objektes ahmen wohl kaum zufällig das Parteiabzeichen der NSDAP nach, während die auf dem Anstecker gezeigte Silhouette Vogelsangs ein Bauwerk als Manifestation der Menschenverachtung glorifiziert.

So präsent die drei "Ordensburgen" und ihre Lehrgänge in der NS-Propaganda bis zum Kriegsbeginn 1939 auch waren, so bezeichnend ist es, dass sie nach 1945 weitgehend aus dem Blick der Öffentlichkeit verschwanden: Vogelsang wurde von 1946 bis 1950 von der britischen Armee genutzt, anschließend diente das "Camp Vogelsang" bis 2005 als Truppenübungsplatz der belgischen Streitkräfte. Zumeist unscheinbar verliefen die Lebenswege der Ordensburgmänner nach 1945, die zu einem beträchtlichen Teil der um 1910 geborenen Kriegsjugendgeneration entstammten. Ihnen war versprochen worden, als NS-Elite und "Herrenmenschen" eine Art politischer Adel Deutschlands zu werden. Stattdessen mussten sich die rund 600 ehemaligen "Ordensjunker", die den Krieg überlebt hatten, nach zumeist glimpflich gelaufenem Entnazifizierungsverfahren neue Existenzen aufbauen – oftmals in ihren ursprünglich erlernten Berufen. Dies gelang vielen im "Wirtschaftswunder" der jungen Bundesrepublik recht erfolgreich und unauffällig, vor allem in Handwerk, Handel und Wirtschaft. Politisch exponierten sich nur wenige von ihnen nach 1945, einige tauchten mit gefälschter Identität auch für eine Weile unter. Als Täter gerieten die als deutsche Herrschaftsfunktionäre in den »besetzten Ostgebieten« eingesetzten Ordensburgmänner in den 1960er Jahren durch die Ermittlungen der Ludwigsburger Zentralen Stelle der Landesjustizverwaltungen zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen in den Blick – juristisch belangt oder gar verurteilt wurden jedoch nur wenige.

"Die Erinnerung ist das Paradies, aus dem man nicht vertrieben werden kann."

(aus dem letzten Rundbrief der ehemaligen "Ordensjunker", 1997)

Anfang der 1950er Jahre war im Kreis der ehemaligen Ordensburgmänner, das heißt der einstigen "Ordensjunker" und des Führungskorps, das Bedürfnis aufgekommen, sich durch jährliche bundesweite Treffen zu vernetzen, durch Rundbriefe übereinander zu informieren und sich gegenseitig finanziell zu unterstützen. Bald schon tauchte die Selbstbezeichnung als "Alteburger" auf, und rund zwei Drittel der noch lebenden Ehemaligen beteiligten sich. Zu den ersten Organisatoren von Treffen zählte auch Gerhard Erren, 1941–1944 als Gebietskommissar im belorussischen Slonim für die Ermordung von 25.000 Juden verantwortlich und nun, nach 1945, Lehrer in der Nähe von Hamburg. Standen neben der Kameradschaft, dem persönlichen Kontakt und den Diskussionen in den ersten Jahren die gegenseitige Hilfe und Unterstützung, auch für Witwen und Kinder, im Vordergrund, so wandelte sich der "Alteburger Kreis" in den 1960er Jahren zu einer Organisation, die sich der Traditionspflege und der Verklärung der Vergangenheit widmete. Die Jahrestreffen fanden an wechselnden Orten statt, konzentrierten sich schließlich jedoch auf Königswinter. Die ehemalige NS-Ordensburg Vogelsang besuchten die "Alteburger", zu Anfang gegenüber den seit 1950 dort stationierten belgischen Streitkräften noch als Gruppe des Eifelvereins getarnt, seit den 1970er Jahren mehrfach. Anzeichen von Distanz oder Reue waren nicht zu erkennen, vielmehr wurde Vogelsang wie die dort verbrachte Zeit mit überaus positiven Erinnerungen belegt. Politisch aktiv wurde der "Alteburger Kreis" als Organisation nie, dies sollte "unbedingt Sache des Einzelnen bleiben", so die Formulierung von 1953. Die Quellen, insbesondere die bis weit in die 1990er Jahre reichenden Rundbriefe, zeugen von tief verwurzeltem völkischem und rassistischen Denken und verorten die ehemaligen Ordensburgmänner politisch zumeist im konservativ-rechten und im extrem rechten Spektrum.

Heute ist die ehemalige NS-Ordensburg Vogelsang mit rund 100 Hektar Fläche eines der ausgedehntesten, weitgehend erhaltenen Bauensembles aus der NS-Zeit. Wie viele NS-Großanlagen wurde Vogelsang nicht fertiggestellt, beträchtliche Aus- und Erweiterungsbauten waren teils nur beabsichtigt, teils wurden sie begonnen. Doch auch ohne dass diese monumentalen Ausbauphantasien verwirklicht worden wären, ist das als Herrschaftsarchitektur in die Landschaft der Eifel modellierte Bauwerk als Propagandaplattform und »Bühne« der Selbstdarstellung der NSDAP zu lesen: Die Ideologie ist hier in den Raum eingeschrieben, Vogelsang ist ein sozusagen vom Nationalsozialismus, seiner Ideologie und Praxis kontaminiertes Gelände.

Auf den ersten Blick erzählt Vogelsang nicht von den Opfern der NS-Diktatur, sondern von männlichen NS-Aktivisten und Mitläufern, von Tätern und Mittätern. Folglich wird Vogelsang zu den "Täterorten" der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft gezählt. Orte wie Vogelsang trugen zur »fatalen Attraktion« des Nationalsozialismus bei und eröffneten erhebliche Projektionsflächen für (All)Machtsträume, Identitätsangebote und Herrschaftssehnsüchte. Diese "Faszination" und der "Angebotscharakter" des NS-Regimes haben zur Selbstmobilisierung vieler Menschen beigetragen und eine bedeutende herrschaftsstabilisierende Rolle gespielt. Die Ordensburgen waren so exemplarisch verdichtete Räume von "Inklusionserfahrungen" für viele Männer (und auch Frauen) in der zutiefst ausgrenzenden NS-Gesellschaft.

An ehemaligen "Täterorten" sollten genau diese Aspekte erforscht, ablesbar gemacht und vermittelt werden: Über kritische Bildungsarbeit kann der praxeologische Charakter der völkisch-rassistischen NS-"Volksgemeinschaft" in ihrer Dynamik und in ihrem Angebotscharakter ebenso erhellt werden wie die gruppendynamisch elementaren Praktiken von Exklusion und Inklusion. Im Zentrum der Vermittlungsarbeit des heutigen Erinnerungsortes stehen zudem elementare Fragen nach individuellem, aber immer kontextualisiertem Täterhandeln in der Shoa und anderen NS-Verbrechen.

Die 2016 eröffnete Dauerausstellung der NS-Dokumentation Vogelsang "Bestimmung: Herrenmensch. NS-Ordensburgen zwischen Faszination und Verbrechen" geht von derartigen Überlegungen aus. In einzelnen, multiperspektivisch erzählten Handlungsfeldern nimmt sie Alltag, ideologische Vorstellungswelten und Inhalte sowie Ambivalenzen der Ordensburgausbildung in den Blick. Das Spannungsverhältnis zwischen "Faszination", die die Ordensburg mit ihren Versprechungen eröffnete, und den "Verbrechen", die diesen Ort durch in den "Ordensburgen" geschulte Akteure zu einem »Täterort« der genozidalen Massenverbrechen des Zweiten Weltkriegs machen, leitet die Ausstellung. Sie fokussiert auf die Akteure (und Akteurinnen), vor allem auf die "Ordensjunker", auf ihre Herkunft, ihre Überzeugungen, ihre Prägungen, ihre Motivationen und ihr Tun, d.h. auf die Praxis, und sie fragt nach Handeln und Handlungsspielräumen, nach Täterschaft und Mittäterschaft. Eine breite Auswahl an Perspektiven sowie Stimmen von Menschen, die zu Opfern des Täterhandelns der Ordensburgangehörigen im Zweiten Weltkrieg wurden, fließen in diese Erzählung ein.

Die Arbeit der Akademie Vogelsang IP | NS-Dokumentation Vogelsang stellt der am Bauwerk ablesbaren Hybris des Nationalsozialismus, der Selbsterhöhung der homogen gedachten "Volksgemeinschaft" und der Täterschaft zahlreicher Ordensburgangehöriger eine offene, plurale und verantwortende Bildungs- und Erinnerungsarbeit in zahlreichen Bildungsformaten für Jugendliche und Erwachsene entgegen.

Weitere Informationen: www.vogelsang-ip.de